Heimkino: The Housemaid (2010)Die Reichen sind die Ratten

Wir bleiben zu Hause, wir gucken Heimkino: Empfehlungen von Sulgi Lie für die Wohnzimmerleinwand. Heute: eine Bourgeois-Studie à la Chabrol, direkt aus Asien. Im Sang-Soo erzählt die Geschichte eines Klassikers des koreanischen Films in seinem Remake unter völlig neuen Vorzeichen und spiegelt so die Schattenseiten des Wirtschaftswunderlands Korea. Zeugt das Original aus den 1960er-Jahren noch von der Allgegenwart des ökonomischen Mangels, so gibt es in der Neuverfilmung nur den stylischen Überfluss des Reichtums. Die Gesellschaft im Zeichen der Ratte.

Der historische Abstand zwischen Original und Remake von The Housemaid bemisst sich am Verschwinden der Ratte. Bekanntlich ist die Ratte ein Tier, das sich gerne an unhygienischen Orten einnistet. Wo Schmutz und Dreck sind, fühlt sich die Ratte besonders wohl. Nicht zufällig gibt es unter den großen Fallstudien von Freud den Fall des sogenannten Rattenmannes, der zwanghaft von der Fantasie besessen war, eine Ratte würde sich in sein Rektum bohren. Wo analer und exkrementaler Ekel herrscht, ist die Ratte nicht weit. So auch in einem der großen Klassiker der koreanischen Filmgeschichte, Kim Ki-Youngs The Housemaid aus dem Jahre 1960. Dort steht die Ratte sowohl für das proletarische Hausmädchen, das eine wohlanständige Kleinfamilie in den Ruin treibt, in dem es den Familienvater verführt, als auch für die Rückständigkeit der koreanischen Nachkriegsgesellschaft, die damals noch von bitterer Armut gezeichnet war. Der Kampf gegen die häusliche Rattenplage ist in dem Film ein symbolischer Kampf auf doppelter Front: Abwehr gegen die ökonomische Unterentwicklung Koreas als auch gegen die Rückkehr einer archaischen Sexualität, die von dem Hausmädchen ausgeht. So wird neben der Ratte das Rattengift zu einem Leitmotiv des ganzen Films. Kim Ki-Young, Enfant Terrible unter den koreanischen Regisseuren entwarf in The Housemaid eines der großen filmischen Psychopathologien der koreanischen Gesellschaft im Zeichen der Ratte.

Das Original in voller Länge.

Garten-Breaker
house try

Über Parallelen zwischen dem Klassiker The Housemaid aus dem Jahr 1960 und dem Oscar's-Abräumer 2020, Parasite von Bong Joon-ho, schreibt Sulgi Lie hier:

Class Snatchers: Koreanische Parasiten

Garten-Breaker

Die Ratte ist tot

In Im Sang-Soos Neuversion, die 2010 in Cannes Premiere hatte, ist nun jede Spur der Ratte gründlich getilgt. Das Remake verlegt die Geschichte von den zaghaften Anfängen des koreanischen Wirtschaftswunders in das Stadium einer absoluten Übersättigung. Wenn das Original noch von der Allgegenwart des ökonomischen Mangels zeugt, so gibt es in der Neuverfilmung nur den Überfluss des Reichtums: Nunmehr spielt The Housemaid nicht länger in der kleinbürgerlichen Enge einer Lehrerfamilie, sondern im luxuriösen Anwesen einer Upper-Class-Familie, die in einem Vorort von Seoul ihren neoaristokratischen Lifestyle kultiviert. Dort residieren der Hausherr und Konzernmagnat Hoon (Lee Young-Chae), seine hochschwangere Frau Hae-Ra (Seo-Woo) und ihre Tochter Nami (Ahn Seo-Hyun). Durch Vermittlung ihrer altgedienten Haushälterin Byung-Sik (Youn Yuh-Jung) stellen sie ein neues Hausmädchen ein, die sozial unterprivilegierte und etwas unbedarfte Eun-Yi (Jeon-Do-Yeon). Als Hoon mit Eun-Yi eine Affäre beginnt und sie schwängert, schaltet sich zusätzlich seine machthungrige Schwiegermutter (Ahn Seo-Hyun) ein, die sich mit aller Macht dem Hausmädchen und ihrem ungeborenes Kind entledigen will. The Housemaid ist das Portrait der koreanischen Nouveaux Riches im Zustand fortgeschrittener Dekadenz. Alles was edel und teuer ist, wird als Insignie des guten Geschmacks zur Schau gestellt: Marmorfußböden, Designermöbel, Röhrenverstärker, Kaminfeuer, Designer-Garderobe. In diesem Überfluss aus Luxus, Design und Style scheint jede Erinnerung an eine rattenhaften Vergangenheit ausgelöscht.

