Water Works – Geschichten aus Südafrikas WasserkriseTeil 4 | The End of the World
5.3.2020 • Gesellschaft – Text & Fotos: Julia KauschKolonialismus vs. Kapitalismus, Wasserknappheit vs -überfluss, arm vs. reich, Profit und Korruption vs. sichere Zukunft: Im vierten Teil von „Water Works“ zeigt Julia Kausch, wie die koloniale Vergangenheit und damit verbundenen Praktiken Südafrika und angrenzende Länder noch heute prägen. Sie berichtet nicht nur über das, was sich damals zugetragen hat, sondern auch aus mehreren Perspektiven. Vom Kap der Guten Hoffnung in Südafrika und vom „Ende der Welt“, dem Cabo de São Vicente bei Sagres in Portugal, einem Land, deren Seefahrer, Militärs, Politiker und Geschäftsleute im südlichen Afrika bis spät ins 20. Jahrhundert ihre Vormachtstellung auslebten.
Wasser ist ein kostbares und endliches Gut. Wie kostbar es wirklich ist, lässt sich mittlerweile auch hierzulande ob des dramatischen Klimawandels immer mehr erahnen. Wasserknappheit ist schon lange kein Problem mehr, das wir als wohlstandsverwöhnte Europäer ignorieren können. Andere Regionen sind noch schlechter dran. Ab 2015 sah sich die südafrikanische Provinz Westkap mit einer dramatischen Situation konfrontiert: Dürre und Trockenheit ließen die Wasserreserven der Region gefährlich schwinden. Anfang 2018 schließlich wurden die Szenarien für den „Day Zero“ veröffentlicht, dem Tag, an dem das Wasser aufgebraucht sein würde. Genau in dieser Zeit fuhr Filter-Autorin Julia Kausch nach Südafrika. Um das Land kennenzulernen, vor allem aber auch, um zu surfen und sich dem Wasser der Ozeane kompromisslos auszusetzen. In ihrer Artikel-Serie „Water Works“ erzählt sie Geschichten rund um das Wasser in Südafrika. Episodisch und reportierend setzt sich so Stück für Stück oder Welle für Welle das Bild einer Krise zusammen, die von weit mehr abhängig ist als vom resourcenschonenden Umgang und der Hoffnung auf Regen.
Ich blicke auf den Ozean am Ende der Welt. Atlantikküste zum Winterende – in einer Woche beginnt der Frühling. Natürlich ist der Winter in seiner sonst so dramatischen Vanitas-Vorführung hier in kleinen Dosen verteilt und auf Weichspülprogramm gestellt: milde 10 bis 20 Grad, gelegentlich ein Sonnentag am Strand, das Meer bietet hintergründliches Dauerentspannungsrauschen, manchmal Wellen im Schleudergang. Das Ende der Welt, so wird dieser Küstenabschnitt wirklich genannt, liegt weiter nördlich als gedacht: der südwestlichste Punkt Europas, genauer Sagres (wie das gleichnamige Bier), ein winziges Surfer-Dorf an der portugiesischen Algarve. Die Sonne taucht hinter den wenigen noch im Wasser verbleibenden Surfern im Atlantik ab: Sunset session. Das anliegende Restaurant ist geschlossen, sodass ich mich auf die davor liegende und das Meer überblickende Steinmauer setze. Ob mir nicht kalt sei, fragt ein Mann hinter mir; ein Portugiese in seinen späten 60ern. „Pedro“, stellt er sich vor. Nach Schlaglichtern und mundgerechten Lebenseckdaten tauchen wir direkt in die Materie ein: 1968 ist er vom Militär in Mosambik stationiert worden – Grenzsicherung nach Malawi, Simbabwe, Sambia, Tansania, Swasiland, das seit 2018 nach Umbenennung durch den Monarchen Mswati als Eswatini bekannt ist.
So einfach geht es als Monarch, war aber natürlich im Kolonialismus ganz ähnlich. Als andere europäische Kolonialherrschende ihren kontinental ausgelagerten Sadismus langsam ausklingen ließen, fuhr Portugal noch einmal richtig auf, um die sogenannten Überseeprovinzen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sichern. Nach Ausschreitungen 1964 schickte Portugal unter dem Salazar-Caetano-Regime Streitkräfte (als Forças armadas bekannt, wie Pedro erklärt) nach Mosambik, um das Land ganz direkt vor Ort zu sichern. Bodenschätze und Ressourcen wie Baumwolle, Gold, Kupfer natürlich auch. Cherry on top: Mosambik war für monopolystrategische Imperial- und Handelszwecke optimal platziert: der indische Ozean als Fenster zur Welt. Ansonsten gab es ja genug andere Länder, die kurz besetzt werden könnten. Diese Information ist in Pedros heroischer Erzählung ausgespart, ebenso wie Sklaven, Ausbeutung und Annektierung großer Teile des afrikanischen Kontinents, die der Besetzung, wie er sie erlebte, vorausgegangen war. Es galt: Sicherung der Überseeprovinz.
