Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##Meshuggah – The Violent Sleep Of Reason
Ji-Hun: Bevor ich Anfang der Nuller Jahre nach Berlin gezogen bin, hatte ich mit elektronischer Musik, Techno, House gar nicht so viel am Hut. Ich fing einige Jahre zuvor zwar mit dem Auflegen an, hatte mir eine Yamaha-Groovebox gekauft, was rückblickend aber auch ein bisschen daran lag, dass sich meine damalige Band aufgelöst hatte und ich mich alleine irgendwie musikalisch beschäftigen wollte und musste. In Berlin angekommen, kam man ums Raven nicht herum. Die Stadt und sein Einfluss. Und wie kompliziert es doch ist, in Berlin regelmäßig Leute in einen schmuddeligen Proberaum zu bekommen. Als Teenager habe ich viel Metal und Hardcore gehört. Refused, Deftones, Tool, Fantomas, all das Zeug. Man musste mit der schlechten Ruhrpott-Laune ja irgendwo hin. Sich in der Fankurve des Westfalienstadions auszukotzen und auf die Mütze zu kloppen war mir zu blöd. Heute höre ich kaum noch harte Gitarrenmusik. Mal kurz angeschmissen, um in halbseidenen Nostalgien zu schwelgen. Aber gut gealtert sind die wenigsten Platten und Bands. Selbst geliebte Acts wie The Dillinger Escape Plan haben sich in der Zeit schlechte, weinerliche Poprefrains wie bei Highschool-Emo-tauglichen Nu-Metal-Bands angewöhnt, um anschlussfähig zu sein. Wie inkonsequent – gefällt mir gar nicht. Eine ganz große Ausnahme stellt die schwedische Band Meshuggah dar. Mittlerweile 30 Jahre macht die Band aus Umeå Musik und seit über 15 Jahren sind sie für mich die beste Metalband der Welt. Rhythmisch und technisch sind sie das Maß aller Dinge.
Perfekte, raue, fundamentale Arrangements, die auch gerne mal am Rechner produziert werden, weil sie so komplex sind und dennoch dabei einen derart massiven, unfassbar fetten Groove entwickeln, dass man das Atmen vergisst. Außerdem: die Band macht seit jeher so viel richtig. Keines der Instrumente drängt sich in den Vordergrund. Keine gniedeligen, lederhosenverkniffenen Wichs-Soli, kein „Guck-mal-ich-kann-vier-Oktaven-laut-böse-schreien-und-ganz-sentimental-trällern-damit-uns-auch-die-Mädchen-mögen“-Vocals. Schließlich wäre noch der brillante Schlagzeuger Tomas Haake, der alle Elemente kongenial zusammenhält und die Riffs erst definiert. Der Buddy Rich seines Genres. Meshuggah sind ein unglaublich sophisticated Unisono-Panzer, dessen Eingespieltheit und Perfektion mir immer wieder eine Gänsehaut einfährt. Und, einige dürften den Kopf schütteln, ich finde das auch wirklich entspannend. Die meditative Suche nach der Eins (wohl der Grund, wieso die Spielart Math Metal genannt wird), Bach’sche fast fugenhafte Sequenzen, eine wohlig moderate, konstante Dynamik. Nun ist das neue Album der Band erschienen: „The Violent Sleep of Reason“ und es ist die vielleicht coolste Platte der Band. Cool im Sinne von lässig, unaufgeregt, unverkrampft, virtuos wie eine gut abgehangene Jazzband. Seit dem Bestehen von Das Filter habe ich mich eigentlich geweigert, Metal zu besprechen oder in den Walkman zu pakcen. Was sollen die Leute bloß von mir denken, dachte ich, und irgendwie ist der Sound und die Szene auch zu isoliert, tritt kaum mit anderen Genres in Verbindung und Wechselspiel. Aber Meshuggah bleiben einzigartig und speziell. Sie sind intelligent, ästhetisch auf der richtigen Spur, inspirierend und immer noch voll mit genialen Momenten. Liebe Leserin, werter Leser, verzeihen Sie mir diesen gewollten stilistischen Ausrutscher. Aber das musste jetzt sein.
