„Hey Guys!“So war Chance The Rapper beim Apple Music Festival in London
3.10.2016 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannDie gesamte zweite Septemberhälfte über schickte Apple Superstar nach Superstar auf die Bühne des Londoner Roundhouse. Zum zehnjährigen Jubiläum des Festivals – früher iTunes, heute Apple Music – spielten u.a. Elton John, Britney Spears, Robbie Williams, Calvin Harris und Alicia Keys. Immer für umme, immer, um Apple Music mit mehr Videos und Streams zu versorgen, die man anderswo vergeblich sucht. Cupertino will Player der Unterhaltungsbranche werden. Chance The Rapper knipste am vergangenen Freitag das Licht aus.
Ausgehen in London ist anno 2016 ungefähr so lässig wie der Sicherheitsbereich am Flughafen. Die Schlange ist lang, die Kontrollen länger, das Wetter schlecht. Journalisten können sich zum Glück auf anderem Weg in das Roundhouse in Camden Town schleichen, in dem rund 1.700 Menschen Platz finden. So viele sind am letzten Abend des Festivals nicht da, voll ist es dennoch. Es ist wie überall; alle sind auf ihre iPhones konzentriert, wer ein Galaxy hat, wirkt etwas unsicher. Immerhin hat man die Tickets ja bei Apple gewonnen. Geld will Cupertino nicht von den Fans: Das Festival – mittlerweile eine zehnjährige Tradition, die in den vergangenen Jahren auch in anderen Ländern getestet wurde – generiert Kontakte, Interesse an der Marke und natürlich am noch jungen Streaming-Dienst Apple Music, beschert den Anwesenden aber im Idealfall einfach eine gute Zeit, bzw. ein schönes Konzert. Ist ja auch schon was.
Man ist angehalten, pünktlich zu sein. Festivals – egal ob mit 20 Bands an einem Abend oder – wie heute – nur einem Act, sind an die Brüsseler Atomuhr gekoppelt. Also kommen alle früh, zu früh, und stehen rum. An der Bar frage ich ein paar Leute mit Apple-Logo auf ihren Fleece-Jacken, wie es denn so gewesen sei, das zehnte Festival. Alle raunen nur „Britney, Britney“, das sei ja sowas von, aber Chance ist ja auch groß! Und so ungefähr der einzige Künstler, der mich persönlich interessiert bei der diesjährigen Veranstaltungsreihe. Das war nicht immer so. Ich war schon auf einigen dieser Apple-Festivals und werde das Gefühl nicht los, dass die früher besser – will sagen: mutiger waren. Ein klitzekleines Bisschen edgy. Egal, der Weißwein kostet £ 6,80, ordentliches Pub-Niveau, dann man los. Drinnen spielt Smoko Ono, DJ und Buddy von Chance, aber der hat irgendwie keinen besonders inspirierten Tag oder besser Abend, nuckelt an seinem Drink, den Rest besorgt Traktor oder Final Scratch, vor allem aber der Sync-Button, was den Drink umso attraktiver macht; auch mein Wein ist schnell leer. Da ist viel Drake drin in seinem Set, prinzipiell also nicht verkehrt, so richtig kicken will das aber nicht, soll es vielleicht auch gar nicht, denn einem Buddy stiehlt man nicht die Show – Ehrensache.
Das Roundhouse hat zwei Ebenen. Den Floor, hier steht das Fußvolk, die Fans und all die, die trotz Smartphone-Sucht eben doch mitten drin oder zumindest nahe dran sein wollen. Und dann den Rang, wie das eben so ist in einem Theater-ähnlichen Setup. Wie man dort hingelangt, wird mir bis zum Schluss nicht so recht klar; ein anderes Bändchen, ein Umhänge-Pass, eine Hintertür, egal: Wer da sitzt ist eh lame, das hat gerade in UK Tradition, die musikalische upper class auf dem Balkon gehört gedisst: Die besten Momente vieler Live-Alben aus der Brixton Academy und anderen Venues mit langer Geschichte beweisen das.