Einige Wochen zurückgespult: Spätsommer in Kapstadt, die Nadel auf der Weltkarte nun auf die Südhalbkugel gerutscht: -34.270836, 18.459778. Meine Freundin und ich sitzen in meinem schrablligen Atos – für einen Mitsubishi Spider Convertible reicht es auch diesmal nicht. Aber der nun wenigstens schwarze Atos (früher fuhr ich einen weißen) potenziert die Fahrt auf holprigen Schotterstraßen so schön. „African Massage“ nenne man das, erklärt Irinja. Sie ist größtenteils in Finnland aufgewachsen, verbrachte aber einen beträchtlichen Teil ihres Lebens, nämlich die Kindheitsjahre, im Busch, sodass sie an das fröhliche Gehüpfe im Auto mit bestenfalls guten Stoßdämpfern gewöhnt ist. Diese hat mein Auto, wenn denn jemals vorhanden, schon lange nicht mehr; vielleicht waren die Stoßdämpfer nach Jahren der Vermietung weit über den TÜV-zertifizierten Zenit hinaus einfach so abgenudelt, dass das permanente Anspannen der Arschbacken in jedem Fall ratsam ist. Wir hüpfen also, beide mit verkrampften, wenngleich vorfreudigen Gesichtern, durchs Eingangstor des Table Mountain Nature Reserves in Richtung Cape of Good Hope.
Kolonialmarketing
Es war 1652, als die Holländer, also Kapitän Jan van Riebeeck und seine Crew in Cape Town landeten. Natürlich war der Kampf um Afrika zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Gange, die rudernden Sklaven auf den Galeeren auf voller Kraft in Trommelschlagtaktung gen Amerikas unterwegs. Afrikas Kolonialgeschichte, vor allem im europanahen Norden, begann mehr oder weniger bereits im griechischen und römischen Reich, dennoch fiel der volksmündige Startschuss mit der Eroberung der Stadt Ceuta (heutiges Spanien) durch die Portugiesen im Jahr 1415. Flankiert und später abgelöst von Spanien, England und den Niederlanden, hielt Portugal die Peitsche des Imperialismus für knapp 200 Jahre in der Hand. Das strategische Abstecken der weitgehend unbekannten Landkarte gen Süden als Staats- und Einflusserweiterung schien die logische Konsequenz der Zeit.
Ähnlich dem Wettlauf ins All im 21. Jahrhundert galt: Hauptsache das Ziel als Erster erreichen. Mathematik- und Segel-Skills konnten die Portugiesen praktischerweise von den Arabern abgucken, und auch der sich in Europa im 15. Jahrhundert ausbreitenden Pest geografisch geschickt entgehen. Vorne mit dabei: Bartholomeu Dias, der 1487 mit drei Schiffen nach Lüderitz in Namibia schipperte und von dort das Kap Afrikas umrundete. Wie viele andere nach ihm, gingen Dias und seine Crew in den stürmischen Fluten fast drauf. „Cabo das Tormentas“, übersetzt Kap der Stürme, nannte er es dementsprechend. König Johann II empfand den Namen kolonialmarketingtechnisch als zu negativ konnotiert, die Route nach Indien sollte schließlich noch gefunden werden und der Kolonialismus am Zenit jetzt bloß keinen schlechten Ruf bekommen. Kap der Guten Hoffnung (Cabo da Boa Esperança) – Hoffnung auf Reichtum durch Handel und Bodenschätze. Orient, Indien – zu erkunden gab es da ja noch so einiges. Rund zehn Jahre später machte sich Vasco Da Gama auf, Indien vom Kap aus zu erreichen und landete 23 Tage später in Goa: Mission, as they say, accomplished.
