Das Auto als KunstwerkEin Interview mit „The Drive“-Herausgeber Maximilian Funk
3.6.2016 • Technik & Wissen – Text: Ji-Hun KimTunen, Pimpen, Customizen. Die Geschichte des Modifizierens von Autos ist fast so alt wie die des Automobils selbst. Vom Hot Rod, über den Lowrider bis hin zu brachialen hochmodernen Straßenmonstern sind im Laufe der Zeit viele Szenen und Genres entstanden, die nun erstmalig in dem Band „The Drive – Custom Cars And Their Builders“ in einer einzigartigen Bandbreite portraitiert und zusammen gefasst wurden. Wir trafen Mitherausgeber Maximilian Funk, der selbst begeisterter Schrauber von Motorrädern und Autos ist, und sprachen mit ihm über den Wahnsinn der Bastler, Autodidakten und Autos als individuelle Kunstwerke.
Wie ist es zu dem Buch „The Drive“ gekommen?
2013 erschien beim Gestalten Verlag erstmalig ein Buch, das nichts mit Design zu tun hatte: „The Ride“. Es ging um Custom Bikes, individualisierte Motorräder und der Band hat es geschafft, in der Szene zu einer Art Bibel zu werden. Letztes Jahr wurde der zweite Teil veröffentlicht. Da lag es auf der Hand, dass man sich den viel größeren, vielschichtigeren Kosmos der Automobile einmal vorknöpft.
Wieso Custom Cars?
Das war logisch. Es gibt dazu eine lange Historie, wahnsinnig viel zu erzählen und zu sehen. Die Autos waren fotografisch auch schon gut dokumentiert.
400 Seiten ist das Buch dick geworden. Wie geht man an so etwas ran?
Ich beschäftige mich ja schon lange mit dem Thema und persönliche Interessen spielen natürlich auch eine Rolle. Redaktionell ging es aber vor allem um die unterschiedlichen Ausprägungen der Subkulturen. Sei es Hot Rodding, Lowrider – die Custom-Themen aus den 50er/60er Jahren. Solche Szenen entwickeln sich seit Jahrzehnten. Da gibt es dann natürlich Leute, die herausragend sind. Mit den Protagonisten haben wir uns viel ausgetauscht und sie auch Beiträge für das Buch verfassen lassen.
Was definiert überhaupt ein Custom Car?
Keine einfache Frage. Aber am Ende gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Die einen versuchen, ein Auto durch Ingenieursarbeit besser und schneller zu machen. Den anderen geht es um die ästhetische Seite. In Kalifornien gibt es zum Beispiele die Könige, wenn es um das Styling von Autos geht. Bei einem Custom Car geht es aber um mehr, als nur einen Satz neuer Räder mit Alufelgen drauf zu schrauben. Es geht um Detaillösungen.
Was sind das für Menschen, die Autos customizen?
Individualisten, die sich ein Handwerk ausgesucht haben, es schätzen und sich darüber definieren. Es gibt Leute, die schrabbeln ihre Jeans ab und andere gehen eben einen ganzen Schritt weiter.
Ein bisschen Wahnsinn ist ja schon dabei.
Natürlich. Vieles macht keinen Sinn. Jemand aus der Custom-Bike-Szene meinte mal: das Bike wäre die Handtasche des Mannes. Niemand braucht das, jeder will es.
Welche Rolle spielt dabei das Auto selbst?
Bei allen Arbeiten verliert das Auto nie seine Funktion als Auto. Auch mit dem Lowrider für 300.000 Dollar kann man den Einkauf um die Ecke betätigen. Es geht natürlich auch um Spaß. Für viele wird das Auto zu einer Art Kumpel, Autos überstehen die meisten Beziehungen. Durch das Internet merkt man aber auch, dass sich die Szene-Grenzen auflösen. Man schaut mehr über den Tellerrand als noch vor 20 Jahren.
Ist Customizen auch Konsumkritik?
