Wir bleiben zu Hause, wir gucken Heimkino: Empfehlungen von Sulgi Lie für die Wohnzimmerleinwand. Heute: John Carpenter und seine Filme. Bei John Carpenter ist der Ton ebenso wichtig wie das Bild. „Halloween“ oder „The Fog“ wären ohne das ausgeklügelte Sounddesign nicht halb so wirkungsvoll. Mehr noch: Die Stimme gibt den Takt vor.
„I know I’m human“: Verzweifelt versichert sich Kurt Russell in John Carpenters Eighties-Horrorschocker The Thing seiner Menschenförmigkeit, als diese längst prekär geworden ist. Nachdem ein außerirdischer Organismus die Mitglieder einer einsamen antarktischen Forschungsstation zu infizieren beginnt, könnte jeder der Männer ein Alien sein. In perfekter Mimikry imitiert das Alien zunächst jede menschliche und tierische Gestalt, um diese dann in monströsen Metamorphosen von innen her zu zerfleischen. Auch nach fast 40 Jahren gehören die vordigitalen Spezialeffekte von The Thing zu den grauenerregendsten der Filmgeschichte. Gesichter, die ineinander mutieren, Bäuche, die sich mit Zähnen öffnen und schließen, Köpfe, aus denen Spinnenbeine wachsen. Fast schrecklicher noch als die visuellen Deformationen sind allerdings die Schreie, die von den Kreaturen im Moment des Todes ausgestoßen werden. Ein markerschütternder Todesschrei, irgendwo zwischen einer menschlichen, tierischen und synthetischen Stimme, aber keinem Register eindeutig zuschreibbar. In diesen audiovisuellen Schockmomenten erweist sich John Carpenter einmal mehr als meisterhafter Arrangeur der filmischen Stimme. Eine Stimme im Grenzbereich zwischen Organischem und Anorganischem, zwischen vokalem Ausdruck und prä-vokalem Geräusch. Ihr musikalisches Pendant hat diese Horror-Stimme in dem Pulsieren von Carpenters eigenhändig komponiertem Synthesizer-Score, dem trotz seiner elektronischen Monotonie stets eine stark organische Note anhaftet. Ein Herzschlag, aber ein synthetischer.
The Thing steht damit akustisch in einer Tradition des Horrorfilms, die mit Hitchcocks Psycho beginnt: Auch in der berühmten Duschmordszene von Psycho kippt der menschliche Schrei ins Unmenschliche. Hier sind es Bernard Hermanns kreischende Geigen, die dem Körper quasi seine eigene Stimme entreißen und in einen unheimlichen Noise-Effekt verwandeln. Als Hitchcock-Hommage ersetzt Francis Ford Coppola schließlich in der finalen Klimax von The Conversation den Todesschrei ganz konsequent durch bösartig verfremdete elektronische Sounds.
Sadistische Inszenierung: Halloween
Bei den avanciertesten Vertretern des modernen Horrorfilms ist es also um die anthropomorphe Garantie der Stimme eher schlecht bestellt. Was natürlich insbesondere für die Stimme eines der berüchtigtsten Kino-Psychopathen gilt – des weiß maskierten Michael Myers aus Carpenters Halloween (1978), dem legendären Gründungsfilm des Teenie-Slashers-Genres. Unheimlich ist diese Stimme, weil sie nicht als Lautträger der Sprache fungiert, denn Michael Myers sagt in dem Film kein einziges Wort, er atmet nur. Ein schweres Atmen, das mehr einem Keuchen ähnelt und das im Verbund mit Carpenters morbiden Synthie-Klängen dem Film seine unnachahmliche auditive Signatur gibt. Es ist nicht nur die extreme Subjektivierung des Blicks, die den Zuschauer in die Perspektive des Killers versetzt, sondern auch dieses Keuchen zieht uns in den Körper von Michael Myers hinein. Halloween zwingt den Zuschauer in eine besonders fiese Art der sadistischen Identifizierung: Das Keuchen ist so nah und präsent, dass man gar nicht anders kann, als mit ihm zu verschmelzen. Der Slasher ist somit immer auch der Zuschauer. Auch wenn Halloween in der Folge zum Wegbereiter von immer heftigeren Metzeleien im Horrorkino geworden ist, hält sich Carpenter im Gegensatz zu The Thing mit expliziten Gewaltexzessen eher zurück. Das Grauen steckt hier eher in der Latenz des Off-Screens als im Einstich des Küchenmessers – ein Effekt, der nicht zuletzt von der unsichtbaren Macht der Stimme herrührt: Die potenzielle akustische Präsenz von Myers raubt den Bildern gleichsam ihre Unschuld, jede Einstellung droht von dem Keuchen des Killers kontaminiert zu werden.
