Water Works – Geschichten aus Südafrikas (Wasser)kriseTeil 7 | Fischen nach Fischen – eine Konservations-Konversation
13.7.2020 • Gesellschaft – Text & Fotos: Julia KauschDas südafrikanische Westkap ist etwa so groß wie Griechenland, und dennoch verbucht die Region nur rund zehn Prozent der Landmasse Südafrikas für sich. Sand, Meer, Wildtiere: Die Gegend nördlich von Kapstadt ist ein Hotspot – vor allem für neue Geschäftsmodelle der Lebensmittel-Produktion mit Schwerpunkt auf Fischzucht. Aber: Einfach ist das alles nicht. Denn wo Aquakulturen ein Zukunftsversprechen sind, stören Umweltschäden das wirtschaftliche Wachstum. Julia Kausch hat sich mit Kevin Schmidt unterhalten. Der Taucher arbeitet für „Anchor Environmental“, eine Beratungsfirma, die Gutachten über den Status Quo des Ökosystems erstellt. Gemeinsam mit der Regierung und allen anderen Beteiligten soll ein zukunftskompatibler Fahrplan entwickelt werden für die verantwortungsvolle Ausbeutung der Region. Die Frage, die alle beschäftigt: Woher kommt die ganze Scheiße?
Es ist Sommer 2020, Anfang Februar. Die Welt, zumindest an Südafrikas Westkap, scheint noch die letzten Züge der Normalität zu genießen. Im weißen Land Rover fahren wir, ein Freund und ich, auf der R27 gen Norden in Richtung Paternoster. Der kleine Fischerort liegt etwa zwei Autostunden von Kapstadt entfernt. Der Küste folgend, vorbei an Melkbosstrand und Koeberg, Grotto Bay und Jakkalfontein, gibt es nicht viel zu sehen: Dünen zur Rechten, links das Meer, hier und da läuft ein Strauß durch die Landschaft. Wir passieren Atlantis, das ebenso menschenleer erscheint und dessen eigentlicher Schatz unter den Dünen nur zu erahnen ist: eine der größten Sandwasserleitern am Westkap – Meer, Dünen und Abwasser im Einklang. Scheinbar zumindest. Denn immer wieder hört und liest man von Scheiße, die direkt in das Meer gepumpt würde. Festgehalten in oxymoron-traumhaften Luftaufnahmen von Naturschutzfotograf Jean Tresfon: Die dunkelgrünen Wolken in türkisblauem Wasser à la Bob Ross erwecken zwar kitschiges Postkartenfeeling, führen jedoch bei längerem Nachdenken zu Würgereiz. Das Grün ist dem Abwasser zu verdanken. Wie Dr. Jo Barnes der Universität Stellenbosch Cape Talk erklärt, werde das Wasser nicht hinreichend gefiltert, dafür aber an verschiedenen Stellen auf Schadstoffe getestet. Das alles erkennen wir aus dem fahrenden Auto nicht, unterhalten uns jedoch angeregt über mögliche Ursachen. Korruption, undichte Leitungen oder Nachlässigkeit seitens der zuständigen Behörden? Womöglich macht hier die Mischung das Gift.
Kaltes, klares Wasser?
Vier Monate später. Ich sitze in einer kleinen Holzhütte in Ericeira, einem Surfer- und Fischerort Portugals. Die Welt ist nun vollends lahmgelegt, befindet sich im kollektiven Limbo und alle Flüge, so also auch meiner nach Südafrika, wurden gecancelt. Dort wurde der Lockdown, einer der härtesten der Welt, Anfang Juni von Stage 4 auf Stage 3 gesenkt. Weil Online weiterhin das neue Offline bleibt, klicke ich auf das ozeanblaue Zoom-Logo in meiner Task-Leiste und öffne das zuvor festgelegte Meeting. Nach wenigen Minuten erscheint eine Teilnehmeranfrage in der Liste: Kevin Schmidt versteht sich auf die Ökosysteme der Meere, arbeitet in Südafrika, stammt jedoch aus den USA. Diese Lebenseckdaten werden bei Zoom zwar (noch) nicht angezeigt, doch lässt die jüngste Datafizierung und Technisierung keinen Zweifel daran, dass junge und alte Internetriesen hier auf ihre Kosten kommen und sich die neue Informationsflut nicht entgehen lassen. Es flackert kurz und Kevins Gesicht taucht auf meinem Bildschirm auf. In einen dicken, grauen Wollpullover eingewickelt, strahlt er mir entgegen. Es ist Winteranfang in Südafrika, also Sommeranfang auf der Nordhalbkugel – wenigstens das. Weil eine Krise die vorherige ja bekanntermaßen in den Köpfen vieler ungültig macht, ist die Sache mit dem Wasser jetzt vielleicht auch einfach scheißegal. Hauptsache 20 Sekunden Händewaschen und dabei das Wasser laufen lassen. So läuft es jetzt? Not so much, erklärt Kevin, zumindest nicht in Südafrika. Zwar sei gerade Winter und damit langersehnte Regenzeit am Westkap, die Wasserkrise jedoch keineswegs vorüber und Wasser in Zeiten von Corona umso wichtiger.
