Review: Apple iPad (2018)Das Tablet für alle Gelegenheiten
7.5.2018 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannPreis runter, Leistung rauf und der beste Stylus der Welt: Apple hat das Einsteiger-iPad überarbeitet. Das soll in den Schulen etwas bewegen, ist aber vor allem auf der Couch zu Hause eine kleine Sensation.
Es ist nicht ganz einfach, zum „neuen iPad“ eine wirklich runde Geschichte zu schreiben. Dachte ich mir, recherchierte aber zum Glück in meinen eigenen Reviews zu früheren Apple-Tablets und merkte dabei schnell, dass ich in der Vergangenheit eigentlich immer so angefangen hatte. Autsch. Auch wenn diese Tatsache tief blicken lässt in Bezug auf mein ganz persönliches Verhältnis zu dieser Produktkategorie, möchte ich dieses Mal dann doch lieber anders beginnen. Also nochmal.
Es ist total einfach, zum „neuen iPad“ eine runde Geschichte zu schreiben. Denn: Mehr iPad brauchen die allerwenigsten.
The End.
Bis 2015 ging das auch gar nicht. Jahr für Jahr zeigte Apple ein neues Modell, machte das Tablet dabei leichter und dünner und schraubte die Auflösung des 9,7"-Displays hoch. Bei allen Verbesserungen und Justierungen blieb das Design-Paradigma jedoch gleich: hinten Aluminium, vorne Glas und eben ein fast 10" großes Display. Es ist dreieinhalb Jahre her, seit wir uns auf diesem Kanal so ein Gerät zum letzten Mal angeschaut haben. Tiptop für Spiele, Videos, Bücher, Browsen, all das also, was man unter der Kategorie „light computing“ zusammenfassen kann (= wofür man nur selten ein Keyboard braucht), aber dank der Stärken von iOS und des großen Touchscreens auch perfekt für eher ungewöhnliche Aufgaben geeignet, zu Beispiel die Musikproduktion unter vollkommen neuen Interface-Bedingungen. Konkurrenz hatte Apple in diesem Business eigentlich nie. Android-Tablets sind so gut wie tot (ChromeOS ist die Zukunft), und Windows ist Windows.
Aber weil iOS als Betriebssystem eben weit mehr kann als ein iPhone zu steuern und Apples hauseigene Chips immer besser wurden, entschied man sich 2015 dazu, das iPad-Line-up zu splitten. Das iPad Pro kam mit deutlich größerem Display, einem Smart Connector, über den man eine Tastatur anklicken konnte, und dem Apple Pencil als dem immer noch besten Stylus überhaupt. Eine Arbeitsmaschine, auf dem sich Kreative austoben konnten, Netflix noch besser aussah und man dank des Keyboards auch tatsächlich ein bisschen shit done bekam. Und wem das zu groß war, der griff wenige Monate später zur kleineren Pro-Variante im bekannten Form-Faktor. Auch diese Pro-Linie hat man bei Apple stetig weiterentwickelt und zu echten Halo-Devices gemacht: Die Displays der aktuellen Version flimmern mit 120 Hz komplett flimmerfrei, haben natürlich TrueTone-Technologie, sowie gute Kameras mit 4K und. so. weiter. All das ist super, wenn man es sich denn leisten kann. Der Startpreis für ein Pro liegt bei 729 €.
Da kommt das 2018er-iPad wie gerufen.
Denn die Technik in einem Apple-Tablet ist seit Jahren so gut und optimal auf die Software abgestimmt, dass man auch mit den hier fälligen 349 € bestens hinkommt. So ist es auch keine Überraschung, dass der Neuling exakt zwei frische Features bekommen hat. Die jedoch sind weitreichend.
Ein iPad ist ein iPad. Und mit dem neuen ist alles ok.
Zunächst ein Blick auf die Dinge, die nicht verändert wurden. Der Fingerabdrucksensor TouchID ist immer noch der der ersten Generation, also spürbar langsamer. Bei den iPhones findet man den heute nur noch im iPhone SE. Die Kameras (8 Megapixel hinten und flotte 1,2 Megapixel vorne) sind nicht wirklich der Rede wert (spielen aber gleich noch eine wichtige Rolle), das Display ist nicht laminiert (wirkt also nicht ganz so scharf und spiegelt mehr) und läuft – natürlich – auch nicht mit 120 Hz. Und Lautsprecher gibt es auch nur zwei statt der vier in den Pro-Modellen. Das kann man zickig finden und ja: Apple geht hier den Weg des geringsten Widerstandes. Letztendlich ist es aber auch nicht weiter wichtig. Ein iPad ist ein iPad. Und mit dem neuen ist alles ok.
