Review: iPad Air 2 und iPad mini 3Meta, Beta oder Keta?
18.11.2014 • Technik & Wissen – Text: Thaddeus HerrmannMan könnte fast glauben, Apple ist die einzige Firma, die Tablets baut. Das iPad ist das Synonym für die gesamte Produktkategorie. Da wäre es eigentlich an der Zeit, dass Cupertino der Welt in den Technik-Hintern tritt und das Prinzip Tablet neu erfindet. Noch ist es nicht soweit. Was die beiden neuen iPads nicht schlechter macht. Die Vorfreude auf die Zukunft aber umso größer.
Ich bin einige Wochen um diesen Text herumgeschlichen.
Das hat viele und sehr unterschiedliche Gründe, vor allem aber diesen hier: Sprachlosigkeit. Wer sich wie ich nicht mehr für technische Details von Geräten interessiert, oder sie zumindest nicht als Strukturvorgabe für Artikel nutzen will (der Prozessor, die Kamera, die Haptik, die Grafikkarte), der hat 2014 ein Problem, vor allem bei Tablets. Ach, scratch that, der hat 2014 eine ganze Tonne voller Probleme. Denn anders als Telefone sind Tablets komische Dinger ohne klar definierte Aufgaben, passen nicht in die Hosentasche, sind also nicht immer dabei, nicht der platzsparende Ersatz für den Computer. Sie sind ein großer, im Idealfall auch leichter Screen. Was man daraus macht, ist jedem selbst überlassen. Und da unsere Smartphones immer größer werden, ist selbst dieses Alleinstellungsmerkmal mittlerweile in Gefahr.
Meta
Warum? Apple hat die Kategorie Tablet definiert. Wer an ein Tablet denkt, denkt iPad. Gute Geräte kann mittlerweile eigentlich so gut wie jeder Hersteller bauen, auch wenn es leider immer noch die wenigsten tun. Die einen suchen ihre Chance im Preis oder in der Nische (quietschebunte Tablets für Kinder? Bitte sehr!). Die anderen versuchen, ihr Firmen-Mantra auf die Tablets zu übertragen. Microsoft macht das zum Beispiel mit dem Thema Produktivität. Nach 20 Jahren Langeweile aktuell nicht mal schlecht. Besser jedenfalls als Google. Und doch scheint das Tablet als Produkt so gut wie ausentwickelt. Es kann nicht mehr dünner werden. Die physischen Grenzen sind längst erreicht. Leichter? Vielleicht. Immer gerne eigentlich, aber auch das ist nicht entscheidend. Viel entscheidender ist, dass das Prinzip Tablet schon seit einiger Zeit eine Spielwiese für experimentelles Gerätedesign ist und dass die Lösung wohl eher im sinnvollen Zusammendenken eines Touchscreens mit bereits bekannten und erlernten Komponenten unseres Computing-Alltags liegt. Warum ist das so? Weil das Tablet aus der Luxus-Nische heraus muss, um zu überleben. Halb Asien arbeitet daran, Apple hält sich bislang vornehm zurück. Sicher nicht mehr lange. Glaubt man Analysten, was ich ungern tue, dann gehen die Verkäufe der iPads zurück. Was auch keine Überraschung ist, denn die Lebensdauer eines iPads ist deutlich länger als die eines Telefons. Liegt doch immer bequem auf der Couch. Was soll da schon kaputtgehen?
Evolution im Großen ...
Was stellt Apple überhaupt dieses Jahr in die Regale? Da ist einerseits das neue, große iPad Air 2. Es ist tatsächlich nochmals dünner geworden (6,1mm), macht aber vor allem auf dem 9,7"-Display einen großen Sprung nach vorne. Zum ersten Mal hat Apple einen Tablet-Screen optisch laminiert. Das heißt, dass die Icons noch näher dran wirken und noch schärfer sind. Bei den iPhones nutzt Apple diese Technik schon länger, warum man sich beim iPad bislang dagegen entschieden hatte, wissen nur die Techniker in Cupertino. Der Effekt ist offenkundig. Alles wirkt schärfer und direkter. Die Pixel-Dichte bleibt hingegen 264 ppi gleich, was auch vollkommen in Ordnung ist. Mehr braucht wirklich niemand. Überzogen ist das Display mit einer speziellen Antireflektionsbeschichtung, die die Benutzung im hellen Sonnenlicht deutlich verbessern soll. So deutlich fällt der Unterschied meiner Meinung nach nicht aus, der Sommer ist ja nun aber auch ein für alle Mal vorbei. Auch sonst ist vieles neu. Der Prozessor (klar), vor allem aber die Grafikkarte bringen deutlich mehr Leistung, die hintere Kamera hat nun 8 Megapixel, die vordere für FaceTime und Selfies eine bessere Blende.
„Wie gut das neue iPad tatsächlich ist, hängt vor allem davon ab, was man gerne damit tut.“
Vor allem die Hauptkamera kann im Vergleich mit älteren iPads auch wirklich mehr. Panorama-Bilder, Zeitraffer-Videos, Zeitlupen-Videos und auch der Serienbild-Modus ist neu. Nennt mich ruhig altmodisch: Ich will trotzdem kein iPad mit auf die Fotosafari nehmen und das Tablet als übergroßen Sucher verwenden. Auch wenn die Ergebnisse mit dem iPad Air 2 spürbar besser sind, als mit vorherigen Generationen. Die Kamera ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen sich zeigt: Wie gut das neue iPad tatsächlich ist, ist vor allem davon abhängig was man gerne damit tut. Ich zum Beispiel werde wahnsinnig, wenn ich 365 Mal am Tag einen Pin-Code eingeben muss, um ein Gerät zu entsperren. Beide neuen iPads haben Touch ID, also den Fingerabdrucksensor integriert. Das ist mein kleiner Sieg.