„Ich musste beim Auftauchen Windeln, Q-Tips und Chips-Packungen aus dem Weg schieben.“
Die Holzhütte und mein blaues Blumenkleid verleihen meinem Zoom-Fenster einen Touch von David Lynch, das jetzt im krassen Kontrast zu Kevins weiß gestrichener Küche steht: rustikal gegen gleißenden Himmel, Sommer gegen Winter. Aber: In der Scheiße sitzen wir alle, wie er zu bedenken gibt. Stimmt. Wie also steht es mit der Scheiße um die Halbinsel des Westkaps? „Viele meiner jüngsten Tauchgänge drehten sich um das Thema“, erklärt Kevin. „Die bekannten Fotos stammen von Drohnenaufnahmen der Abwassermündungen, die im Nachhinein bearbeitet wurden, damit das Ganze noch schlimmer aussieht. Ich selbst bin in dieser Abwasserwolke getaucht und es ist zugegebenermaßen absolut widerlich. Ich musste beim Auftauchen Windeln, Q-Tips und Chipspackungen aus dem Weg schieben.“
Die Mündungen laufen an drei Stellen aus: Green Point, Camps Bay und Hout Bay. Natürlich geben Fotos allein keinen Aufschluss über die Wasserqualität der Halbinsel. Ein ganzheitliches Bild aus Wasser- und Sedimentproben ist wesentlich, wenn es um Konservationsarbeit am Kap geht, meint Kevin. „Mein Gesamteindruck ist, dass die Qualität sehr variabel ist.“ Er arbeitet für Anchor Environmental, eine Beratungsfirma, die Wasser- und Biomasseproben entnimmt, diese auf unterschiedliche Art testet und anschließend Modelle erstellt, die mögliche Umwelteinflüsse vorhersagen sollen. An dieser Stelle weist Kevin darauf hin, dass das Interview nur seine eigenen Sichtweisen widerspiegelt, nicht aber die seines Arbeitgebers. Of course. „Wir befestigen beispielsweise Unterwasserbojen, an denen jeweils ein Beutel Muscheln hängt. Diese werden nach zwei Monaten im Meer eingesammelt, gesiebt, gewaschen und dann analysiert: Schadstoffe und alles, was sich in der Zwischenzeit in den Muscheln gesammelt hat, wird getestet. An allen Ausläufen haben wir zwölf dieser Muschelbeutel befestigt, sodass wir auf insgesamt 40 Proben kommen“, erklärt er. Leider gingen einige Proben auch verloren. „Einer der Standorte liegt in der Nähe der V&A Waterfront. Es handelt sich also um einen viel befahrenen Hafenabschnitt, sodass die Proben häufig von großen Schiffen eingesogen oder von Sturmfluten weggeschwemmt werden. Im letzten Jahr blieben etwa 25 bis 30 Muschelbeutel, die wir getestet haben. Vor kurzem haben wir die zweite Ladung eingeholt.“ Woher also kommt der ganze Dreck? Er pausiert und setzt an: „Das Merkwürdige ist, dass das Abwasser von anderer Stelle zu kommen scheint, was auf eine undichte Stelle oder eine Überbrückung hinweisen könnte. Das ist alles nichts Neues und die City of Cape Town ist sich der Problematik bewusst.“
Die raue Küste, Menschen in verarmten Teilen der Stadt und damit verbundene Unklarheit, woher das Abwasser stammt sowie durch Bürokratiewahnsinn erschwerte Verhältnisse, bilden Hürden bei der schnellen Lösung des Problems. Bis eine Lösung gefunden ist, versuchen Kevin und sein Team das Ausmaß der Verschmutzung zu untersuchen. Informationen rund um Wasserqualität, welche sich nach verschiedenen Faktoren wie pH-Wert, Bakterien wie etwa E.Coli, Salz- Trübheits-, und Sauerstoffgehalt filtern lassen, werden auch öffentlich, beispielsweise vom Center for Science and Industrial Research (CSIR) über die The Oceans and Costal Integrated Management Services (OCIMS) bereitgestellt. Kevin gibt