House der guten HoffnungVicmari: Südafrika kann mehr als Die Antwoord und gqom
8.8.2016 • Sounds – Text: Benedikt Bentler„Audiodidact“ heißt das Debütalbum von Sanele Chiliza. Als Vicmari hat er sich der klassischen House Music verschrieben. Warm, sanft, fast schon schüchtern klingt seine Musik, mit der er zwar im heimischen Durban bislang noch nicht recht punkten kann, auf den Tanzflächen im Rest der Welt jedoch bereits für ordentlich Furore sorgt.
Zeitgenössische elektronische Musik aus dem südafrikanischen Durban? Klar, das ist Die Antwoord oder gqom. Ein Genre, dass minimalistischen, metallischen House mit HipHop und Grime verzahnt und in den vergangenen Jahren seinen Weg – auch dank Unterstützung britischer Labels – in die Ohren europäischer Hörer fand. Sanele Chiliza alias Vicmari interessiert sich nicht für gqom. Keine metallischen Drums, keine britischen Breakbeats. Stattdessen gesellt sich schon im Opener von „Audiodidact“ die runde Kick zum funky Gitarrensample. Dazu Clap, HiHats und ein verhaltener Synthie. Viel mehr braucht es nicht für klassische, fast schon liebliche House Music, die mehr nach Berlin als Durban klingt oder genauer gesagt: KwaDabeka, Durbans Vorstadt und Heimat von Vicmari. Dementsprechend allein steht Vicmari da mit seiner Musik, und war zudem noch nie außerhalb von Südafrika. Durban, Metropole, aber doch eine einsame Insel für einen House-Produzenten? „In musikalischer Hinsicht auf jeden Fall. Die Crowd hier ist auch schnell beleidigt, wenn du nicht den Erwartungen oder Gewohnheiten entsprichst. Das beeinflusst mich natürlich. Ich weiß, dass ich andere Musik mache, als alle anderen hier. Aber da ist auch die Hoffnung, dass ich den Weg für andere Künstler von hier unten bereite, Künstler, die nach mir kommen. Ich will auch zeigen, dass es keine Rolle spielst, von wo man kommt. Wenn man etwas will, kann man es auch erreichen“, erklärt Vic.
Dass er es trotz seines wenig housigen Umfeldes nun zum Vinyl-Debüt gebracht hat, ist nicht zuletzt dem Slopemusic-Labelchef Daniel Paul Behnemann und – wie so oft – dem Internet zu verdanken. 2010 kamen die beiden via Facebook in Kontakt, im Laufe der letzten fünf Jahre hat Sash, wie Daniel den jungen Südafrikaner nennt, mehr als fünfzig Demos in Richtung Slopemusic geschickt, und genau so lange hat auch die Produktion von „Audiodidact“ gedauert. Gemeinsam haben sich die beiden auf die Suche nach Vicmaris musikalischer Identität gemacht. „Am Ende ist die Platte genau so geworden, wie ich es wollte. Nur besser. Ich bin selbst immer noch völlig begeistert davon wie es klingt.“ Saneles verhalten stolzes Lächeln kann man hören, wenn er das sagt, und zwar zurecht. Denn die nächsten Tracks „Hard Tension“ und „Auqua Zoo“ klingen viel versierter, als man es von einem 26-Jährigen Debütanten erwarten würde. Ohne jede Eile, ohne Schrei nach Aufmerksamkeit schiebt sich Spur über Spur und am Ende pulsieren die Tracks doch aus ihrem Zentrum heraus.
Plötzlich Produzent
Zum Produzieren ist Vicmari wie viele andere auch über das DJing gekommen. „Während des Auflegens hatte ich oft das Bedürfnis, Tracks zu ergänzen – und habe das auch gemacht: ein bisschen mehr Percussion hier, ein Synthie-Sound da. Im Grunde genommen hatte ich keine Ahnung, dass ich damit eigentlich schon auf der Produzentenseite stehe. Ein Freund sagte dann zu mir: Hey, vielleicht solltest du es gleich mal mit „FL Studios“ [Produktions-Software] versuchen und deine eigene Musik machen. Von da an habe ich produziert. Oh man, es war echt schlecht am Anfang,“ erklärt Vicmari lachend.