... Stillstand im Kleinen
Als vor zwei Jahren das iPad mini auf den Markt kam, war ich sofort Fan. Kompaktes Display, im Verhältnis zum damaligen großen iPad federleicht, problemlos länger in einer Hand zu halten. Perfekt, auch wenn der Screen damals deutlich zu wenige Pixel hatte für meine Retina-Augen. Im letzten Jahr tat Apple dann etwas, was so aus der Branche nicht kannte. Die zweite Generation des mini wurde mit genau den gleichen Komponenten gebaut wie der große Bruder, das erste iPad Air: gleicher Prozessor, gleiche Kameras, das gleiche hochwertige Display. Das war nicht nur für die Kunden gut, sondern vor allem strategisch interessant. Schaut man sich das Smartphone-Geschäft an, dann heißt kleiner, oder eine kleinere Version eines großen Vorzeige-Produkts eigentlich immer: schlechter. Abgespeckt. Warum auch immer. Der Formfaktor kann es nicht sein, so viel verstehe ich von den technischen Prozessen. 2014 ändert Apple am kleinen iPad mini 3 so gut wie nichts. Ja, der Fingerabdrucksensor ist an Bord, sonst bleibt alles beim Alten. Nein, ich habe nicht vergessen, was ich zu Anfang hier gebrüllt habe: Technische Details interessieren mich nicht mehr. Und natürlich bewältigt das kleine Tablet alles vollkommen easy, was ich damit tun möchte. Die Idee jedoch, klein und groß auch durch Ausstattungsmerkmale zu trennen, gefällt mir nicht. Der Vollständigkeit halber für die Fans des Kleingedruckten: Das mini 3 gibt es jetzt auch in Gold und mit mehr Speicher. Bis zu 128 GB lassen sich bestellen.
iPad Air 2
- 9,7“-Display
- 2048 x 1536 Pixel, 264 ppi
- A8X Chip, M8 Koprozessor
- 8-MP-Kamera
- 437 Gramm / 444 Gramm (LTE)
- 6,1 Millimeter tief
- 16/64/128 GB
- 489/589/689 € (WiFi)
- 609/709/809 € (LTE)
iPad mini 3
- 7,9“-Display
- 2048 x 1536 Pixel, 326 ppi
- A7 Chip, M7 Koprozessor
- 5-MP-Kamera
- 331 Gramm / 341 Gramm (LTE)
- 7,5 Millimeter tief
- 16/64/128 GB
- 389/489/589 € (WiFi)
- 509/609/709 € (LTE)
Beta
Was heißt das nun alles? Zunächst dies: Apple baut auch 2014 die besten Tablets. Die Batterie hält ewig, die Displays sind großartig und die App-Auswahl ist allen anderen Ökosystemen um Längen überlegen, in Quantität und Qualität. Gerade Letzteres kann aber auch zum Problem werden. Es ist Zeit für den nächsten Schritt. Als Microsoft anfing, mit den Surface-Tablets in den Markt einzusteigen oder auch als Samsung auf den hauseigenen Android-Tablets plötzlich Split-Screens und Multitasking einführte, habe ich das verlacht. Mittlerweile sehne ich mich nach genau so einer Lösung von Apple. Was mir auf dem Telefon egal ist, wäre auf dem iPad die Rettung. Eigentlich habe ich auf dem iPad sämtliche Benachrichtigungen ausgeschaltet, sehe keine Push-Nachrichten, wenn ich gerade einen Film schaue und keine breaking news, wenn ich ein Ebook lese. iPad=Fokus.
„Es kann gut sein, dass mein digitaler Alltag an die Wand gefahren ist, aber so funktioniere ich nun mal.“
Aber gleichzeitig ertappe ich mich dabei, wie ich ganz automatisch einen Fernseh-Stream zumache, um schnell in die Mails zu schauen, um immer wieder erstaunt festzustellen, dass der Stream dann wirklich aus ist und nicht neben meiner Inbox weiterläuft. Es kann gut sein, dass mein digitaler Alltag an die Wand gefahren ist, aber so funktioniere ich nun mal. Nicht dass das, was ich mir hier wünsche, bei der Konkurrenz in akzeptabler Weise funktionieren würde, aber wenn die Kategorie Tablet sich weiter entwickeln soll, dann in diese Richtung. Denn ich lebe ich nicht in Apps, sondern im Netz. Und das iPad ist das Fenster für beides.
Ein bisschen Keta
Tablets und Laptops werden immer weiter aufeinander zurücken und irgendwann miteinander verschmelzen. Als was auch immer. Ein Blick in die Windows-Welt zeigt, wie das gehen könnte. Dort gibt es zahlreiche Geräte, die Tablet und vollwertige Tastatur miteinander verbinden. Die Umsetzung bislang? Meiner Meinung nach bislang eher fad. Und Apple? Soll an einem noch größeren iPad arbeiten und gleichzeitig an einem neuen ultradünnen Laptop mit Touchscreen. Die Lösung? Vielleicht irgendwo dazwischen. Apple hat sich bislang aus der Diskussion, für wen das iPad denn nun am besten geeignet ist oder für welche Aufgaben, vornehm zurückgehalten. Das ist nur logisch und auch gut so. Ein paar Ideen könnten aber nicht schaden. Ich bin mir sicher, dass das auch die Verantwortlichen in Cupertino wissen. Bis dahin bleibe ich dabei: Wie gut die neuen iPads tatsächlich sind, hängt davon ab, was man gerne damit tut.