Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##Marconi Union – Ghost Stations
Thaddeus: Der Sound dieser Band aus Manchester ist schwer einzuordnen. Vor allem, weil er sich in den über zehn Jahren und insgesamt neun Alben nicht nur weiterentwickelt, sondern auch verändert hat. Die Basis? Eine eher ambiente Herangehensweise an eine Hand voll Einflüsse und Genres. Der Jazz spielt eine Rolle, elektronische Versatzstücke, Dub als referentielles Wobbeln, tief unten und weit weg, ein Anker weit, weit draußen im Meer. Die Musik von Marconi Union ist oft leise, noch öfter schüchtern, dabei oft beeindruckend und selten egal. An die vorangegangenen Alben, von denen ich bestimmt auch nicht alle gehört habe, erinnere ich mich dennoch nur lückenhaft. Das wird sich mit dieser Platte hier ändern. Denn „Ghost Stations“ ist anders. Griffiger, direkter, präsenter, dringlicher, eingänglicher. Dabei leben die vier Tracks von den gleichen schon beschriebenen Zutaten, sie sind nur anders aufgekocht. Die drei Musiker sind tief in ihrem selbst gewählten Erbe verwurzelt, es blitzt und funkelt jedoch irgendwie moderner. Selbst das schleppende „Abandoned In Silence“ – früher hätte man das TripHop genannt – schlufft sich perfekt über die fast 15 Minuten Laufzeit, beeindruckt nicht nur mit feinsinnigen Piano-Miniaturen, sondern vor allem durch „echte“ Klarinette und Trompete, Instrumente, mit denen ich in der Regel so meine Probleme habe, hier jedoch die Geschichte des Songs in beeindruckender Art unterstreichen. „Remnants“ funktioniert für mich hingegen so gut, weil es so klingt, als würden Moderat Ambient machen. Weder TripHop noch Moderat sind aber Stichworte, die der Platte gerecht werden. „Ghost Stations“ ist einfach ein gutes Album. Ein Stück Instrumentalmusik, das einem so nahe kommt, wie es sonst nur wenige Vocals schaffen.
##Atmosphere – Fishing Blues
Susann: Bei all den mehr oder weniger begrüßenswerten Comebacks in diesem Jahr gibt es immer noch Künstler, die durchhalten. Ant und Slug machen als Atmosphere seit über 20 Jahren zusammen Musik und begleiteten mich – trotz Punkrock- und Indiejugend – immerhin schon die Hälfte der Zeit. Atmosphere war nämlich 2003 der erste Hip-Hop-Act, der beim Punkrocklabel Epitaph unterschrieb und dass war damals mitunter eine kleine Sensation. Ihr neustes Album erscheint jedoch wie die Vorgänger auf dem eigens gegründeten Label Rhymesayers, welches sie auch schon seit Mitte der 90er betreiben. Das Tandem aus Minneapolis ist nicht nur ortsbedingt weit vom üblichen Hip-Hop-Betrieb entfernt: Ant und Slug sind als „Weißbrote“ eh schon keine plausiblen Gangster und so liegt der Fokus auf oldschooliger Unaufgeregtheit, Punkrock-Attitüde und erzählerischer Lyrik. Ihr 2008 erschienenes Album „When Life Gives You Lemons, You Paint That Shit Gold“ ist auch wegen dem Titel (und dem Song „You“) ein persönlicher Dauerbrenner. Die Aufgabenverteilung ist bei Atmosphere seit jeher auch die gleiche: Slug rappt, Ant zeichnet sich für die sorgfältige Musikproduktion verantwortlich. Slug, der im nächsten Monat auch schon 44 wird, ist sich des Problem des alternden Rappers mit Familienleben durchaus bewusst. „Quality of life feels like I'm floating / Trying to make this minute stretch / Cause what's in my face is so picturesque / I mean, it even made me quit the cigarettes“ heißt es in dem Titelsong „Fishing Blues“. Unter diesen Vorzeichen wird der neuste und neunte Streich von Atmosphere auch nicht bahnbrechend oder aufregend sein, doch für angenehmes Wochenendschwelgen in alten Zeiten genügen.
##The Slits – Cut
Ji-Hun: Ich habe hier einige Zeit nicht mehr geschrieben, was schlicht und ergreifend damit zusammenhing, dass ich Volltrottel mir die rechte Hand gebrochen habe und ans Texte schreiben gar nicht zu denken gewesen ist. Und auch jetzt mühe ich zwar ab, aber nach einigen Wochen hat sich das Hirn auf das „Nurmitlinkstippen“ zumindest ansatzweise eingestellt. So blieb mir in der jüngeren Vergangenheit wenigstens Zeit, mich Dingen zu widmen, die man eben nur einhändig machen kann. Neben tonnenweise Netflixamazonen, lese ich das vor einigen Monaten auf Deutsch erschienene Buch „A Typical Girl“ von Viv Albertine, Gitarristin der Band The Slits und Protagonistin der britischen Punkbewegung der ersten Stunde. Ein fantastisches, kurzweiliges und ehrliches Buch, das gar nicht so sehr auf Mythen- und Heldenschaffung setzt, sondern auch ganz offen sagt, was Sid Vicious, Johnny Rotten und Co. für Idioten sein konnten. Ich liebe dieses Buch und natürlich wird es Zeit sich auch der Musik von Viv Albertine intensiver zu widmen. Das 1979 erschienene Album „Cut“ wurde nicht zu Unrecht auch von der Kritik gefeiert, wurde vom Observer unter die Top 100 der wichtigsten britischen Alben gekürt und auch für Kurt Cobain soll die Platte ein großer Einfluss gewesen sein.