nur vage Auskunft über tatsächliche Messergebnisse – ganz Wissenschaftler, geht es ihm nicht um Erkenntnisse, die aus schwammigen Korrelationen im schiefgestapelten Tetris-Verfahren zusammengeschustert und dann zu reißerischen Schlagzeilen verarbeitet werden. Es brauche Langzeitstudien und sukzessive Messungen, um die bestmögliche Konservation zu gewährleisten. „Wir haben ein ganzes Team von Leuten, die an der terrestrischen Seite, den Gezeitenzonen, der Taxonomie und Ozeanographie arbeiten. Ich bin Teil des Tauchteams – an den tatsächlichen Berichten arbeiten andere im Team, von denen einige sogar Angst vor dem Wasser haben. Wenn eine Firma oder Organisation also ein Projekt in Planung hat, können sie uns anrufen und wir erstellen eine Ausgangsbewertung der jeweiligen Umgebung, bevor mit dem Bau oder ähnlichem begonnen wurde.“
Schätze der Westküste
Zwar ist es etwa so groß wie Griechenland, dafür verbucht das Westkap nur rund zehn Prozent der Landesmasse Südafrikas für sich: Sand, Meer, Wildtiere. Wer weiter nach oben fährt, stößt irgendwann auf das Sperrgebiet Namibias. Ja, so heißt es wirklich, sodass man sich die Übersetzung ins Deutsche gleich sparen kann. Gemeint sind die Diamantenminen an der Grenze zu Südafrika. Das Gebiet stand zunächst unter deutscher Kolonialherrschaft und wurde später von Jan Smuts und südafrikanischen Gefährten als Trumpfkarte mitsamt Namibia übernommen, bis das Land in den 1990er-Jahren seine Unabhängigkeit erklärte. Einige der küstennahen sowie an Land liegenden Diamantenminen werden nun von Anchor Environmental geprüft, um mögliche Einflüsse auf das Küstengebiet zu ermitteln. Gezeitenzonenstudien und Sandstranduntersuchungen sind nur zwei Parameter unter einer Vielzahl von Aspekten: Simulationen, Szenarioanalyse oder Ökosystemevaluierung, „dies ist vermutlich eines der vielseitigsten Projekte, an dem ich je gearbeitet habe“, sagt Kevin.
Etwas weiter südlich und einige Monate zuvor sind wir auf der Küstenstraßen nach Paternoster unterwegs. Dort, so erklärt mein Bekannter, gäbe es frischen Fisch, Austern, Langusten – wie immer gepaart mit lokalem Wein. Super, sage ich und zücke auf dem Beifahrersitz mein Smartphone. Die Sprach-app „Duolingo“ – vielleicht ebenfalls Kolonialisationsspätfolge oder einfach Globalisierungssymptom? – klingelt bei jeder richtig beantworteten Portugiesisch-Aufgabe, öfter aber auch nicht. Wann gibt es endlich Wein? Dauert noch. Saldanha erscheint auf den Straßenschildern, diesmal bin ich sicher: namentliches Relikt der Kolonialzeit. Benannt wurde die Bucht nach Kapitän António de Saldanha, der 1503 von Portugal nach Afrika über setzte. Richtig? Nicht ganz, denn eigentlich wurde eine ganz andere Bucht, Table Bay, nach dem Kapitän benannt. Weil Kartographie damals eher nach Augenmaß funktionierte und eine Bucht der anderen eben ziemlich gleicht, vermutete der holländische Seefahrer Spillberg, dass er in Saldanha (das heutige Table Bay) sei, als er rund 100 Jahre später dort einschipperte. Die fälschliche Lokalisierung seines Hafens, der nun der tiefste Naturhafen in Südafrika ist (das alte Saldanha wurde umbenannt und war viel flacher) ließe dem Kapitän Saldanha wohl die Zehennägel aufrollen. Und wenn das nicht ausreicht, dann ist da immer noch die Aussprache: Anstatt Saldanja wird im Englischen jede Referenz ins Portugiesische negiert – Saldana heißt es hier.