Es geht durchaus darum, ein Produkt zu optimieren, besser zu machen. Jonathan Ward von Icon 4x4 nimmt beispielsweise einen Toyota Land Cruiser, schmeißt alles Plastik raus und legt sie so auf Haltbarkeit aus, dass sie in 40 Jahren noch unterwegs sind. Da handelt es sich um eine Abkehr davon, sich jedes Jahr ein neues Leasing-Auto zu holen.
Heute ist es bei neuen Autos ja unmöglich eine Glühbirne, geschweige denn eine Zündkerze zu tauschen. Da geht es schon auch um Obsoleszenz.
Es geht vor allem ums Schaffen von Abhängigkeiten. Früher mussten Hersteller Ersatzteile für 20 Jahre auf dem Lager haben, heute sind es nur noch acht. Ein Oldtimer ist definitiv einfacher zu warten.
Heißt es dann, dass es in Zukunft kaum noch Custom Cars geben wird, weil sich heutige Autos für diese Kultur gar nicht mehr eignen?
Würde ich nie sagen. Die Barrieren werden durch die Elektronik andere. Aber auch da wird es Menschen geben, die in Zukunft E-Motoren mit dem Computer tunen werden.
Youngtimer sind in der Großstadt definitiv ein Thema geworden.
Ja. Das ist ein Trend. Aber die Frage ist, wie lange die Leute an den Autos dran bleiben. Das merkt man beim Thema Motorrad auch schon. Da wird ein umgebautes Motorrad gekauft und nach zwei Jahren merkt man, das Fahren bei Wind und Wetter ist nicht immer schön und das Interesse ist schnell verloren.
Was sind deine Lieblingsautos aus dem Buch?
Da gibt es viele. Ich bin in den 80ern geboren und finde daher die Generation New School super. Der Chevrolet von Ringbrothers ist ein Kunstwerk. Das sind unglaubliche Materialien, die Firma Ringbrothers arbeitet eng mit Firmen wie BASF oder Flugzeugcarbon-Herstellern zusammen. Da gibt es viele Detaillösungen, das Filtersystem, die Carbonansaugstutzen – beeindruckend präzise. Ein großer Fan bin ich vom „Rusty Slammington“ von Mike Burroughs. Burroughs hat den Blog Stanceworks gegründet, heute eines der wichtigsten Medien der modernen Custom-Car-Szene. Beim Auto handelt es sich ursprünglich um einen BMW 5er E28. Der stand in seiner Werkstatt und vor fünf Jahren ist die einfach abgebrannt. Aus dem Wrack hat er dann dieses Auto gebaut. 90.000 Dollar investiert, Nächte lang geschraubt, die Beziehung mit seiner Freundin riskiert. Der Wahnsinn. Ich saß einmal in dem Wagen drin. Es hat überall gekribbelt, der Sound, die Brutalität, die Emotion, die Geschichte dahinter – das kann überwältigend sein.
Handelt es sich deiner Meinung nach um Kunstwerke?
Der Reboot Buggy wäre so ein Beispiel. Da stand die Funktion an allererster Stelle und so ist ein wirklich radikales Design entstanden.
Kann man von Stars der Szene sprechen?
Es sind durchaus Stars darunter, viele von ihnen sind Einzelkämpfer. Wie zum Beispiel Pipey McGraw, der einen verrückten Golf gebaut hat: den tiefsten Golf der Welt. Es gibt halt laute und leise Typen in der Szene. Chris Runge von Flyer Motorwerks ist einer der leiseren. Er baut Aluminiumkarosserien in Handarbeit. Er wollte ursprünglich einen Porsche 356 kaufen und hat von der Witwe, die das Auto ihres verstorbenen Mannes veräußerte, dessen Karosseriewerkzeug mitbekommen. Daraufhin hat er angefangen auf einem Holzgestell Karosserien von Hand zu klöppeln. Er konnte nicht mal schweißen. Ein Autodidakt.
Aber genauso hat man doch früher Autos gebaut.
Genau. Da darf oder muss es auch unperfekt sein. Gerade die Nieten, die Unebenheiten, machen das Auto aus.