„Ich weiß, dass ich andere Musik mache, als alle anderen hier. Aber ich habe die Hoffnung, den Weg für andere Künstler von hier unten zu bereiten.“
Gute House Music, das bedeutet für Vicmari vor allem auf den Pfaden der alten Schule zu wandern. Sein Sound erinnert manchmal an alte Basic-Channel-Releases oder an klassische Alben und Entwürfe wie Move Ds „Kunststoff“. Das gilt für „Audiodidact“ als LP, vor allem aber für den nächsten Track „Who Could Measure“. „My love is the kindest, most delightful treasure / So deep, so pure, a journey to endure“, haucht Chann von Amraa 8 ins Mikro, während der Songtitel als ständiges Echo durch wabernden Synthie-Sound erklingt. Hier geht es nicht um große Geschichten, wie Mano Le Tough oder George FitzGerald sie heutzutage erzählen wollen. Hier geht es um den ursprünglichen Esprit von House, es leben die 90er minus 15 BPM. Da wundert es wenig, dass Vicmari auch gleich Moritz von Oswald und Charles Webster als seine größten Favoriten in Sachen House nennt.
Digitalproduktion vs. Analogrezeption
Dass „Audiodidact“ so differenziert, detailliert klingt, ist zumindest nicht dem großartigen Equipment von Vicmari geschuldet: „Ich habe eigentlich gar nicht die Geräte, um so ein Album produzieren zu können. Es geht aber trotzdem – digital. Ein Computer und ein Midi-Controller, that’s it. Und wenn man die LP hört, klingt es trotzdem nicht wirklich nach einer digitalen Produktion, was ja auch mein Ziel war. Am Ende des Tages spielt dein Equipment keine Rolle. Nur Output zählt.“
Von dieser Haltung kann sich gleiche eine ganze Garde Analog-Fetischisten eine Scheibe abschneiden. Denn leider unterliegen ja viele dem Irrtum zu glauben, dass Musik automatisch gut sei, nur weil man Rolands Jupiter-8 während der Produktion tatsächlich anfassen konnte. Ein bisschen schielt Vicmari dann aber doch in Richtung analog, nicht hinsichtlich Produktion, sondern hinsichtlich Rezeption: „Hier in Südafrika sagt man: Wenn du nicht mit Vinyl aufgelegt hast, hast du keine Ahnung vom Auflegen. Gleichzeitig gibt es aber kaum DJs, die noch Vinyl auflegen. Alle spielen digital. Ich möchte aber, dass meine Platte als Vinyl gespielt wird.“ Zwar sei an dem Only-Vinyl-is-real-Spruch nichts dran, „aber trotzdem“.
Und vielleicht darf man dem bescheiden schüchternen Vicmari diesen kleinen Widerspruch, dieses „trotzdem“, an dieser Stelle einfach zugestehen. Die eigene Platte in der Hand zu halten, das Wissen, dass sich die eigene Musik auf anderen Plattentellern dreht und zu Gigs mitgeschleppt wird, löst eben ein tolleres Gefühl aus, als eine Datei auf einem USB-Stick es jemals könnte. Zumal Vicmaris moderne Interpretation von klassischem House doch ganz gut zur unscharfen Zielgruppe „Vinyl-DJ“ passen dürfte. Modern kommt Vicmaris Platte vor allem im letzten Drittel seiner Spielzeit daher. „Ice Glitter“ treibt mit Kick und geschlossener HiHat, wobei treibend nicht die melodiöse Langsamkeit ausschließt. Der Synthesizer im Hintergrund plätschert geradezu vor sich hin. In „Life With Dub Section“ ist der Name Programm, während die letzten zwei Tracks den Longplayer langsam ausklingen lassen.
Next Stop: Europa
Das DJing hat Sanele Chiliza mittlerweile an den Nagel gehängt, wie er sagt: „Ich versuche gerade mit Ableton mein Liveset umzusetzen, auch wenn ich da noch nicht so ganz hintergekommen bin. Aber aus meiner Perspektive möchte ich etwas Größeres schaffen. Und da steht das Produzieren an erster Stelle – weit vor dem Auflegen.“ Um ein paar Gastmixe zum Release komme er allerdings nicht herum, die Anfragen seien ja da. Natürlich soll das Debütalbum auch das Ticket in die weite Welt sein, der Youngster der House-Szene kann sich durchaus vorstellen, seine Karriere auch woanders fortzusetzen: „Berlin steht auf meiner Liste ganz oben.“ So ganz abschreiben will er das Publikum in seiner Heimat zum Glück aber nicht: „Auf meiner Geburtstagsparty Ende August werde ich ein 6h-Set spielen, die letzte Stunde live. Ich habe keine Ahnung, wie die Leute reagieren werden und bin echt gespannt. Ich habe das hier noch nie jemandem gezeigt.“ Wer weiß, vielleicht ist Classic House das nächste große Ding aus Durban und Vicmari wird seiner Vorreiterrolle schneller gerecht als gedacht, auch gqom nutzt sich schließlich ab. Wenn die südafrikanische Sonne ihren Teil zu den sanften Melodien und warmen Chords auf „Audiodidact“ beigetragen hat, dann möchten wir noch mehr von dort hören. Ansonsten heißen wir Vicmari hier gern willkommen.