Buchrezension: Kate Tempest – Hold Your OwnIm Testosterondunst
27.6.2016 • Kultur – Text: Kristoffer CornilsZeitgleich mit ihrem Debütroman „Worauf du dich verlassen kannst“ wird auch Kate Tempests Gedichtband „Hold Your Own“ in Deutschland erstmals aufgelegt. Wieder eine neue Facette der Künstlerin und Musikerin, eine Facette, die Tempests prägende Phase in der Poetry-Slam-Welt widerspiegelt und die Basis ihres heutigen Schaffens bildet. Kristoffer Cornils hat den Band gelesen.
Kate Tempest ist eine technisch gute Rapperin und wie bei jeder technisch guten Rapperin braucht sie nur den richtigen Stoff und die korrekte Attitüde, um wirklich gut abzuliefern. Kate Tempest ist aber auch Theaterregisseurin, Romancière und Lyrikerin. Die zweisprachige Ausgabe ihres 2014 veröffentlichten Gedichtbands „Hold Your Own“ erscheint im Fahrwasser von Tempests Roman „Worauf du dich verlassen kannst“ (im Original: „The Bricks That Built The Houses“), der allenthalben gefeiert wird. „Hold Your Own“ ist das, was in der Musik ein Konzeptalbum genannt würde und was in der Lyrik keinen Namen hat, weil ein gerüttelt Maß an Konzeptualität oder zumindest inhaltlicher Stringenz da selbstverständlich scheint. Nichts Besonderes auf den ersten Blick, Äpfel und Birnen - äußerlich nicht unähnlich und doch ganz anders strukturiert.
Tempest aber hat nicht nur zwei Rap-Alben herausgebracht, sondern auch eine Poetry-Slam-Vergangenheit und ein Programm: »Language lives when you speak it. Let it be heard«, lässt sie uns „These Things I Know“ im Gedicht selben Namens wissen. So liest sich Hold Your Own dann auch: direkt, verständlich, klanghaft. Tempest scheißt auf den glatten Endreim, wenn die Endsilben noch miteinander schwingen oder legt als Kind von der Golden Era den Fokus lieber auf interne Assonanzen und Stabreimerei, das heißt: Flow.
»She learns how to swim in the stink / And not sink in it« ist so ein Zungenbrecher, der dabei als quietschlebendiges Sprachtierchen aus den Zeilen gekrabbelt kommt. Sie ist eben eine technisch gute Rapperin und das klingt in der Lyrik nach.
Vor allem aber ist Tempest eine Geschichtenerzählerin und als solche ist ihre Erfahrung als Rapperin nicht nur in stilistischer Hinsicht für ihre Lyrik maßgeblich. „Hold Your Own“ hangelt sich an der Figur Teirasias’ entlang, dem blinden Seher, der zwischendurch auch mal blinde Seherin war. So wie Tempest sich im Testosterondunst der Cypher, performativen wie sozialdarwinistischen Mittelpunkt des Battle-Raps, bemannen muss:
»I move like the boys, / I talk like the boys, / but my words are my own.«
Sprache wird zum identitären Rückzugsort einer autofiktionalisierten Figur - denn wo fängt Tempests Ich-Erzählerin an, wo hört Teirasias auf? -, die nicht nur in sexueller oder romantischer Hinsicht keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern macht, sondern zugleich ihr Gender nach Kontext alterniert. Und nebenbei die Genres Rap oder Slam und Lyrik verwischt. Doch wozu das Ganze eigentlich, außer für ein paar Punchlines beim Vortrag?
So wie Teirasias zuerst wieder die männliche Schlange ermorden muss, um zu seiner männlichen Gestalt zu finden, erzählt Tempest die Geschichte eines Vatermords. Teirasias wird zum Ödipus, der dem patriarchalen Kapitalismus als Sonderling gegenüber und gegen ihn einsteht. Das kommt nicht ohne peinliche Tiraden gegen die »Powerful men« dieser Welt aus, jedoch wirft selbst das postpubertäre Geseire gegen den Kapitalismus, seine Ursprünge (Religion) und Konsequenzen (Krieg) grundlegende Fragen auf. Wer nämlich spricht da eigentlich? »A boy of fifteen / With the usual dreams / And the usual routine«, wie uns Tempest Tiresias zu Anfang des Bandes vorstellt? Ihre Ich-Erzählerin? Sie selbst? Das ist alles nicht so einfach zu bestimmen und deswegen spannender, als es letztlich auf den ersten Blick wirkt.