Irinja und ich fahren schon eine Weile. Vorbei an rauer Dünenlandschaft, die vom hier peitschenden Wind flach und kahl wirkt, springt der ein oder andere Kudu oder Strauß durchs Bild – standesgemäß der südafrikanischen Weitläufigkeit. Natürlich erwartet man beim Befahren des Naturschutzgebiets großes historisches Kino: Überreste von den in Seenot geratenen Schiffen, Anekdoten der Überfahrt, Hoffnung der Rettung oder Zielerreichung am Kap Afrikas. Nach langem Umherfahren – wir sind ob sparsamer Beschilderung im Reservat zunächst ans andere Ende, also den Strand von Platboom gefahren – biegen wir endlich auf den weitläufigen und um neun Uhr morgens bereits gut gefüllten Parkplatz ein. Baboons rennen rechts und links an den Autos vorbei, dicht gefolgt von Security Guards, die sie mit Stöckern zu verscheuchen suchen, damit die Touristen, vor allem aber ihre Snackpacks, unversehrt bleiben. Der Blick fällt geradewegs auf den am Fuße des Cliffs liegenden Strand: Dias Beach. Kap der Stürme, der ursprünglich von Dias erdachte Name, feuert wie eine Kugel durch meinen Kopf. Das türkisgrüne Wasser, das hier so klar und doch rau ist, bricht mit ganzer Kraft in schaumig weißen Wogen am Sandsteinkliff. Der warme Agulhas-Strom Madagaskars trifft am Agulhas-Kap auf den kälteren Benguela-Strom. Hier, wo Atlantik und indischer Ozean gewaltsam aufeinandertreffen, scheint das wirkliche Ende der Welt zu liegen.
Cape of Goods
In Sagres ist die Sonne mittlerweile gänzlich hinter dem Horizont verschwunden. Die Surfer sind Richtung Strand gepaddelt, um den nun wohl eisigen Temperaturen im Wasser zu entkommen. Pedro steht vor mir und zitiert, wenngleich implizit, die gesamte Kolonialgeschichte Portugals. Wie bei vielen Europäer*innen ist das Eigenverständnis natürlich jenes des Nabels der Welt – das kulturell Bekannte und, ja, in diesem Falle geschichtlich Überlegene die Wahl der Perspektive. Etwa zwei Autostunden nördlich von Sagres, genauer in Sines, wuchs Vasco Da Gama auf, erklärt Pedro stolz. In kulturgeschichtlicher Nacharbeit erzielte Reflexion? Nada. Afrika bot die perfekte Fläche der Staatserweiterung – Ausbeutung und Plünderung der Güter, Überheblichkeitskotzerei der missionarischen Zivilisierungsarbeit, „refreshment Stationen“ für Schiffe und Zwischenstopp für die weitere Gebietserweiterung inbegriffen.
Die klaffenden Bildungs- und Reflexionslücken der differenzierten Betrachtung des (Post-)kolonialismus, ja allgemein des Eurozentrismus, scheinen auch heute omnipräsent – die Narration auf die kollektive Identität der Europäischen Union zugeschnitten und die westliche Welt scheinbar nach wie vor das Maß der Dinge. „Essen für Afrika“? Sure. Für Kolonialzwecke ja damals am wichtigsten: Katholizismus und natürlich damit einhergehende Zivilisierung, Gewürz-, Gold- und Lebensmittelhandel und generell zu dieser Zeit, aber auch heute noch weit verbreiteter Größenwahn. Mehr von allem und bitte sofort bildet ja nach wie vor den wirtschaftlichen Konsens. Natürlich war auch Deutschland nicht weit im Kampf um Macht und Gebietserweiterung: Noch heute wird in vielen Teilen Namibias Deutsch gesprochen, stand es doch lange Zeit unter deutschem und südafrikanischem Stiefel. Südafrika, direkt darunter gelegen und reich an atemberaubender Landschaft, Wind, Wellen, Sonne, vor allem aber Bodenschätzen, ist auch heute noch bekannt für seine Minen: Kohle, Platin, Gold, Diamanten.
Mit Entdeckung des weltgrößten Goldaufkommens im Witwatersrand-Becken und gleichzeitiger Abschaffung der Sklaverei begann Ende des 19. Jahrhunderts der größte Goldrausch der Geschichte. Natürlich waren „nonwhites“ weiterhin verpflichtet, sich als solche auszuweisen. Schlechte Arbeitsverhältnisse bei minimaler Bezahlung, Ausbeutung der Arbeitskräfte und Abtragung der Bodenschätze zu Gunsten weißer Kolonialherren (es waren tatsächlich Herren und Unterdrückung war rhizomartig in die Gesellschaft eingebaut) wurden auch mit der Unabhängigkeitserklärung Südafrikas 1910 nur auf dem Papier aufgehoben. Mehr noch: Es folgte eine neue Art der Machtausübung, nun im Gesetz verankert, die ehemalige Kolonialisten in den neuen Staat eingebürgert. Rassentrennung der Gesellschaft in Townships sowie die offizielle Einführung der Apartheid 1948 verschärften die Bedingungen und Schikanen, welche die nichtweiße Gesellschaftsschicht ertragen musste. Zwar mussten England und Holland ihre Überseeprovinz aufgeben, die Kolonialisten vor Ort wurden aber einfach in die neue Narration eingeschrieben. Kolonialmarketing at its best.
