Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##S Olbricht – ZZM
Thaddeus: Martin Mikolai kommt aus Budapest und ist alles andere als ein Debütant. Seit 2010 veröffentlicht er seine Musik, die irgendwie Techno ist, eigentlich jedoch auf allen Ebenen diesen Todesstern weiträumig umfliegt. Olbrichts Sound-Verständnis ist einfach ein anderes, ein kontinuierliches Spiel mit gesetzten Standards, die er immer wieder radikal neu staffelt und so aus den vollkommen überschätzten Angeln hebt. Auf „Opal Tapes“ hat er veröffentlicht, auf seinem eigenen Label „Farbwechsel“. Ich habe ihn jedoch erst seit seinem Album auf „Lobster Theremin“ wirklich auf dem Zettel. Hier kommt nun sein Debüt auf „UIQ“, dem sympathischen Label von Lee Gamble, selber eine große Nummer im Club der Verweigerer. Die vier allesamt kryptisch betitelten Stücke sind musikalisch erfreulicherweise ganz und gar nicht verschlüsselt, sondern vielmehr weiche und irgendwie ziemlich leise Oden an den bunt schillernden Dancefloor. Es macht den Eindruck, als halte sich Olbricht in der Produktion bewusst zurück. Hier geht nichts frontal nach vorne, hier muss man Dreh und die Abfahrt suchen. Dauern tut das nicht lange, im Gegenteil. Denn auch wenn einen die nicht den Ton angebenden Beats eher kalt lassen, sind meine Chords und Melodien (ein bisschen mystisch, ein bisschen Science Fiction und immer ein bisschen traurig wirkend) ohnehin der bessere Einstieg in diese Platte. Die Referenzen sind offensichtlich, aber hier nicht relevant. Eine ganz entzückende Platte von der anderen Seite.
##Rodrigo Amarante – Cavalo
Ji-Hun: „Soy el fuego que arde tu piel / Soy el agua que mata tu sed …“ Oft habe ich die letzten beiden Wochen diese kitzelnden Introzeilen von Rodrigo Amarante gehört. Wie so viele andere bin ich auf der Netflix-Serie Narcos hängengeblieben. Dieses unfassbare Gewalt-Drama über den kolumbianischen Drogenbaron Pablo Escobar. Passenderweise nach einer Woche Mexiko, die ich auf einer Pressereise verbringen durfte, hatte ich das Gefühl die schwüle, lateinamerikanische Luft und das dichte Klima in der Serie weiter atmen und fühlen zu können. Der Titelsong „Tuyo“ von Amarante ist ein fantastisch arrangierter und schön intonierter Song von gerade mal anderthalb Minuten und irgendwann musste ich doch herausfinden, wer das so gut gemacht hat – Obwohl ich in der Regel um lateinamerikanische Popmusik einen Bogen mache, wie um einen Quinoa-Rote-Beete-Salat nach einem versoffenen Clubabend. Amarante spielte einst in der legendären brasilianischen Rockband Los Hermanos, was ich aber nie verstanden habe, die Musik meine ich. Als Rodrigo Amarante brachte er aber 2013/2014 sein erstes Soloalbum „Cavalo“ heraus. Ein subtiles, rustikal-edel arrangiertes Album mit zahlreichen Background-Vocal-Features von Devendra Banhart, Adam Green, Kristen Wiig oder auch dem Strokes-Drummer Fabrizio Moretti hinter der Batterie. Folkig, lasziv, rauchend wissend, mit dem Duft von jahrhundertealten Rumfässern. Nach zwei Staffeln am Stück wird das Warten auf Season 3 wohl oder übel zäh. Aber, Rodrigo Amarante will dieses Jahr noch ein neues Album herausbringen. Das könnte die Leerlaufzeit zumindest musikalisch verkürzen.
##Touché Amoré – Stage Four
Susann: Es gibt kaum ein Album, dass ich so sehnsüchtig erwartet habe wie das gestern erschienene „Stage Four“. Überhaupt mal wieder ein Album zu erwarten, wo man doch sonst eher in Neuerscheinungen ertrinkt. Das vierte Album der wohl vielversprechendsten Post-Hardcore-Band verweist schon in seinem Titel auf die schmerzliche Erfahrung des Krebstodes der Mutter von Sänger Jeremy Bolm. Sie starb nach langer Erkrankung als Touché Amoré im Herbst 2014 in Florida ein Konzert spielten. Und waren die vorherigen Platten in ihren Texten eh schon immer persönlich gewesen, so ist diese die private Trauerarbeit von Bolm. Doch die Gratwanderung zwischen „privat“ und „persönlich“ gelingt – „Stage Four“ ist nicht pathetisch oder pietätlos, doch die Verlusterfahrung so schmerzhaft, dass es spürbar wird. Die Wucht in der Stimme, in den Gitarren und vor allem in den wilden, raffinierten Drums gleicht den Vorgängern, gesanglich wird es melodischer. Wie berührend und begrüßenswert Bolms Avancen mit der Melodie sind – auch wenn kaum einer so herzzerreißend und wütend auf der Bühne schreit, zeigt sich im finalen Stück „Skyscraper“, ein Duett mit der 21-jährigen amerikanischen Folksängerin Julien Baker. Jeremy Bolm vermacht seiner Mutter die vielleicht schönste Stadt der Welt: „You live there, under the lights“.