##(ghost) – The First Time You Opened Your Eyes
Thaddeus: Brian Froh heißt der Komponist hinter dem eingeklammerten Geist, und obwohl ich mich eigentlich ganz gut auszukennen glaube, beim tollen Label „n5MD“, sind mir seine zwei bisherigen Platten ganz offenbar durchgerutscht. Wird so schnell es geht nachgehört, wenn ich mich doch nur von seinem neuen Album loseisen könnte, diesem wunderschönen Stück Musik aus einem Guss, 34 Minuten lang. Manchmal braucht es eben nur einen Track. „The First Time You Opened Your Eyes“ ist Ambient. Purer Ambient. Ambient im besten Sinne des Wortes. Es beginnt ganz leise, mit einer Art elektrifiziertem Zirpen der Grillen, die allesamt schon ihre kleinen Köfferchen gepackt haben, um sich aus dem Staub zu machen. Vielleicht ist der Sommer vorbei, vielleicht ist auch etwas anderes passiert, vielleicht braucht der Grillenkönig dringend Hilfe von allen Grillen weltweit. Langsam, ganz langsam schält sich aus dieser Basis eine Melange aus weit weg hallenden Akkorden und sanften Vocal-Arrangements heraus, kalt und warm zugleich, greifbar und doch so fremd und weit weg. Schnell sind 25 Minuten um. Man merkt gar nicht, wie dieses behutsame Konstrukt sich immer weiter konkretisiert, die Echokammer tröpfchenweise verlässt, um schließlich von einer zweiten dreiklangigen Melodie in Empfang genommen zu werden, deren Einfachheit einen so vertrauensvoll in den Arm nimmt, dass plötzlich nicht nur alles gut ist, sondern auch wieder still. Eine vollkommen unfassbare Platte.
Minimal House 2016 – Variuos Artists
Benedikt: Jaja, ich weiß: Meint der das ernst? In Musikjournalistenkreisen werden Compilations dieser Art im schlimmsten Fall verhasst, im besten Fall verlacht. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Nie werden sie ihrem Anspruch – der Abbildung eines Genres – wirklich gerecht, zumal ebenjene Bezeichnungen heute weitestgehend als überholt gelten. Ein lupenreines Minimal-Techno-Set will doch keiner mehr hören. Und was genau ist überhaupt Minimal House im Jahre 2016? Außerdem kratzen diese Mixe nur an der Oberfläche, enthalten den Most-Commen-Sense innerhalb ihrer fragwürdigen Klassifizierung. Und trotzdem: Für viele sind sie der Einstieg in jene Musikwelten dessen Skizzierung sie propagieren, in House und Techno. Bei mir war das damals nicht anders. Irgendwann in den Nullerjahren fand ich Geschmack an gerader Bassdrum jenseits der 120BPM und „Minimal Techno 5“ (erster Song „Sky & Sand“, tzz) hat die Tür zum Technoclub (der in ostwestfälischen Dörfern wahrlich Mangelware ist) dann endgültig aufgestoßen. Die Platte lief rauf und runter, selbst meine Eltern kannten (zu ihrem Leid) bald jeden Track in- und auswendig. Ohne diese Doppel-CD würde ich jetzt vielleicht gar nicht hier sitzen und diesen Text schreiben. Wer weiß das schon. Sie wurde an Freunde verliehen, auf Autofahrten gehört und steckte weitere Menschen an, aus deren Leben Techno heute nicht mehr wegzudenken ist. Das darf jedem Fan elektronischer Musik nur recht sein. Ich glaube das diese Platte imstande ist, das gleiche zu leisten wie MT5 damals bei mir. Sie streift Techhouse, kommt mit ikonischen Samples („Rise Of The Fallen“, „Can You Feel“) und scheppernden Hi-Hats („Next Level“). Diese Platte kann ein Türöffner sein. Oder ein musikalisches Summary. Oder der Bilderrahmen für Wochenend-Erinnerungen des vergangenen Jahres. Weder perfekt noch sophisticated. Aber macht Bock.