Sturmfluten
Die Sonne steigt weiter am Horizont hinauf. Wir folgen ihrem Vorbild und weichen den über den Parkplatz rennenden Affen aus. Vorbei am Souvenir-Shop, bei Touristenunternehmungen immer essentiell, die Treppe am Südzipfel des Kaps hinauf. Wir schlängeln uns durch die langsamer laufenden Passanten. Noch scheint es beim Leuchtturm, der am oberen Treppenabsatz liegt, nicht zu überfüllt zu sein. Tatsächlich ist dies der zweite Leuchtturm, der am Kap der Guten Hoffnung gebaut wurde, wie ein Schild verrät. Die Position des Old Lighthouse, weiter oben und bei Nebel nicht erkennbar, hatte zur Folge, dass Schiffe oft bis an die scharfen Klippen heran fuhren. So also auch am 18. April 1911, als die Lusitania, bekannt als „Pride of Portugal“, den warmen Agulhas-Strom von Mosambik zum Kap nahm, um von dort nach Lissabon zu gelangen. Nebel, Sturm, Regen – der Leuchtturmwärter JE Allen erbat Hilfe und machte sich unter unvorstellbaren Bedingungen auf, die am Dias Beach gestrandeten Überlebenden zu empfangen.
Ein neuer Leuchtturm also, der Schiffe zwar besser warnen, das Kap jedoch nicht ungefährlicher machen konnte, wurde erbaut. Irinja und ich sind oben angekommen. Der Wind bläst hier so stark, dass er ein Cartoon-artig überzogenes Pfeifgeräusch macht und das Atmen zunehmend schwerfällt. Ich halte meine Ohrringe fest, aus Angst, sie könnten direkt aus den Ohren geblasen werden. Wir blicken wir auf die geisterhaft erhabenen Sturmfluten am Fuße der Klippen hinab. Vertigo und die Vorstellung, an diesen Klippen zu zerschellen, mit oder ohne Schiff, lassen mir die Haare im Nacken zu Berge stehen. Möglicherweise ist es auch der Wind. Die wohl bekannteste Schiffbruchgeschichte stammt, natürlich, aus der Kolonialzeit: Die Flying Dutchman, das Geisterschiff, welches am Kap sank und der Legende nach auf ewig die Ozeane bereist und nie auf trockenen Boden gelangen kann. Dabei gilt es als schlechtes Omen für jedes Schiff, welches die Flying Dutchman in der Ferne sieht. Erzählungen von Sichtungen durch Reisende, Entdecker, am bekanntesten wohl Prince George of Wales und sein Bruder Prince Albert Victor of Wales, die die Flying Dutchman vor der Küste Australiens erblickt haben wollen, sind zahlreich. Spätestens seit Pirates of the Carribean darf das Geisterschiff bei keiner gutsortierten Schifffahrtsstammtischrunde fehlen.
Sh(r)edding the Past
Ähnlich wie bei Pedro schwingt Kolonialismus überall mit, ist in ausradierten Resten nur noch zwischen den Zeilen lesbar. Auch Pedro war in seiner Zeit in Mosambik mal in Südafrika. Ein tolles Land, wie er findet. Später war er in Angola stationiert, Steckenpferd Nummer eins in den Überseeprovinzen. Das einzige Problem, so erklärt Pedro, sei die südafrikanische Regierung: Korruption, Ausbeutung durch Privatunternehmen und -personen, fehlende Sicherheit, all dies müsse schnell behoben werden. Ich nicke zustimmend und frage mich, ob dies nicht die logische Konsequenz ist – Kapitalismus als moderner Kolonialismus? Interessanterweise hat sich das auch mit Abschaffung der Apartheid und Entwicklung Südafrikas zum Schwellenland nicht geändert. Privatisierung und Korruption im öffentlichen Dienst scheinen genau darauf hinauszulaufen.