Nun ist Regisseur Im Sang-Soo nicht zuletzt seit seinem satirischen The President’s Last Bang (2005) als eleganter Stilist bekannt, aber seine Haltung zu seinem Sujet ist eine durchaus doppelbödige: So sehr sich The Housemaid auch in eleganten Kamerafahrten und geschmackvoll ausgeleuchteten Innenräumen an die Ornamente des Reichtums anschmiegt, bleibt er trotzdem einer analytischen Perspektive treu. Fast nie verlässt der Film das Interieur der Villa, als beobachte man eine Laborsituation.

So zeigt sich in dieser kühlen Versuchsanordnung nach und nach die rattenhafte Fratze des Reichtums und der Marmor der durchgestylten Oberflächen beginnt zu bröckeln.

Performanz der Dekandenz

Die prononcierte Performanz der Dekadenz kippt immer wieder ins Lächerliche: Die botox-verzerrte Plastikschönheit von Hae-Ra, die dekorative Kunstbeflissenheit von Hoon, der nach Feierabend gerne Beethovens „Sturm“-Sonate auf dem Flügel zum Besten gibt, und – besonders grotesk – seine fast schon rituelle Angeberei mit Rotwein-Schwenken und Riechen. Die Nachahmung gehobener westlicher Kultur zeigt sich gerade in ihrer zwanghaften Geschmacksdemonstration von ihrer geschmacklosen Seite. Dazu passt es, dass im Gegensatz zum Original nun das Hausmädchen vom Täter zum Opfer wird. Opfer der hyper-narzisstischen Sexualität des Hausherrn, der sich am liebsten oral bedienen lässt und dabei natürlich sein Rotweinglas nicht aus der Hand gibt. Außereheliche Sexualität ist anders als in den puritanischen koreanischen 1960ern nicht länger eine familiensprengende und asoziale Kraft, sondern herrschaftszementierende Genusspraktik der Oberschicht. Es ist die Stärke des Films, dass er das arme Hausmädchen aber gerade nicht zur mitleidswürdigen Identifikationsfigur aufbaut und gegen die amoralische Kälte der Upper Class ausspielt. Jeon Do-Yeon, die seit Lee Chang-Dongs Secret Sunshine zu den besten koreanischen Schaupielerinnen gehört, zieht in ihrer Rolle zwischen kindlicher Unschuld, Verführbarkeit, Klassenneid und Wahnsinn alle Register psychosexueller Ambivalenz.

Den Klassenkampf gegen die eiskalte Familie kann sie trotzdem nur verlieren, als diese schließlich zur Abtreibung des Bastards zu ganz und gar indiskreten Mitteln greift. Überhaupt gemahnen die kühle Eleganz und der wohltemperierte Rhythmus des Films an Chabrols Vivisektionen der Bourgeoisie. Nur eben mit dem Unterschied, dass die französische Bourgeoisie bei Chabrol auch in ihren verbrecherischen Umtrieben einer historischen Tradition verbunden ist, die bei ihren neureichen koreanischen Wiedergängern zum bloßen Pastiche von Kultur verkommen ist.

Geschichtsvergessene Gesellschaft

So zeichnet sich hinter all den leeren Herrschaftsformen, Ritualen und Gesten der koreanischen Oberschicht das Bild einer geschichtsvergessenen Gesellschaft ab, die sich im Konsum- und Luxusrausch dem Phantasma eines globalisierten Geldadels hingibt. The Housemaid hält den exzessiven Auswüchsen des koreanischen Wirtschaftswunders einen Zerrspiegel vor. So bleibt das Remake auf paradoxe Weise dem Original treu, mit dem es auf den ersten Blick so wenig zu tun hat: Die Ratten sind niemand anderes als die Reichen selbst, die sich parasitär von ihren Untergebenen ernähren. Es ist eben nicht alles Gold was glänzt, auch der falsche Schein der Scheiße erstrahlt im trügerischen Glanz. The Housemaid übt Dekadenzkritik gleichsam aus der Innenperspektive, wie ja auch die Pet Shop Boys einst in einem großen Song sangen: „For decadence – is fatal, it's the beginning of the end; in consequence, I cannot recommend: this decadence.“

Dieser Text erschien zuerst in De:Bug Ausgabe 151.

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