Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##Kornél Kovács – The Bells
Thaddeus: Bei Glocken muss man immer vorsichtig sein. Sehr verführerisch als sonisches Druckmittel für die Seele, genau deshalb auch gefährlich. Kann schiefgehen. Fragt mal Levon Vincent und hört sein dämliches Cover von Oldfields „Tubular Bells“. Das Tolle am ersten Album von Kornél Kovács ist aber, dass trotz Titel irgendwie gar keine Glöckchen im Sound eingebaut sind. Kornél Kovács? Schipperte vor ziemlich genau zwei Jahren zum ersten Mal hier rum und ist als Kumpel von Axel Boman und als Macher von Studio Barnhus sowieso über alle Zweifel erhaben. Guter Mann und hoffentlich ein mindestens so guter Typ. Hört man die Platte, bleibt einem gar nichts anderes übrig, genau das zu mutmaßen. Denn Kovács rollt hier einen sehr persönlichen Teppich aus. Der (der Teppich) ist natürlich kariert, damit so viel Gemuschel und Gemauschel reinpasst wie möglich. Kovács klingt nicht wie Techno-Typ XY. Das ist löblich, heutzutage aber fast schon ungewöhnlich. Ist auch gar kein Techno, auch kein House oder sonstwas, „The Bells“ hängt sehr angenehm zwischen den Nähten, ist sehr verspielt, fast humorvoll, aber doch fokussiert, bedient das, was von so einem Album erwartet wird, ohne dabei aber vorhersehbar zu sein. Eine sehr bunte Angelegenheit mit viel schillernder Farbe und noch größerer Euphorie. Klingt komisch, aber das Album ist in gewisser Weise sehr ehrlich und nackt. Auch das kommt heute nur noch selten vor. Es ist schlicht zu einfach geworden, sich und seine Seele hinter perfekt ausproduzierten Stücken zu verstecken. Da hat Kovács keine Lust drauf. Zum Glück. Ach und: Glöckchen sind natürlich doch ein paar drauf. Macht aber nichts. Mag ich ja eh.
##Zomby – Ultra
Christian: Wenn man von Zombys Debüt (das sich als UK Garage der 90er Jahre ausgab) mal absieht, dann funktioniert seine Musik immer gut als Indikator für Gegenwart. Vor ein paar Jahren waren seine Tracks auf einmal voller Drill und Trap-Beats, nachzuhören auf „With Love“, einer Platte, deren 30 Tracks sich eher wie ein Portfolio anfühlten denn wie ein Album. Nun kommt mit „Ultra“ ein wesentlich knapperes, gleichzeitig viel offener angelegtes Album, dessen musikalische Dominante Grime ist, aber natürlich nie ausschließlich. Auch auf „Ultra“ zeichnet sich ab, was allgegenwärtig Gewissheit ist, dass Pop-Musik nämlich in den letzen Jahren ein recht hohes Abstraktionslevel erreicht hat. Selbst Frank Ocean wird im Feuilleton inzwischen vor allem für das Aufbrechen des Formats, für die Pausen und die plötzlichen Win- und Wendungen seiner Songs gefeiert. In der elektronischen Musik herrscht schon seit Jahren ungebrochene Begeisterung für völlig untanzbare Digitalgewitter. Man mag es aktuell gerne etwas komplizierter – und in gewisser Weise gilt das auch für „Ultra“, obschon dessen Tracks sich gerne nur auf einen einzigen Loop verlasen. Aber auch hier brechen Tracks einfach ab, um sich dann in ganz neue Richtungen aufzumachen. Ein Beispiel dafür wäre das vorab veröffentliche „Sweetz“, eine Kollaboration mit Burial, die einige Hörer offenbar gut überfordert hat. Der Track, der aus einem prolligen Vocal-Sample, Pausen, entsättigten Rave-Signalen und ein wenig Sommergewittergrollen Burialscher Prägung besteht, musste jedenfalls viel Häme ertragen. Dabei ist „Sweetz“ wirklich interessanter als der Burial-Trademarksound, den enttäuschte User sich offenbar gewünscht hatten. Auf „Ultra“ will Zomby sich nie recht festlegen lassen, er hängt am scheinbar Unfertigen: eine Feier der Lücke.
##Beginner – Advanced Chemistry
Benedikt: Eizi Eiz, Denyo und DJ Mad sind wieder da und Hamburg ist „wieder auf der Karte.“ Letzteres würde ich dank 187er ja eh nicht infrage stellen, aber was die Beginner damit zu tun haben? Ich weiß es nicht so richtig. Denn „Advanced Chemistry“ ist mit Sicherheit kein Meilenstein, dank dem die Landkarte deutschen Raps neu gedruckt werden muss. Die Hansestädter (wollen) zeigen, dass sie zwar älter, aber seit „Blast Action Heros“ keineswegs stehengeblieben sind. Das funktioniert super an der Seite von GZUZ und Haftbefehl („Ahnma“, „Macha Macha“) und im verwaschen langsamen „Nach Hause“, wirkt an anderer Stelle aber doch so ungelenk, wie Opa mit dem iPhone. Den verkörpern die Hamburger auch gleich inhaltlich im kulturpessimistischen Track „Spam“, der sich des wahren Kerns – Überforderung dank Digitalisierung, Instagram-Fake-Welt – sicher nicht entziehen kann. In „Schelle“ wird Reggae im Vers mit Trap bzw. Dubstep-Hook kombiniert. Klingt ganz furchtbar. Auch „Rambo No.5“ und „Meine Posse“ mit Samy Deluxe gehören zu den Tiefpunkten des Albums. Trotzdem ist „Advanced Chemistry“ kein schlechtes Album. Ironischerweise sind die drei dort am besten, wo sie dann doch „stehengelieben“ sind – und durch und durch nach Beginner klingen. Dort, wo die Beats klassisch und sanft sind, das Tempo gemächlicher, wie in „So schön“ (feat. Dendemann) und „Kater“. Nostalgiker kommen außerdem mit „Foxy Music“ auf ihre Kosten, verbirgt sich hinter dem Song in Wahrheit ein 43-minütiges Mixtape, das gerade Fans begeistern dürfte, die sich gern „Absolute“ Zeiten erinnern. Völlig unabhängig der Songs, kann sich die Platte einer ordentlichen Portion Gute-alte-Zeit per sé nicht entziehen. Das wohlig nostalgische Gefühl stellt sich schon in dem Moment ein, in dem – zum ersten Mal nach 13 Jahren – Eizis Flow und Denyos unverkennbare Stimme erklingen, und hält bis zum letzten Vers an. Und weil diese Rapstimmen tatsächlich gefehlt haben, bin ich froh, dass „Advanced Chemistry“ endlich da ist. „Oh ja, die Beginner sind back / Around the Eck“.