„Wir nutzen Schlepp- und Kiemennetze, um Fische zu fangen und anschließend zu messen, um sie dann in Artenvielfalts- und Biomasseindexen festzuhalten.“
Zurück am Bildschirm, dem Großen und nun wirklich in Portugal, virtuell aber zurück in Südafrika, erklärt Kevin die Einzigartigkeit dieser Bucht: „Es ist eine wunderschöne Lagune, die in zwei Areale aufgeteilt ist: Auf der einen Seite liegt die große Bucht, sehr exponiert an der Zuflussmündung. Auf der anderen Seite gibt es die lange Lagune, Small Bay, die von der Küstenbarriere geschützt wird. Solche Gebiete sind wahre Hotspots für neue Bebauungsprojekte, Fischerei und Aquakultur.“ Schon seit rund sieben Jahren beauftragt die Gemeinde Saldanhas deshalb Anchor Environmental, die Bucht in einem State of the Bay Report zu analysieren. „Was passiert in der Bucht? Welche Vögel und Fische wurden gesichtet? Wir nutzen Schlepp- und Kiemennetze, um Fische zu fangen und anschließend zu messen, um sie dann in Artenvielfalts- und Biomasseindexen festzuhalten.“ Kevin ist dabei mit einem großen Staubsauger am Meeresboden unterwegs. „Wie bei einem kleinen Aquarium also, aus welchem Kinder beim Saubermachen alles eher willkürlich einsaugen, was nicht schnell genug davonschwimmt. Wenn manchmal blöderweise doch etwas im Mund landet, wird dies anschließend direkt mit angewidertem Blick ins Becken zurückgespuckt. So ein Staubsauger?“, frage ich. „Ja, so in etwa. Ich tauche dann mit dem Ding runter, an manchen Stellen einen Meter, an anderen 20 Meter tief und sauge Sedimente ein.“ Kevin macht jetzt Staubsaugergeräusche und fährt fort: „Darin finden sich Würmer, Garnelen und vieles mehr. All das stecken wir in Eimer und erhalten so die Invertebraten (Wirbellosen, Anm. d. Red.), bevor wir sie in unsere Labore mitnehmen. Dort werden alle Feststoffe ausgesiebt, damit nur die Biomasse zurückbleibt.“
Mikroskopische Partikel, Sandflöhe, Garnelen – aus allem wird eine Artenvielfaltsmatrix der Invertebraten erstellt, die im weichen Sandboden der Lagune leben. Das Ganze trägt den eher niedlich klingenden Namen BACI: Before after control impact assessment. Es soll dabei helfen herauszufinden, ob sich die Lagune über die Zeit erholt oder sich ihr Zustand verschlechtert. „Wichtig ist das beispielsweise für die Planung einer Finner-Aquakulturanlage, die in der Bucht Saldanhas entsteht. Auch dafür erstellen wir eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Wir fragen uns also: Wie ist der Stand vorher und welche möglichen Folgen kann eine solche Anlage auf die verhältnismäßige Artenvielfalt in der Gegend haben?“
Zucht und Ordnung?
Wir biegen auf die Westküstenhalbinsel, deren größte Stadt Vredenburg bildet – Verwaltungssitz Saldanha Bays. An den Ampeln, an denen wir in der kleinen Stadt auch tatsächlich anhalten, begrüßen uns Gruppen adoleszenter Jugendlicher. Sie kommen direkt auf uns zugerannt, ziehen schon beim Laufen noch lebende Langusten aus ihren Eimern und schieben diese bei Ankunft am Auto halb durch unsere halboffenen Fenster schieben. „Ganz frisch und lecker“. Klar. Es wird grün, wir fahren weiter und kommen 15 Minuten später in Paternoster an. Die Stadt ist etwas weiter nördlich an der Küste gelegen und wirklich winzig. Der gemeinsame Nenner ist aber auch hier: Fisch. Vom Braai (also Grill), gebacken, gebraten, frittiert, gekocht, ja sogar getrocknet. Bokkoms heißt der stinkige Trockenfisch, der an eine Mischung aus Biltong – Südafrikas Trockenfleischspezialität – und dem portugiesischen, gesalzenen Fisch erinnert. Bokkoms muss nach dem Auspacken direkt gegessen werden, wenn man damit nicht gerade jemanden aus einer Ohnmacht aufwecken muss. Und natürlich auch hier: Crayfish. Erst am Abend finden wir heraus, dass diese in der Gegend total überfischt sind: Ein Warnhinweis in der Toilettenkabine eines Restaurants weist darauf hin, dass Langusten unter keinen Umständen gekauft werden sollten, um den Bestand zu schützen. Als Lektüre vorm Schlafengehen gibt es da nur eins: David Foster Wallaces Am Beispiel des Hummers – eine kulinarische Reise zum Hummerfestival in Maine, an Hand dessen Wallace den Kapitalismus auseinandernimmt.