Mehr Power, auch für die Hände
Das liegt einerseits daran, dass hier der A10 Fusion als Prozessor verbaut ist. Ein wichtiges Update, das für mehr Geschwindigkeit sorgt, und allen potenziellen Käuferinnen und Käufern signalisiert, dass sie auch mit einer Investition von nur 350 € für Jahre auf der sicheren Seite sein werden, was Software-Updates und neue Technologien angeht. Andererseits hat man bei Apple das Display so aufgebohrt, dass nun auch der bislang den Pro-Modellen vorbehaltene Stylus, der Apple Pencil, mit dem Einsteiger-iPad funktioniert. Der ist mit 99 € sogar – genau wie das iPad selbst – im Preis gesunken. Diese Integration dürfte viele glücklich machen. Handschriftliche Notizen, Anmerkungen in Dokumenten, Malen, Zeichnen, präzise Bearbeitung von Fotos – mit dem neuen iPad fällt die Hemmschwelle auf der Kapitalismus-Leiter um mindestens drei Stufen. Kreative sind doch die mit dem wenigsten Geld.
In den USA hatte sich Apple für die Präsentation des iPad in einer High School in Chicago eingemietet und die Vorstellung des Tablets zu einem „Bildungs-Event“ (mir fällt einfach kein besseres Wort ein) gemacht. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Zu Zeiten als weder an iPhone oder iPad auch nur zu denken waren, war Apple mit den Macs der Platzhirsch in vor allem zwei Kategorien. Bei den Kreativen – also Grafikern, Fotografen und Musikern –, aber auch in Schulen und an Universitäten.
Das iPad ist ein eindeutiger Hinweis an Bildungseinrichtungen: Wir haben da was. Und das kann jetzt noch mehr.
Alle großen Anbieter kämpfen hart um Anteile auf dem Bildungsmarkt – also auch Microsoft und Google. Und mit den Chromebooks ist Google derzeit auf Hochgeschwindigkeits-Überholkurs. Das iPad ist also nicht nur ein neues Tablet, sondern auch ein eindeutiger Fingerzeig in Richtung aller Bildungseinrichtungen, die den Etat für die Technik der kommenden Jahre planen: Wir haben da was, und das kann jetzt noch mehr. Ist zwar immer noch teurer als ein durchschnittliches Chromebook, ist aber auch eine andere Geräteklasse – und wer den Schülerinnen und Schülern iPads auf den Tisch legt, hat in der großen Pause weniger Ärger. Auch in Sachen Software kümmert man sich bei Apple zeitgleich zum Launch des iPad um das Klassenzimmer. Lehrerinnen und Lehrer bekommen neue Möglichkeiten, um so eine „iPad-Klasse“ zu verwalten: Das Tablet von Apple kann in der Schule heute schon mehr als Zuhause, nicht nur aufgrund der Möglichkeit, mehrere Accounts auf einem Gerät zu verwalten.
Bin malen, komme gleich wieder
Die Integration des Apple Pencil im neuen iPad ist einerseits sehr sinnvoll, wirft aber auch Fragen auf, gerade wenn es um den Einsatz in Schulen geht. Jedes Mal, wenn ich ein neues iPad testen darf, nehme ich mit fest vor, mit dem Pencil zu arbeiten. Dieser gute Vorsatz hält in der Regel nur wenige Tage, denn ich kann weder malen, noch illustrieren. Das andere große Einsatz-Szenario – die Arbeit an Dokumenten – will sich mir wiederum partout nicht erschließen. Ich bin Journalist. Text ist meine Party. Aber wenn ich eben diese bearbeite oder auch nur meinen Senf dazu geben soll oder muss, mache ich das an der Tastatur und mit der Kommentarfunktion der jeweiligen App und kreise keine Text-Passagen ein und kommentiere sie handschriftlich. Das ist nicht effektiv. So finde ich es überraschend, dass man sich bei Apple dafür entschieden hat, den Smart-Connector der Pro-Modelle hier wegzulassen und so den Anschluss der hauseigenen Tastaturen für die Tablets unmöglich macht. Kreuzen Schülerinnen und Schüler heute wirklich nur noch im Multiple-Choice-Style an? Sind Checkboxen der neue Satz? Schlüssig ist das nicht. Natürlich gibt es Lösungen dafür, externe Bluetooth-Tastaturen, komische All-in-One-Cases (die Logitech-Bomber), aber eine eigene Lösung stünde Apple schon gut zu Gesicht.