Rosa Luxemburg, bell hooks, Beyoncé? Nein, es gibt hier tatsächlich vor allem männliche Stifterfiguren.
Neben der Hauptreferenz auf die griechische Mythologie inklusive dem Auftritt eines schluffigen Zeus, zieht Tempest vor allem zwei Autofiktionalisten für „Hold Your Own“ heran: Bob Dylan wird an der einen, Charles Bukowski auf der anderen zitiert und selbst James Joyce - bekannt als Verfasser saftiger Liebesbriefe und dem einen oder anderen Roman - hat einen kurzen Auftritt. Rosa Luxemburg, bell hooks, Beyoncé? Nein, es gibt hier tatsächlich vor allem männliche Stifterfiguren, die zu intellektuellen Steigbügelhaltern im Sturm auf die phallozentrische Ideologie herbeigeführt werden. Auch das: Entweder widersinnig oder ziemlich sinnig.
Wir können das jetzt gerne theoretisieren, das wäre aber auch ein bisschen doof.
»Sometimes things are as simple as they seem«, schreibrappt Tempest im programmatischen Text über „These Things I Know“ und hat sich damit entweder nicht selbst verstanden oder ist uns einen Schritt voraus. »Fine enough for poets, but in real life / The blood is flowing« sei dieses Leben, heißt es überdies in einem anderen Gedicht, das per Titel „Radical Empathy“ einfordert. Soll heißen: Wir können das jetzt gerne theoretisieren, das wäre aber auch ein bisschen doof. Das erklärt einerseits die häufigen Unmutsbekundungen über soziale Medien als kapitalistisches Sedativ, welches auch immer die Identitäten aufsplittert - nur eben nicht „Hold Your Own“ als Gesamtes. Denn ein Band, der so zum Zusammenhalt aufruft und zugleich in tausend Teile zerfällt, veranschaulicht damit entweder sein Scheitern oder die Dringlichkeit seiner Aussage.
Es bleibt ein merkwürdiger Nachgeschmack. Einerseits angesichts dessen, was Tempest nicht wirklich richtig macht oder die Erzählinstanz nicht richtig machen lässt - beispielsweise in einer »tranny bar« herumhängen, als würde der Begriff nicht gerade vor dem Hintergrund des Teiresias-Mythos nicht umso ab- und entwertender klingen. Oder wenn sie zwar jede Menge Augenmerk auf weibliche Erfahrungen in einer sexistischen und sexualisierten Umgebung legt, Hautfarbe aber völlig auszublenden scheint. Andererseits angesichts dessen, dass ihre Stellungnahme sich dermaßen verkompliziert, dass am Ende nur noch Verwirrung herrscht.
Die Verwirrung ist dann schön, wenn erstens der Blick nicht auf deutsche Übersetzung Johanna Wanges huscht, die Tempests Duktus zwischen lyrischer Klassik und Wie-die-Leute-halt-reden-Sprengseln in der deutschen Wort-für-Wort-Übertragung absolut verlangweilt und ihr damit auch jegliche inhaltliche Brisanz austreibt. Die ist dann immer noch schön, wenn Tempest ein schreiendes Pathos an den Tag legt, welches eben nur einer von ihr beseelten Figur in den Mund gelegt worden sein könnte. Unschön wird die Verwirrung nur dann, wenn sich der Gedanke einschleicht, Tempest könnte es mit dem Gesagten weitaus ernster meinen als mit den sich dazwischen entspinnenden Widersprüchen. Denn dann ist sie eben nur eine technisch gute Rapperin, die zwar den richtigen Stoff, nicht aber die korrekte Attitüde mitbringt.
Kate Tempest, Hold Your Own. Gedichte, ist als zweisprachige Ausgabe bei Suhrkamp erschienen.
Übersetzt von Johanna Wange
Preis: 16 Euro
Das englische eBook bei iTunes
Diese Rezension erschien ursprünglich auf der hervorragenden und an dieser Stelle wärmstens empfohlenen Plattform Fixpoetry. Herzlichen Dank für die schnelle und unkomplizierte Erlaubnis zum Zweitabdruck.