Gerade die Westküste, vielleicht das Maine Südafrikas, bietet sich für Fischfarmen geradezu an: „Aquakultur ist wirklich einer der schnellsten wachsenden Bereiche der Fischerei und gerade in der Meeresbiologie noch unterbesetzt.“ Dabei ist immer wieder von fehlgeschlagenen Versuchen die Rede. Trotzdem scheint die Idee auf den ersten Blick super: Damit die Meere, die ohnehin ziemlich überfischt sind und so auch andere Artenbestände gefährden – die Gefährdung der natürlichen Nahrungskette, Delfine, Wale, also Beifang in Netzen, ein Ungleichgewicht der Ökosystemen in Süß- und Salzwasserbeständen – entlastet werden, sollen Fische kurzerhand gezüchtet werden. „Es ist ganz ähnlich wie beispielsweise der Elfenbeinmarkt: Um den Schwarzmarkt auszuhebeln, wird der Markt eben mit den Produkten geflutet,“ sagt Kevin. Leider funktionierte das aber schon beim Elfenbein nicht: Wie die Princeton University schreibt, habe dies die illegale Produktion sogar weiter angetrieben.
Doch zurück zur Aquakultur: Riesige Abalone-Muschel-Anlagen wurden um die Halbinsel des Westkaps erbaut, um Millionen von Zuchttieren entweder in freier Wildbahn auszusähen oder aufzuziehen, um sie später auf dem internationalen Markt zu verkaufen. Auch hier will man damit die Preise des Schwarzmarkts in den Keller treiben. Natürlich birgt diese Niedrigpreispolitik ihre Gefahren: Wie Greenpeace zu bedenken gibt, hat die Fischzucht häufig enorme negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschen. Sie reichen von der Zerstörung des Lebensraums in Küstengebieten, erhöhtem Frischwasserverbrauch, der Nutzung von Chemikalien und allgemeiner Verschmutzung bis zu einer weiteren Überfischung der Meere, damit Fischmehl als Futter angeschafft werden kann. Bald soll neben der Finner-Fischfarm in Saldanha noch eine Lachsfarm an der Waterfront ihre Tore öffnen, erklärt Kevin. Jedoch können Blau- und Makrelenhaie oder Thunfisch nicht so einfach gezüchtet werden, sodass der Schwarzmarkt der Langleinenfischerei weiterhin groß ist. Und die Nachteile? „Die sind weitgehend bekannt! Die Farmen selbst sind für Abwasser, Abfälle und Umwelteinflüsse verantwortlich. Beratungsfirmen wie Anchor Environmental können nur das faktische Rahmenwerk liefern.“
Reguliert werden Aquakulturen vom Department of Agriculture Forestry and Fisheries (DAFF), das Richtwerte für Absonderungen wie Spurenmetalle, Nitrate, Sauerstoff, Salz und Schwebestoffe festlegt. „Meine Firma erstellt Modelle, wie schnell sich diese auflösen und ob daraus ein direkter Einfluss auf die Umwelt hervorgeht. Danach müssen die Betriebe dann entscheiden, ob sie neue Geräte kaufen oder andere Maßnahmen ergreifen müssen. Hier gibt es eine enge Zusammenarbeit, wobei wir als Wissenschaftler*innen nicht die Vollstreckenden sind. Objektiv und unparteiisch zu bleiben, ist sehr wichtig, auch wenn das manchmal nicht leicht fällt.“* Aber: Es bestehe ein gutes Netzwerk zwischen Forschenden und politischen Entscheidungsträgern, was konstantes Testen und die aktive Forschung rund um Aquakultur umso wichtiger mache, um die noch vorhandenen Problematiken zu beheben und Meere irgendwann optimal entlasten zu können.
