Wochenend-WalkmanDiesmal mit DJ Shadow, Claire M Singer und RLYR

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.

DJ Shadow The Mountain Will Fall

##DJ Shadow – The Mountain Will Fall
Benedikt: Wer von Turntablism spricht, also der Kunst Plattenspieler mittels Scratching und Beatjuggling als Instrumente zu nutzen, kommt an DJ Shadow kaum vorbei. Der Kalifornier war keineswegs einer der ersten, aber ging in jeder Hinsicht noch einen Schritt weiter. Nach ersten Mixtapes Anfang der 90er und einer Single auf seinem eigenen Label Solesides, wurde sein Debütalbum 1996 zum Meilenstein der HipHop-Geschichte. „Endtroducing“ war das erste ausschließlich auf Samples basierte Album. Dass er sich anschließend mit dem Briten und Mo’Wax-Gründe James Lavelle zusammentat überrascht da wenig. Als UNKLE veröffentlichten die beiden 1998 das Album „Psyence Fiction“ bei dem bereits Thom Yorke und die Beastie Boys mitwirkten. Zwanzig Jahre nach seinem Debütalbum erschien gestern das sechste Studioalbum „The Mountain Will Fall“. Ein Sampling-Fetischist ist DJ Shadow geblieben, bereichert seine Kompositionen mittlerweile aber auch um direkt eingespielte Synthies. Als Gastmusiker sind unter anderem das großartige Duo Run The Jewels und Nils Frahm mit dabei. Außerdem Matthew Halsall, ein Trompeter und Komponist aus Manchester. Musikalisch grenzenlos – und so klingt es auch: immer wieder ufern die Tracks in verschiedenste Richtungen aus, teils differenziert, teils in wohlklingenden Soundmatsch. Was ich als Heavy Listener von elektronischer Musik so liebe, das Zerlegen des Klangs in seine unterschiedlichen Bestandteile während des Hörens, fällt schwerer, wenn jedem Track unzählige Samples zugrunde liegen. Aber genau das ist auch der Grund, warum die x-te J-Dilla-Platte immer noch Spaß macht. Oder eben die sechste DJ-Shadow-LP. Übrigens: Am kommenden Dienstag spielt DJ Shadow im Berliner Gretchen.

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##Claire M Singer – Solas
Thaddeus: Lange hat mich kein Debütalbum mehr so sanft und rabiat zugleich aus dem täglichen Promo-Halbschlaf gerissen. Claire M Singer komponiert und kuratiert schon seit vielen Jahren, ihre Musik jedoch hat es praktisch nie auf Tonträger geschafft. Bis jetzt. „Solas“ (gälisch für „Licht“) ist ihr Debüt, nach vollen 14 Jahren kompositorischer Arbeit. Dass diese Platte nun beim Londoner Traditionslabel Touch erscheint, passt ins Bild. Denn die Orgel als tragendes Instrument spielt im Katalog des Labels des begnadeten A&R Mike Harding und des ebenso begnadeten Fotografen und Designer Jon Wozencroft immer wieder eine Rolle. Und Claire M Singer kennt sich aus mit der Orgel. Sie steht im Mittelpunkt der Kompositionen, das Cello und ein wenig Elektronik steuern die Ausschmückung bei. Bei den auf dem Album versammelten Stücken handelt es sich ausschließlich um Auftragsarbeiten. Das spielt in Bezug auf die Musik keine Rolle, erklärt jedoch, wie schwierig es mittlerweile ist, eine solch zeitgenössische Musik aufzuführen, ohne dabei in Kosten zu versinken. Singer leitet das Orgel-Projekt in der Union Chapel in London, die dortige Orgel von Henry Willis (Baujahr 1877) gilt als legendär. Andere Kompositionen wurden von der Tate Modern beauftragt, von Kulturinstitutionen in Köln, Amsterdam oder New York. Oft scheint bei diesen Performances auch die visuelle Komponente eine große Rolle gespielt zu haben; uns bleibt nur die Musik. Und die ist zeitgenössisch, aber nicht zickig. Streng, aber vor allem gütig. Und in Teilen so epochal, dass man trotz der nicht vorhandenen Beats die Hände gen Himmel strecken will und muss, wie zur Peak Time im Club. „Solas“ ist eine große und umso wichtigere Platte. Ein Zeichen, dass es nach wie vor möglich ist, das Zeitgenössische in der E-Musik ganz unbewusst mit dem Populären vermischen kann. Dafür braucht es Mut und ein reines Herz. Beides hat Claire M Singer.

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RYLR Delayer Cover WW25062016

##RLYR – Delayer
Ji-Hun: Instrumental-Rock ist über die Jahre ein bisschen in Vergessenheit geraten. Bands wie Mogwai, Godspeed You! Black Emperor erinnern an Studentenzeiten, aber nicht an zeitgenössische Rock-Acts. Was ist nur also aus dieser eigentlich so tollen Musik geworden? RLYR (spricht sich Relayer und ist inspiriert durch das gleichnamige Yes-Album von 1974) ist nun eine neue Band aus Chicago. Ihre Mitglieder sind aber – fast wie zu erwarten – alte Hasen im Post-Rock-Metal-Genre. Steven Hess (Locrian), Colin DeKuiper (Bloodiest, Russian Circles) und Trevor Shelley de Brauw (Pelican) haben für ihr 40-minütiges Debüt gerade mal vier Songs aufgenommen. Die Aussage darin ist aber so einleuchtend, energetisch und spektakulär, als hätte es die vergangenen 16 Jahre nicht gegeben. Mich erinnern die Riffs und offenen Harmonien häufig an die leider vergessene, aber ganz großartige Grazer Band Sans Secours. Gitarrenmusik, die mehrere Sonnen aufgehen lassen kann. Oktav-Zweiunddreißigstel-Schrammell-Linien, die wie Raketen aufsteigen. Aufreibender Optimismus, üppiger Melvinismus und ein fantastisches Handwerk. Denn: So kompakte, dicht-komplexe, herzzerreißende Wände muss man zu dritt erstmal hinbekommen. Nach dieser Platte habe ich in der Tat lange gesucht.

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