Hinter der Fassade des von allen geliebten American Dad steckt ein Monster, das über viele Jahre Frauen betäubte und vergewaltigte. Bill Cosby sitzt heute hinter Gittern. Doch von den ersten Anschuldigungen bis zum rechtskräftigen Urteil sollten dreizehn lange Jahre vergehen. Ein Podcast rollt die Geschichte auf.
Frank Underwood, der fiktive Präsidenten-Charakter aus „House of Cards“, hat einen Twitter-Account. Am 13. November 2017 ist dort zu lesen: I am not Kevin Spacey. Die Figur distanziert sich von ihrem Darsteller: Welch kluger Move des Social-Media-Teams der Serie, werfen Spacey doch gleich mehrere Männer sexuelle Belästigungen vor – das Verfahren wurde 2019 allerdings überraschend eingestellt. Cliff Huxtable, der fiktive Mediziner- und Vater-Charakter aus der „The Cosby Show“ (1984 bis 1992 auf NBC in den USA und weltweit ausgestrahlt), hat keinen Twitter-Account und somit gibt's auch keinen Tweet, der sich von der Person dahinter, Bill Cosby, distanziert. Aber: „He's not Cliff Huxtable“, sagt Nicki Weisensee Egan in einem Interview. Die US-Journalistin hing der Causa Cosby an den Fersen wie kaum jemand anderes: Als die Kanadierin Andrea Constand den Superstar-Komiker, der lange Zeit der am besten verdienende Entertainer der USA war, 2005 als erste Frau beschuldigte, sie betäubt und anschließend vergewaltigt zu haben, nahm Weisensee Egan die Recherchen auf. Und fand immer mehr Frauen, die es Constad nachtaten und an die Öffentlichkeit traten. Fast 60 „Bill Cosby survivors“ soll es geben, die Zahlen variieren und die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. 2018 wurde Bill Cosby verurteilt – dreieinhalb Jahre Haft für den heute 82-Jährigen wegen schwerer sexueller Nötigung –, doch nur in drei Fällen. Viele der Verbrechen gelten nach den Gesetzen der US-Staaten, in denen Cosby sie beging, bereits als verjährt, liegen teils Jahrzehnte zurück. Haben sie deshalb keinen Anspruch mehr auf Gerechtigkeit?
Unter anderem dieser Frage geht der Podcast „Chasing Cosby“ nach. Und dankenswerter Weise liegt der Sechsteiler (plus Liveshow-Bonus) den Fokus auf die Opfer, die Menschen und Schicksale hinter den Verbrechen. Erzählt, wie die Frauen Cosby, einen wahren nice guy nicht nur auf der Bühne, kennen lernten. Es entpuppt sich ein regelrechtes Muster dabei: Der Star-Entertainer spielt irgendwo in einem Resort- oder Luxushotel in den Staaten, in Reno, Las Vegas oder Atlantic City, seine Show. Lädt sich ein junges Mädchen aufs Zimmer, mal eine Servicekraft, mal eine Masseurin, mal eine aufstrebende Schauspielerin, die er zu fördern verspricht – nicht selten sind es Models, die er von Agenturen gezielt zu sich schicken lässt. Teilweise treten die Schauspielerinnen in seiner Show auf, etwa in der Rolle der Mrs. Minifield (gespielt von Lili Bernard) im Debütjahr der Serie 1984.
Icon Intimidation
Mit Drinks, den er heimlich ein Sedativum beimischt, manchmal auch mit angeblichen Beruhigungspillen, macht er sie willen- und hilflos, vergewaltigt sie, während sie sich im Delirium befinden. Zum Muster gehört auch, dass die jungen Frauen, wenn sie Stunden später wieder erwachen, kaum erinnern können, was geschehen ist, mitunter verdrängen sie es, mitunter rät ihnen das Umfeld dazu – Bill Cosby ist in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein Gigant, der auch Karrieren zerstören kann. Womit er den Frauen mitunter selbst im Nachhinein droht, bisweilen ruft er sie aber auch zu einem völlig normalen Schnack „am Tag danach“ an. Es mutet unglaublich, fast absurd an. Die Dreistigkeit Cosbys offenbart, wie tief die icon intimidation greift, die erhöhte Wirkmacht der Einschüchterung, ist der Täter zugleich ein Star – #metoo hat das ganze bittere Ausmaß dieses Macht-Missbrauchs zu Tage gebracht.
Dass sich die Taten, die Cosby begangen hat, strukturell stark ähneln, ist für eine Podcast-Dramaturgie – so bescheuert das klingt – leider nicht hilfreich. „Chasing Cosby“ versucht durch teilweise sehr dramatische Musik – düster, wenn es um Cosbys Untaten geht, glöckchenhell in Momenten der Gerechtigkeit – die Spannung aufrecht zu halten. Das ist etwas billig und schrappt knapp an RTL2 vorbei. Auch die ohne Breaker-Warnung eingestreute und viel zu häufige Werbung ist ein dicker Abzug in der B-Note. Nun, am Ende ist es eben doch eine US-Produktion. Letztlich hat „Chasing Cosby“ durch viele Statements der Betroffenen erstens eine Menge an harter Information zu bieten und mit gut gemachten Cliffhangern und einem retardierenden Moment (zwischenzeitliche Niederlage vor Gericht) sowie einem „glücklichen“ Ende alles, was eine ordentliche Serie braucht. Nur darf man dabei eines nicht aus den Augen bzw. Ohren verlieren: Bill Cosby hat viele Existenzen zerstört, einige Frauen hatten danach nie wieder eine Beziehung, viele können bis heute kein glückliches Leben führen. Der Verurteilte streitet bis heute jegliche Straftat ab und kann sich entweder nicht an die Frauen erinnern oder behauptet, der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich geschehen. Übrigens: Nicht nur seine Ehefrau hält weiter zu ihm, auch Phylicia Rashad, seine Rollen-Gattin Clair in der Cosby-Show – sie vermutet hinter den kollektiven Anschuldigungen eine orchestrierte Hetzkampagne.