Run auf die Ostküste
Kevin lernte ich im letzten südhemispherischen Winter am Ostkap kennen, wo er als Tauchführer in Cintsa arbeitete. Zwischen Mai und Juli kann dort der Sardine Run erlebt werden, die Wanderung der Sardinen die Küste entlang in Richtung Port Elizabeth. Den riesigen Sardinenschwärmen folgen Delfine, Wale, größere Fische, Vögel, Robben – alles folgt den Migrationsrouten der Sardinen. „Sardinen und Sardellen folgen Temperatur- und Salzveränderungen: Wenn das Wasser kalt genug ist, zieht es sie in den Indischen Ozean. Gerade Übersalzung durch die während der Wasserkrise anhaltende Trockenheit kann dabei Auswirkungen haben, wobei diese vor allem auf Süßwasser und Mündungsgebiete Einfluss nehmen.“
Welche Effekte selbst die kleinsten Veränderungen oder invasiven Spezies haben können, erklärt er an einem seiner ersten Tauchgänge für Anchor Environmental: 2017 evaluierte er in East London ein stillgelegtes, 300 Meter langes Frachtschiff, die Cherry Blossom, die aus Marokko übergesetzt hatte. Wegen eines langen Gerichtsverfahrens stand sie also vor dem Hafen East Londons, nachdem die Hafenverwaltung das Schiff an Ort und Stelle „eingefroren“ hatte. Bevor das Schiff bewegt werden konnte, musste außerdem festgestellt werden, ob das Ballastwasser und die sich am Rumpf des Schiffs angesammelten Korallen und Tiere aus Marokko stammten. „Es konnte nicht einfach gesäubert werden, bevor klar war, woher die Ansammlungen kamen, die bereits an ein riesiges Riff erinnerten, in dem sogar Oktopusse lebten. Wir haben also acht Stellen unterhalb des Schiffs getestet, um herauszufinden, ob es sich um invasive Arten handelt.“
Vielleicht ist die Kontrolle und Kollaboration mit genau diesen Firmen essentiell, um den Einfluss auf die Umwelt auf dem Minimum zu halten, anstatt sie zu verdammen. Gehen Forschung, Kollaboration mit Firmen und Regierungen und Baum-Umarmer-Konservation zusammen? Klar: „2019 sind wir wegen eines Auftrags für eine Öl- und Gasfirma nach Matola in Mozambik geflogen. Dabei ging es um Erzfracht, für welche eine vier Kilometer lange Pipeline durch eine Mangrove gebaut werden sollte. Ein anderes Beispiel ist Sasol, die ebenfalls in Mozambik operieren, jedoch offshore vor Bazaruto“, erklärt Kevin. Dieses Projekt sei aufgrund der Ergebnisse glücklicherweise nicht zustandegekommen. „Wenn die Gemeinden, Betreibenden, Forschenden und Regierungen nur lang genug ihre Köpfe aus ihren Hintern ziehen könnten, um zusammenzuarbeiten, hätten wir kaum mehr Probleme. Leider schlägt die Gemeinschaft einen guten Streit nie aus, der durch Geschichten über Unrecht angestachelt wird, die dann auf Social Media bis zum Erbrechen geteilt werden. Das Ganze findet im Umkehrschluss seinen Weg in die Medien.“
Die Regierung, zwar korrupt und oft träge, versucht ihren Job zu machen, dem die mediale Verbreitung und daraus resultierenden Schreie nach sofortiger Problemlösung ein Bein stellen, sagt Kevin. „Es ist meine natürliche Denkweise, diese Gemeinde besser zu machen. Menschen, die sich aber täglich durchkämpfen und vielleicht kein Einkommen haben, müssen sich mit ganz anderen Problemen befassen. Die Menschen müssen lernen, weiter in die Zukunft zu blicken, die nächsten zehn bis 20 Jahre zu planen. Aber das ist leichter gesagt als getan.“
Im Land Rover sind wir bereits auf dem Rückweg nach Kapstadt. Diesmal gab es keinen Fisch für mich. Ob das geholfen hat? Vielleicht. Die Sonne steht steil am Horizont. Die Silhouette eines Anglers auf den Klippen zeichnet sich scharf gegen ihn ab. Das vor ihm liegende Meer ist in leuchtendes Gold getaucht.