Wir bleiben zu Hause, wir gucken Heimkino: Empfehlungen von Sulgi Lie für die Wohnzimmerleinwand. Heute ein Special: Michael Fassbender, der Schauspieler als Roboter. Die eiskalte Schönheit, die gleitenden Bewegungen, die Gemessenheit der Gesten sind zu perfekt, um menschlich zu sein, erklärt unser Filmexperte. Und nicht nur das ist über-menschlich an Fassbender.
Ein paar Sekunden „Full Frontal Male Nudity“ in Steve McQueens Shame – seitdem wird in Boulevard- und Frauenmagazinen ja vor allem über die Größe von Michael Fassbenders Gemächt debattiert: Der „Playboy“ spekulierte gar, ob der Golfschläger, den Fassbender zwischen den Beinen trägt, nicht doch eine Prothese sei. Über-Phallus, Über-Mann, Über-Schauspieler – der andauernde mediale Hype um Fassbender macht die ganz großen Fässer des Stardoms auf, seitdem „Fassy“ allein 2012 mit drei Filmen auf den Kinoleinwänden omnipräsent war. Die Größe von Ridley Scotts mythischem Blockbuster Prometheus zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er Fassbenders bisherige Leinwandimago und Rollengeschichte selbst in den Film einzubauen scheint. Obwohl erst 2008 mit McQueens Erstling Hunger und vor allem mit Tarantinos Inglorious Basterds bekannt geworden, ist der Android David aus Prometheus Fassbenders erste Meta-Performance, in der sich die Facetten seiner bisherigen Filmfiguren kristallisieren. Man nimmt Fassbenders unfassbar kontrolliertem Schauspiel in jeder Einstellung ab, das David als lebendiger Roboter ein Prothesenmensch ist: die eiskalte Schönheit, die gleitenden Bewegungen, die Gemessenheit der Gesten sind zu perfekt, um menschlich zu sein. David ist aber auch ein doppeltes Derivat der Filmgeschichte: Gemäß der Prequel-Logik ist er ein Wiedergänger des Androiden aus Ridley Scotts eigenem Alien und der folgenden Sequels, aber auch im Film selbst modelliert David seine Gestalt und seine Gebärden anhand einer Identifikation mit Peter O’Toole als Lawrence of Arabia in David Leans Monumentalfilmklassiker.
Arische Androiden
Wenn sich Fassbender zu Beginn von Prometheus nach dem Starvorbild die Haare aschblond färbt und O’Tooles Sprachmelodie imitiert, sieht er fortan allerdings wie eine Mischung aus dem außerirdischen David Bowie in „The Man Who Fell to Earth“ und arischem Übermenschen aus. David ist eine blonde Bestie mit Gentleman-Manieren, der sich zu Chopin fast schwerelos durch die Gänge des Raumschiffs bewegt. Kaum ein Filmkritiker hat bemerkt, dass Prometheus die Unsterblichkeitsfantasie von Davids greisem Ziehvater Weyland auch ganz offen als eine Nazi-Fantasie inszeniert und durcharbeitet. So ist es nur konsequent, dass dem arischen Androiden mit Charlize Theron in der Rolle von Weylands metallisch blonder Tochter auch eine weibliche Ergänzung zur Seite gestellt wird. Wie sich Noomi Rapace nun gegen dieses Stahlgewitter aus Blonde on Blonde durchsetzt und David sich unter ihrem Einfluss doch allmählich humanisiert, gehört zur anti-faschistischen Pointe des Films. Erst als David im Finale sein schöner Kopf vom Rumpf gerissen wird und er nur noch mit elektronisch angehauchter Stimme sprechen kann, beginnt seine Menschwerdung. Der Nazi-Phallus wird kastriert und man ist auf seine weitere „Education Sentimentale“ gespannt, sollte Ridley Scott das Sequel zum Prequel inszenieren, wie ja schon rumort wird (erschien 2017 als Alien Covenant, Anm. d. Red.).