Laut Honest Accounts 2017 verzeichnet Kontinentalafrika jährlich rund 41,3 Milliarden US-Dollar Defizit. Südafrika säße zudem auf Mineralen im Wert von rund 2,5 Billionen US-Dollar. Privatunternehmen haben es damit leichter, Gewinne, die durch Bodenschätze generiert werden, ins Ausland zu schaffen. Möglicherweise schafft sich Südafrika damit selbst ab. Und wo Privatunternehmen Gebrauch von Mineralien machen, scheinen staatliche Unternehmen die Nutzung vorhandener Ressourcen in der Problemlösung völlig außen vor zu lassen: Seit 2008 hat das staatliche Unternehmen Eskom, alleiniger Stromanbieter des Landes, Maßnahmen für das geplante Abstellen des Stromnetzes in bestimmten Städten bzw. Stadtteilen getroffen. Erst im Dezember wurden Angestellte des Unternehmens wegen Betrug- und Korruptionsverdachts verhaftet. Verträge sollen manipuliert worden sein, welche den Bau neuer Elektrizitätswerke sichern sollten. Ein Schaden von 50 Millionen US-Dollar soll verursacht worden sein. Eskom selbst ist so sehr verschuldet, dass das Netz nicht vollständig aufrecht erhalten werden kann; jährliche Verluste von 1,38 Milliarden US-Dollar wurden 2019 veröffentlicht. Mit Einführung der Demokratie 1994 zog die Nachfrage nach Elektrizität in Townships und ärmeren Gegenden so stark an, dass schlichtweg nicht genug Strom da war, um alle zu versorgen. „Loadshedding“ lautet die eher niedliche Bezeichnung, der das Land wohl unzählige Geburten zu verdanken hat.
Wie auch die Water Restriction Levels (siehe Water Works Teil 1) gibt hier eine Skala die Schärfe der Einschränkungen an: Stage 1 bis 8, mit derzeit höchstens vier Intervallen von je zweieinhalb Stunden, in welchen pro Tag der Strom abgestellt werden könnte. Die Einschränkungen, die täglich erduldet werden müssen, scheinen dabei lächerlich, wenn das wirkliche Ausmaß deutlich wird: Erst im Dezember saßen Touristen für Stunden auf dem Tafelberg fest, da die Gondel ohne Storm nicht wieder runterfahren konnte. Zudem ist das getaktete Abstellen des Stromnetzes in ganzen Stadtteilen optimal für jeden, der kurz mal in ein Haus einsteigen möchte, das sonst durch einen elektrischen Zaun gesichert ist. Verkehrschaos wegen ausfallender Ampeln, lahmgelegte Tankstellen, Betrieb nach Stadtteil im Wechsel komplett runtergefahren. Privatisierung bietet natürlich auch hier die Lösung – für die Reichen: Generatoren sind mittlerweile weit verbreitet und schaffen Unabhängigkeit vom täglichen Wahnsinn, den Geschäftsbetreibende mitmachen müssen. Wie aber kann es sein, dass ein Land, das so reich an Bodenschätzen, vor allem aber auch natürlichen Energieressourcen wie Wind, Gezeiten und Sonne ist, keinen Strom hat? Gerüchte über illegal angezapfte Leitungen, schlecht instand gehaltene Kraftwerke, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum ohnehin lange hinter sich haben und Verzögerungen beim Bau neuer Werke lässt Südafrika im Dunklen Sitzen. Geld für Späße wie moderne Technik ist von staatlicher Seite also nicht zu erwarten, bzw. wird dieses ja durch korrupte Hände geschmälert. Zumindest am Westkap soll Strom wohlmöglich bald direkt von Independent Power Producers (IPP – Unabhängigen Stromversorgern) verfügbar sein. Es herrscht Postkolonialkapitalismus. Ob wir, die Finnin und die Deutsche in Südafrika lebend, auch eine dieser Spätfolgen sind?
Ein geisterhaft leerer Ort, dieses Kap der Guten Hoffnung, dessen Geschichte überall in der Luft liegt und dessen Name wie eine schlechte Parodie anklingt. Schiffbruch und Sturm als ultimative Versagensmetapher wabern im Hintergrund. Ich blicke weiter gen Westen, wo Surfer die einlaufenden Wellen Richtung Ufer reiten. Sturm und Wellen, sich ja immer konstituierend, scheinen hier umso mehr unwiderruflich miteinander verknüpft. Der Sommer neigt sich dem Ende zu – Nebelwolken sind am Horizont erkennbar. Vor allem die Winter sind am Kap stürmisch und undankbar; dunkle Zeiten stehen bevor. Es bleibt die Hoffnung.