Halloween ist damit auch ein Film, der das vermeintlich natürliche Band zwischen Bild und Ton, Körper und Stimme zerschneidet. Die Stimme dient nicht länger der Bestätigung des Sichtbarkeit, sondern ihrer Aushöhlung. Eine Spaltung der Audio/Vision, die in dem Phänomen des „Akusmatischen“ (Michel Chion) kulminiert: eine Stimme, die sich gänzlich von ihrem körperlichen Träger gelöst hat. Im grandiosen Finale des Films treibt Carpenter die Paradoxie der akusmatischen Stimme an einen Extrempunkt: Nach unzähligen Versuchen scheint es „Scream Queen“ Jamie Lee Curtis mit Hilfe des Dr. Loomis (Donald Pleasance) zu gelingen, Myers endgültig zu töten. Von mehreren Schüssen getroffen fällt er vom Balkon, doch beim zweiten Blick ist seine Leiche verschwunden. Die letzten Einstellungen des Films zeigen die verlassenen Häuser von Myers Opfern, doch das Atmen des Killers ist unüberhörbar. Auch nach dem vermeintlichen Tod lebt Myers als Stimme weiter. Als ein untoter Rest hat sich die Stimme vom Körper gelöst und geistert metastasenartig durch die Bilder: Sie ist überall und nirgendwo zugleich. Damit ist aber auch ihr menschlicher Status endgültig fragwürdig geworden. Wenn im Film Myers ständig als Verkörperung eines absoluten Bösen – des „Boogeyman“ – beschworen wird, wirkt diese populäre Metaphysik des Horrors in der Schlussszene alles andere als lächerlich: kein Körper, kein Gesicht, keine Geschichte, keine Psychologie. Nur mehr eine reine sprachlose Stimme. An Rob Zombies armseligem Remake von 2007 zeigt sich, dass dieser für Carpenters Poetik nicht das geringste Gespür hat. Nicht nur stattet er Myers mit einer White-Trash-Vulgärpsychologie aus, schlimmer noch: Er nimmt ihm seinen Atem. Trotz seines sprechenden Nachnamens tötet Zombie damit die untote Stimme von Halloween.
Panoptikum im Nebel: The Fog
Zu einer weitaus versöhnlicheren Variante der akusmatischen Stimme findet John Carpenter in seinem nächsten Film nach Halloween: In The Fog (1980) wird eine kleine Hafenstadt von einem mysteriösen Nebel heimgesucht, hinter dem sich die Rache von untoten Piraten verbirgt. Während die Dorfbewohner vom tödlichen Nebel verschluckt zu werden drohen, bewahrt nur die omnipräsente Stimme von Stevie Wayne (Adrienne Barbeau) den Überblick über das Geschehen.
Als Radiomoderatorin des örtlichen Senders thront sie panoptisch auf einem verlassenen Leuchtturm und kann so als Einzige dem Nebel direkt ins Auge blicken. Als körperlose Radio-Stimme navigiert sie die hilflosen Figuren durch die formlosen Nebelschwaden und rettet so ihrem kleinen Sohn das Leben. Nicht zufällig ist es hier die Stimme der Mutter, die Gefahren identifiziert, verschiedene Figuren miteinander verknüpft und Geborgenheit stiftet.
In diesem Sinne ist die Radio-Stimme von The Fog das Gegenteil zum amorphen Atem von Michael Myers. Hier eine weibliche Stimme, die rettet, dort eine männliche Stimme, die tötet. Die Radio-Technologie erscheint in The Fog als Extension eines mütterlichen Körpers, der sein Kind umsorgt und umhüllt. So gesehen ist die stimmliche Geschlechterdifferenz zwischen Halloween und The Fog auch der Unterschied zwischen einer „guten“ und einer „bösen“ Akusmatik. Was jedoch beide eint, ist ihr technomorphes Wesen: „I don’t know, if I’m human.“