white circleDie audiovisuelle Installation von raster-noton im Berliner Berghain
29.4.2016 • Kultur – Text: Felix Hüther20 Jahre raster-noton. 20 Jahre „Archiv für Ton und Nichtton“. Der runde Label-Geburtstag wird nicht nur mit einem allumfassenden Showcase im Berghain gefeiert. In der beeindruckenden Installation „white circle“ lässt sich die Wechselwirkung von Musik und visueller Kunst hautnah erleben.
Der Fotograf Nobuyoshi Araki sagte einmal, dass ohne Obszönität unsere Städte farblos wären, das Leben trostlos. Ob man die Musik von raster-noton als obszön bezeichnen will, sei einmal dahingestellt, fest steht jedoch, dass sie nicht unbedingt mit den typischen Normen der elektronischen Musik und Techno im weitesten Sinne Lanze bricht, auch wenn sie dort und in seinen zahlreichen Unterkategorien seit nunmehr 20 Jahren verortet ist.
Das Zelebrieren der Abstraktion, der besondere Anspruch, das Austesten von Grenzen, solche Dinge sind seit jeher in irgendeiner Form als anzüglich empfunden worden. Die Klanggestaltung des „archiv[s] für ton und nicht-ton“ ist etwas, auf das man sich einlassen muss, etwas, das nachwirkt. Das audiovisuelle Erlebnis rückt dabei zunehmend in den Vordergrund, wenn Schallwellen gefühlte Schranken vorgesetzt sind und zur Intervention in Raum und Zeit nicht mehr ausreichen, um schwellende Gelüste, rein produktionstechnisch, befriedigen zu können.
White Line Lights gab dahingehend vor einigen Jahren bereits einen ersten Einblick in die Gedankenwelt von Frank Bretschneider und Carsten Nicolai, zwei der Entscheidungsträger des Labels. Zwei 16 Meter lange Lichtlinien, bestehend aus mehreren Neonröhren tauchen den Raum in ein steriles Weiß und pulsieren, mal glimmen im Takt der experimentellen Klänge, die da aus dem Soundsystem kommen. Ästhetisch gleicht das einem Versuchsaufbau unter Laborbedingungen, einer Blaupause für späteres, die in white circle anlässlich des 20. Geburtstags von raster-noton auf die nächste Stufe gehoben wird.
Entstanden ist in Zusammenarbeit mit dem „ZKM | Institut für Musik und Akustik“ ein akustisch-architektonischer Raum. Die beigesteuerten, konzeptionellen Kompositionen stammen von Künstlern aus der raster-noton-Gefolgschaft. Diesmal sind Neonröhren und Soundsystem kreisförmig angeordnet, sodass in dessen Mittelpunkt ein Gefühl fremdartiger Lebendigkeit herrscht. Um einen herum beginnen das Licht, sowie repetitive Klicks und vereinzelt knallende Bassdrums zu wandern und entfalten eine Sogwirkung. Noch viel mehr als bei White Line Lights verschmelzen hier die Wahrnehmungsbereiche von Seh- und Gehörsinn zunehmend miteinander.
Besonders eindrucksvoll gestalten sich hierbei die schnellen Kreisbewegungen in Frank Bretschneiders „circle in the round“, das in einem pompösen, flackernden Finale auf die Musik von Byetone und Kangding Ray überleitet, die sich mit deutlich härteren Klangstrukturen in die schroffe Szenerie der Halle am Berghain einfügen. Indes sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das gesamte Projekt ganz wesentlich von der es umgebenden Kulisse lebt. Die hohen Decken und kalten Betonsäulen geben dem Schauspiel etwas Sakrales. Carsten Nicolai alias Alva Noto weiß mit den für ihn so typischen, klickenden Sounds und einnehmenden schweren Flächen zu überzeugen. Der die Neonröhren durchdringende Strom wirkt dabei in „white circle sequence“ so greifbar.
Chaos und Härte bestimmen das Timbre von white circle, während symmetrische Lichtformen für den entsprechenden Gegenpol sorgen. Eine sehenswerte, sich in einem knapp 45 minütigen Turnus wiederholende Darbietung, die auch in einem zweiten Durchgang und der Betrachtung von anderen Stellen im Raum gänzlich neue Emotionen abverlangen kann.