Im Roundhouse geht es wahnsinnig gesittet zu. An zentralen Punkten stehen Mülltonnen für die Plastikbecher – fun fact: Becks produziert in England Plastikflaschen für das Bier, damit sich das feeling und die Sicherheit nicht im Wege stehen – die Klos sind praktisch im Pit links. Und rechts. Ausgehen kann so convenient sein. Auch weil Chance so pünktlich, getrieben von der Brüsseler Atomuhr, auf die Bühne kommt.
Chance und ich: Wir hatten bislang noch nicht das Vergnügen. Ein irrer Typ voller Widersprüche. Und eine Quasselstrippe. Für jemanden, der was mit HipHop zu tun hat, gehört sich das ja auch, nicht nur irgendwie, sondern mindestens mit drei Ausrufezeichen, aber Chance, hey, der stellt sich erstmal vor. Ich bin Chance, bin aus Chicago, hey guys, good to meet you, good to see you. Wirkt müde, der Rapper, hat eine leicht kratzige Stimme, die ihn noch müder und abgekämpfter wirken lässt, was ihn wiederum total sympathisch macht und auch latent knuffig. Er käme ja viel zu selten nach London – hey guys – und auch, wenn das alles bis ins letzte Detail durchchoreographiert ist, ist es dennoch extremst sweet und kredibel. Seine Band – The Social Experiment – ist tight, der Drummer doppelt die synkopischen 808-Eskapaden der Backing Tapes perfekt, der Keyboarder kann Keyboard spielen und der Dritte im Bunde – vor allem an der Trompete, aber auch am Synth – ist locker drauf. Die Tracks fließen nur so dahin. Wenn Chance in den Pausen zwischen den Sogs müde wirkt, verschwindet das sofort, wenn der Beat einsetzt, das Sample, der Kick, dann ist Chance ganz bei Chance, und natürlich hat er das Publikum – hey guys – komplett und bis in alle Ewigkeit im Griff. Er sei ja gerade erst angekommen in London, aber es sei ihm irgendwie klar, dass heute Nacht eine besondere Nacht sei und deshalb mache man das hier und heute mal anders als anderswo. Finden alle gut, überraschend nur, dass die Visuals dennoch auf die Millisekunde sitzen, als wäre das der 400. Gig einer 3-Jahres-Tour. Schwamm drüber.
Chance ist ein bescheidener Typ im Umgang mit seinem Publikum. Er wirkt dankbar – hey guys, my name is Chance The Rapper – und erst dann ein bisschen zufrieden. Das passt natürlich zu seiner Musik und seinem aktuellen Status, um den er sich nun wirklich keine Sorgen machen muss. Wer weiß schon, wo er morgen die gleiche Nummer abziehen wird, ist auch egal, weil heute ist heute und alles ist smooth. Alles sitzt, alles swingt, diese Stimme füllt das Roundhouse mindestens zweimal and then some. Es klingt knackig und butterweich zugleich. Und gen Ende, da nimmt Chance die Damen und Herren im Rang ins Visier, es sei doch toll, wenn auch von da oben mal ein bisschen ... vielen Dank.
So schnell der Zauber begonnen hat, ist er auch wieder vorbei. 60 Minuten: Schicht im Rap-Schacht. Das ist ok, ich mag kurze und knackige Gigs, es wirkt aber fast wie ein etwas zu kurz für den finalen magnum opus eines solchen Festivals. Natürlich dankt er Apple ebenso wie dem vermeintlichen Millionenpublikum, das das Konzert live am Rechner oder Smartphone verfolgt. Cue? Check. Gehört dazu in einer Zeit, in der solche Events eben nicht mehr einfach so stattfinden. Und dann ist alles over. Gerade mal 22.30 Uhr ist es, wer Chance The Rapper in London schaut, muss nicht mal die erst vor wenigen Wochen an den Start gebrachte night tube in Anspruch nehmen. So geht Entertainment. Alle happy, alle pünktlich im Bett.