Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
##Seinfeld nach 9/11
Die populäre Comedy-Serie Seinfeld wurde bekanntlich ja eigentlich schon 1998 eingestellt. Dennoch steht die Sitcom wie kaum eine andere auch für die Metropole New York, ihre Eigenheiten, ihre Großartigkeit und ihre Neurosen. Der Comedian Billy Domineau hat sich etwas Unvorstellbares getraut. Er schrieb ein Skript für eine Seinfeld-Episode, die am 12. September 2001 spielt. Einen Tag nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center. Für viele noch immer ein rotes Tuch, ein Tabu. Was Domineau hier allerdings gelingt, schreit nach einer Verfilmung, wobei manchmal die Imagination der beste Regisseur ist. 44 Seiten Drehbuch, die wirklich lesenswert sind.
You think they ever get backed up at
the gates of Heaven? Too many people
die at once, it just overwhelms the
system? It’s gotta be like the DMV on
a Friday. “Everyone take a number,
you’ll be judged in the order you
slipped the surly bonds of Earth.”
##Das Ende des Method Acting
Demnächst startet die DC-Comicverfilmung „Suicide Squad“ in den hiesigen Kinos. In den USA ist der Film ein Kassenschlager, wurde von der Kritik aber konsequent verrissen. Neben Will Smith steht vor allem Jared Leto im Fokus der Filmfans. Traut er sich doch tatsächlich den Joker zu mimen. Eine Rolle, die nach Heath Ledgers Darbietung in Christopher Nolans Dark-Knight-Trilogie eigentlich kaum zu spielen ist. Die Autorin Angelica Jade Bastién nimmt sich für The Atlantic den Film zum Anlass die Schauspieltechnik des Method Acting näher zu betrachten. Sie wurde in den 1950ern von Lee Strasberg „erfunden“ und machte Robert De Niro, Daniel Day-Lewis und Leonardo DiCaprio zu Weltstars. Jetzt scheint aber das Ende erreicht. Hollywood selbst habe das Method Acting ruiniert.
Watching Leto tell one disturbing tale after another makes one thing abundantly clear: Method acting is over. Not the technique itself, which has fueled many of cinema’s greatest performances and can be a useful way of approaching difficult roles. But Leto’s stories show how going to great lengths to inhabit a character is now as much a marketing tool as it is an actual technique—one used to lend an air of legitimacy, verisimilitude, and importance to a performance no matter its quality.
##Was Obama hört
Es ist sein letzter Sommer im Weißen Haus. Uns seine letzte Playlist als Präsident der USA. 39 Songs, aufgeteilt zwei Hälften, für den Tag und für die Nacht. Ja, das Weiße Haus hat einen Spotify-Account. Ja, da sitzt ein Social-Media-Team, das sich über solche Dinge Gedanken macht. Was hört unser Boss eigentlich so? Und was könnte und sollte er hören, damit die Playlist durch die Decke geht? Wer fragt ihn, was er wirklich hört? Man stelle sich das bei Angela Merkel vor. Irgendwie ist es gut, dass es diese Playlist gibt. Macht das Staatsoberhaupt menschlich(er). Nahbarer. Geht wahrscheinlich nur in den USA. Aber die USA wären nicht die USA, wenn sofort nach der Veröffentlichung der Playlist die Exegese jedes einzelnen Taktes Musik begonnen hätte. Sind ja alles Lieder über Sex. Huch! Prüderie vs Popkultur, präsidiale Würde vs „Ich-bin-auch-nur-ein-Mensch“. Wer will, kann die Playlist einfach hören. Ist auch Chance The Rapper dabei. Oder man liest die Analyse von Rob Harvilla. Und hört parallel oder später oder gar nicht. Vielleicht mag man Chance The Rapper ja gar nicht.
„It’s basically the sonic equivalent of putting a tie on the doorknob.“
Obama’s Summer 2016 Playlists: A Grossed-Out Critical Analysis
##Denken, Googlen, Erinnern, Speichern
Eigentlich sind sie dafür gedacht, das Erinnern an die vielen Dinge, die wir erlebt haben, zu erleichtern, die digitalen Helferlein. Doch je mehr wir uns auf das, was McLuhan Ausdehnungen des Körpers (in diesem Fall des Gehirns) verlassen, desto mehr werden diese Prothesen zu selbständigen Körperteilen, die den originären Körper – in diesem Fall wiederum das Gehirn, das sich von der Cloud vertreten lässt, verkümmern lassen. So die These von Sophie McBain. Und: Wer sich an alles erinnern lassen kann, verliert zum einen das Vergessen, die spontane Erinnerung (mitsamt Verzerrung, die Vorstellung heißt) und bekommt statt dessen eine auf Algorithmen basierende Vergangenheit aufgetischt. Die Frage ist: Wer will das?
Remembering is an imaginative act, but internet firms are selling nostalgia by algorithm – and we’re buying it.