Smarter Text
Immerhin kümmert man sich bei Apple im Zuge des neuen iPad auch – endlich! – wieder um die eigenen iWork-Apps: die Textverarbeitung „Pages“, die Präsentationssoftware „Keynote“ und die Tabellenkalkulation „Numbers“. Auch die lassen sich auf dem iPad nun mit dem Pencil bedienen und Dokumente können mit Anmerkungen versehen werden. Diese „Smart Annotations“ sind in der Tat ziemlich smart. Markiert man eine Passage und ändert das Gegenüber daraufhin das Material, wandern die mit dem Apple Pencil gemachten Anmerkungen innerhalb des Dokuments einfach mit. Das könnte sich als ausgesprochen nützlich erweisen. Wenn auch offiziell noch im Beta-Stadium, gibt es hier schon jetzt nichts zu bemängeln. Mir war es immer ein Rätsel, warum man als Mac- und iOS-User immer noch Word oder Excel verwendet – ein kontinuierlich schwelender Konflikt in der Redaktion –, aber mit diesem Feature gibt es wieder ein Argument weniger für die Microsoft-Lösung.
Realität ist das, was man daraus macht
Realität ist das, was man daraus macht
Kommen wir zurück zum Prozessor, dem A10 Fusion. Der debütierte im iPhone 7/7Plus und hat somit noch nicht mal ein Jahr Technikgeschichte auf dem Buckel. Das wuppt die Performance des neuen iPad in die Jetztzeit, macht das preisgünstigste Tablet aus Cupertino aber vor allem fit für AR, die augmented reality. Ob nun die AR oder die VR das Rennen um den Wettlauf in neue Welten gewinnen wird, und ob sich diese Frage überhaupt stellt, bleibt abzuwarten. Während Facebook mit Oculus und HTC mit der Vive aber voll und ganz auf die VR setzen, fühlt man sich bei Apple in der AR deutlich wohler – auf den Displays von iPhone und iPad wird die Realität, die die Kameras einfangen, mit zusätzlichen Schichten an Informationen angereichert. So kann man in der Ikea-App schauen, an welche Wand das Billy denn nun am besten passt oder Lego-Figuren durch die Wohnung trappeln lassen. Aber auch hier zeigen sich neue Möglichkeiten für den Unterricht oder die Bildung ganz allgemein. Der WWF zeigt mit der App „Free Rivers“, was passiert, wenn man Flüsse begradigt oder staut. Und mit „Froggipedia“ lassen sich Frösche im Biologie-Unterricht sezieren – ohne dass einer der kleinen Quaker dabei zu Schaden kommt. Auch diese Übung steckt das neue iPad problemlos weg. Und wer wollte nicht immer schon mal den Bauch eines Frosches mit einem Stylus virtuell aufschneiden und Organe entnehmen? Eben.
Einmal iPad, immer iPad
Ob das neue Tablet von Apple in Schulen wirklich die disruptive Wirkung haben wird, bleibt abzuwarten. Die Resultate dürften auch je nach Land, Stadt und Bezirk ganz unterschiedlich ausfallen. Der Bildungssektor ist gnadenlos unterfinanziert, und wenn die Fenster undicht sind, es in der Turnhalle reinregnet und im Jungs-Klo die Schimmelpilze blühen, nutzt man besser weiter die Chromebooks. Jenseits der Schulen jedoch – also in den Elektronikmärkten und Apple Stores – zeigt Apple mit dem neuen iPad, wie man auch für vergleichsweise wenig Geld ein gutes Tablet anbieten kann, dass mit der Unterstützung für den Pencil ein wichtiges neues Features bekommen hat und über Jahre seinen Dienst verrichten wird.
Die eigene Produktlinie verwässert man dabei nur oberflächlich. Neue Pro-Modelle dürften noch in diesem Jahr vorgestellt werden; dann ist der technische Graben wieder groß genug, die Gemengelage der Alleinstellungsmerkmale wieder hergestellt. Auch wenn man schon heute einen Großteil seiner täglichen Computer-Arbeit am iPad verrichten kann: Für die meisten bleibt das Tablet eine Konsummaschine, angereichert mit einem jeweils ganz persönlichen X-Faktor. Und dass diese Konsummaschine nun weniger kostet und mehr kann, ist eine gute Sache. Zumal es auch 2018 einfach keine ernstzunehmende Konkurrenz gibt. Wer ein Tablet will, sollte lieber ein bisschen mehr Geld auf die Seite legen statt im Aldi eine Medion-Möhre mit veraltetem Android einzupacken. Echte Möhren schmecken besser.