Rein in den Bau, raus aus dem BauPodcast-Kritik: Rabbit Hole
3.6.2020 • Gesellschaft – Text: Jan-Peter WulfVerschwörungstheorien und -mythen haben zurzeit mal wieder Hochkonjunktur. Wie funktionieren sie eigentlich beziehungsweise: Wie erzielen sie so viel Aufmerksamkeit und Wirkmacht? Ein Podcast der New York Times versucht, dem „Kaninchenbau“ auf den Grund zu gehen.
Kürzlich spülte mir Facebook das Profil eines ehemaligen Arbeitskollegen hoch: Ob ich ihm nicht die Freundschaft anbieten wolle, schlug der Algorithmus mir vor. Das wäre zu viel des Guten, fast 20 Jahre liegt der letzte Kontakt zurück. Aber was aus dem Kollegen geworden ist, interessierte mich denn doch. Eine Tätigkeit als Therapeut hatte der studierte Pädagoge nach seiner Zeit als Redakteur bei unserem damaligen Arbeitgeber aufgenommen. Wohl recht erfolgreich, wenn ich mich recht erinnere. Und nun? Postete er wenige Tage vor meinem Onlinestalking in seinem Profil ein Video. Darin steht er auf einem kleinen Podest in einer großen deutschen Stadt, auf einer „Hygiene-Demo“. Dem im Clip nicht sichtbaren Publikum erklärt, dass Bill Gates hinter allem stecke. Dass er nicht nur den Virologen Christian Drosten und die WHO bezahle, sondern auch Chips in unseren Körper injiziere. Aluminium, 5G, Körperkontrolle: die ganz große Hafenrundfahrt also. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen oder gar das unsägliche Video verlinken, der Mann tut mir leid. Aber natürlich stellte sich mir die Frage: Wo und wann ist er falsch abgebogen? Ich werde es wohl nicht erfahren, und das ist vielleicht auch besser so.
Aber auch allgemein ist die Fragestellung natürlich sehr spannend und derzeit noch einmal umso mehr. Wie kommt es dazu, dass so viele Menschen an Verschwörungen glauben oder sie aktiv weiter kommunizieren? Daran, dass „die da oben“ uns an der Nase herum führen, dass hinter allem, was so passiert, ein Plan steht und es Zeit ist, aufzuwachen und, wie bei jener Demo gegen „Corona-Diktaktur“, dagegen aufzubegehren? Damit beschäftigt sich Rabbit Hole, ein neuer Podcast der New York Times. Der Mehrteiler begleitet und dokumentiert anfänglich den Weg von Caleb Cain, einem scheinbar typischen Opfer von Verschwörungsmythen: Einzelgänger schon in der Schule, das College abgebrochen. Massiver Medienkonsum, speziell der von YouTube-Videos mit erklärenden Botschaften zu verschiedenen „Wahrheiten“ hinter gesellschaftspolitischen Phänomenen. Cain tappt in die Alt-Right-Falle. Irgendwann lädt er selbst ein Video hoch, in dem er seinen Irrweg durch die „rabbit holes“ der rechtsideologischen Bewegtbilder zum Thema macht. Politisch sei er geläutert, lossagen will er sich von seinem exzessiven Content-Konsum aber keinesfalls.
Warum wird jemand wie Cain quasi abhängig in Form (Bingewatching) und Inhalt (immer krudere Theorien)? Es hängt, so wird im Podcast argumentiert, viel mit YouTubes ursprünglicher Art der Video-Auslieferung zusammen: Ist eines zu Ende, wird ein ähnliches empfohlen bzw. geht gleich los. Soll heißen: Biegt man einmal falsch ab und kommt zu einem strangen Content, steht der nächste gleich Schlange. Ausgewogenheit, Gegendarstellung etc. sind Fehlanzeige – es ging darum, die Laufzeit zu maximieren.
Das berichtet im Verlauf des Podcasts ein ehemaliger Mitarbeiter von Google, der den perfiden Video-Algorithmus zuerst mit programmiert hat und dann, sein Kritiker geworden und auf die Problematik aufmerksam machend, gegangen wurde. Auch die aktuelle YouTube-Chefin Susan Wojcicki kommt zu Wort, spricht natürlich von Verantwortung und wie man dieser nachkomme, auch wenn es Clicks und Verweildauer koste. Dann geht es um das Phänomen PewDiePie und wie aus einem blassen schwedischen Jungen Felix Kjellberg, der Videospiele spielt und dabei live vor der digitalen Zuschauerschaft kommentiert, zum größten Influencer der Gegenwart wurde – und irgendwann Nazi-Symboliken in seine Videos einbaute. Von diesem „Fauxpas“ distanzierte er sich dann irgendwann. Und beendete dann auch seine umstrittene Medienkampagne, die zum Abonnieren seines Kanals aufrief – der Attentäter von Christchurch hatte diesen Aufruf in jenem Video verbal geteilt, mit dem er wie in einem „Let's Play“ streamte, wie er Menschen erschoss. Kjellberg, das zeigt sich nach einer Interview-Episode des Podcasts mit ihm, kann zum Thema auf der Draufschau-Ebene eigentlich kaum etwas beitragen. Er ist jemand, der hauptsächlich zockt und das kommentiert. Wäre es doch nur dabei geblieben.
Leider fehlt auch den Machern des Podcasts diese Draufschau-Ebene. Sie halten das Thema oft nur leidlich zusammen, immer wieder muss man sich vergegenwärtigen, worum es gerade im Einzelnen geht und warum. Die Episoden-Schwerpunkte sind manchmal nur wenig verbunden, sodass das Gesamtgefüge mehr wie eine lose Reihe denn als eine Serie rüberkommt. So sehr das einordnende, wiederholende und mit „an dieser Stelle müssen wir noch mal zurück zu“ durch die Audio-Diegese leitende Voiceover in Podcasts oft zu didaktisch gerät, hier fehlt es. Mal scheinen Diskussionen geradezu auszuufern, dann wieder stolpert der Hörende über unvermittelt eingestreute Soundsnippets. Plötzlich geht es um Qanon, darum muss es natürlich auch gehen, aber wie kamen wir da jetzt hin? Kein Vergleich mit dem großartigen New-York-Times-Podcast Caliphate der einen mitunter in den Ohrensessel drückt. Da sind Rezos neues Video über die Rolle der Medien hinsichtlich Verschwörungen, Fakes und Vertrauensverlust sowie das t3n-Podcast-Gespräch mit der Autorin „Fake Facts“ Katharina Nocun über Verschwörungstheorien und wie man mit Menschen umgeht, die ihnen verfallen sind, spannender und hilfreicher: Sollte ich meinen ehemaligen Kollegen doch mal treffen, ob in echt oder im Netz, wüsste ich nun, wie ich ihm begegnen kann, ohne dass es zum Affront wird.