Auch wenn Fassbender bei Tarantino ja ironischerweise ja einen englischen Anti-Nazi-Undercover-Agenten gespielt hat, der nach aufgeflogener Maskerade von hässlichen Deutschen wie August Diel massakriert wird, kommt der Nazi-Touch in seiner Filmografie übrigens nicht von ungefähr: In Joel Schumachers nicht sehr bekanntem und äußerst krudem Horrorstreifen Blood Creek von 2008 spielt ein zur Unkenntlichkeit verunstalteter Fassbender einen untoten Nazi-Dämon mit eingeritztem Hakenkreuz am Hinterkopf, der sich in einem amerikanischen Bauernhof eingenistet hat. Aber auch abseits dieses Trash-Auftritts weht in einigen anderen Fassbender-Filmen der kalte Hauch des Übermenschen: In X-Men: First Class, einem weiterem Franchise-Sequel, wandelt sich Fassbender von Erik Lehnsherr, einem jüdischen Auschwitzüberlebenden, der in Südamerika nach geflüchteten Nazis jagt, zu Magneto, einem bösen Superhelden, dem seine übermenschlichen (Magnet)Kräfte destruktiv außer Kontrolle geraten und schließlich im Stahlhelm auf seine früheren Freunde losgeht.
Starre, schöne Leiche
Auch die Gefühlskälte des Sex-Addicts Brandon in Shame lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Das manische Dauervögeln erzeugt gerade keine emotionale Körperwärme, sondern führt geradewegs in den Abgrund des Todestriebs. Schon im starren Anfangsbild liegt Fassbender starr wie eine schöne Leiche in seinem Designer-Bett. Raubtierhaft aus stahlblauen Augen blickend, geht er auf frenetische Beutezüge in seinem Manhattaner Jagdrevier. Wenn er in einer großartigen Szene des Films in der Metro eines seiner potenziellen Opfer ins Visier nimmt, zieht die Kamera Fassbenders Gesicht in eine fahle Unschärfe: kein menschliches Antlitz, sondern ein Skelett mit dunklen Augenhöhlen, fast schon ein Totenkopf. Shame ist ein sexueller Totentanz, der kein Ende nimmt. In der ebenso großartigen Schlussmontage gerät die Zeit aus den Fugen; was Flashback ist und was Flashforward, lässt sich nicht mehr unterscheiden, und wenn sich Fassbender mit zwei Nutten ins Delirium fickt, deformieren Blurs und Gelbfilter sein lustverzerrtes Gesicht vollends ins Groteske: In „Shame“ führt der Orgasmus nicht zur Erlösung, sondern in die Hölle.
Fassbenders Arbeiten mit Steve McQueen sind auch theologische Traktate, die sich am Martyrium des Körpers konkretisieren. „Words don’t count, only actions matter“, sagt Fassbender in Shame zu Carrey Mulligan, und wenn man den Satz als Motto für Fassbenders bisherige Filme beim Wort nimmt, wird vielleicht klar, warum er in dialoglastigeren Kostümrollen wie in Jane Eyre oder auch in Cronenbergs biederem Psychoanalyse-Geplänkel A Dangerous Method eher enttäuscht. Besser sind immer diejenigen Filme, die Fassbenders mager-durchtrainierten Körpern direkter an die Erzählung ankoppeln: sei es nun der bösartige Eden Lake, in dem er von einigen äußerst depravierten englischen Teenagern übel zugerichtet wird; die proletarische Physiognomie in Fish Tank; die mittelalterlichen Foltereien in Centurion oder die mörderische Martial-Arts-Eleganz von Soderberghs Haywire, in der ein sehr Bond-mäßiger Fassbender nach hartem Fight von einer Frau erledigt wird.
Hunger und Held
Fassbender ist ja auch mit einer extremen Body-Performance berühmt geworden: Als hungerstreikender IRA-Häftling Bobby Sands in McQueens Debut Hunger magert Fassbender in der zweiten Hälfte des Films bis zu den Knochen ab, bis sich sein Körper fast schon in einem blassen Weiß auflöst und auch die Wunden auf seiner Haut aussehen wie die Stigmata eines Heiligen. Die Verklärung und Metamorphose von Fassbenders geschundenem Leib beginnt also schon früh und führt damit absolut folgerichtig zum abgerissenen Kopf von David aus Prometheus. Auch im antiken Mythos wurde Prometheus ja von Zeus über einem Abgrund gefesselt und musste als Unsterblicher unendlich leiden. Wir müssen uns Michael Fassbender als einen prometheischen Helden vorstellen.