Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich vier Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.
Knallrechts
Für Die Zeit schrieb Mariam Lau ein Portrait über Ellen Kositza. Ellen Kositza ist Redakteurin der Zeitschrift „Sezession“, die Frau des rechtsextremen Vordenkers Götz Kubitschek, Mutter von sieben Kindern und so etwas wie die Speerspitze einer neuen feministischen, rechtsextremen Bewegung in Deutschland. Kositza ist zum Rolemodel geworden. Sie mag Pferde, nennt (absurderweise) Sophie Scholl als persönliches Idol, sieht sportlich-gut aus und „hat eigentlich nichts gegen Ausländer“. Für sie gibt es dennoch keine Ambivalenz: „Rechts ist gut, links ist verlogen“.
„Meist fokussiert sich die Aufmerksamkeit auf Kubitschek, den dunklen Lord des Dagegenseins, der diese Rolle zelebriert, wo immer man ihn lässt. Aber im Laufe der Jahre ist Ellen Kositza zu etwas geworden, das es in der europäischen Rechten kaum ein zweites Mal gibt: eine stramm rechte Stimme auch und gerade für Frauen.“
Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe ist verboten, passive hingegen erlaubt, Beihilfe zum Suizid ebenfalls. Klingt einleuchtend, doch im praktischen Fall wird die Rechtssprechung schnell zum Problem. Der Graubereich ist riesig und wird gerade am Berliner Landgericht verhandelt. Christoph T., 13 Jahre lang Hausarzt von Anja D., die am chronischen Reizdarmsyndrom und damit verbundenen, schlimmsten Schmerzen litt, verschrieb der Patientin genug Schlaftabletten für den Suizid. Auf der Anklagebank sitzt er allerdings, weil der die Patientin nach der Einnahme noch mehrfach besuchte und nach sechszig Stunden schließlich ihren Tod festgestellte. Er begleitete sie, rettete sie nicht – und da beginnt das Problem. Dann war da noch ein Anruf der Mutter und eine Spritze und schon steht der Vorwurf aktiver Sterbehilfe ebenfalls im Raum. Die Anwälte des Angeklaten wollen eine Grundsatzentscheidung und würden dafür bis vor den Bundesgerichtshof ziehen.
„‚Danke dir. Alles geschluckt.‘ Diese SMS schickt Anja D. am 16. Februar 2013 um 12 Uhr 32 an Christoph T. Das ist ihre Vereinbarung: Er kriegt den Hausschlüssel. Sie meldet sich, wenn sie es tatsächlich getan hat.“
Discounter-Wohnen
Ein Stück Lokalpolitik mit durchaus nationalen, wenn nicht internationalen Dimensionen. Der Lebensmittel-Discounter Aldi nimmt ein eher ungewöhnliches Produkt ins Portfolio auf: Mietwohnungen. In Berlin – wo sonst – will man 2.000 Wohnungen bauen. Der erste Standort des Projekts befindet sich im Ostberliner Bezirk Lichtenberg. Das Prinzip soll dabei immer das gleiche sein: Die Märkte stehen auf großen Grundstücken (Stichwort Parkplatz), die Geschäfte selbst sind Flachbauten – Verschwendung, wo doch viele der Filet-Parzellen in der Innenstadt liegen: also innerhalb des S-Bahn-Rings. Die Märkte müssen ohnehin saniert werden – der Konzern experimentiert seit längerer Zeit mit dem neuen Laden-Konzept „ANIKo“, das sich durch mehr Fläche und einem freundlicherem Design auszeichnet. So wird aus der Sanierung ein Abriss bzw. Neubau und oben drüber kommen Wohnungen. 30 Prozent davon sollen pro Objekt zu einer Kaltmiete von 6,50 Euro pro m2 vermietet werden. Der Berliner Senat ist – natürlich – begeistert, es bleibt ihm aber auch gar nichts anderes übrig. Die Frage ist: Was macht so eine Initiative mit der Stadt, in der der städtische Wohnungsbau Jahrzehnte vernachlässigt wurde und auch das Umkrempeln dieser Vernachlässigung nur schleppend vorangeht? Der Einzelhandel warnt bereits. Denn natürlich werden die neuen überbauten Aldi-Filialen größer als die bisherigen – oft zu groß nach geltendem Recht. Die Politik gibt sich positiv und träumt bereits davon, die Initiative von Aldi auszudehnen:
„Wir wollen Schulgebäude mit diversen Nutzungen: Ateliers, Bibliotheken, Cafés oder Studentenwohnen im Dachgeschoss.“
Das Internet wird sich nicht durchsetzen
Wer wissen will, was ein Trendforscher eigentlich macht, der kaufe sich „Was ist Trendforschung“ von Peter Wippermann und Matthias Horx. Das Buch ist aus dem Jahr 1996 und erklärt die Methodik der Disziplin, weil 1996, weitgehend ohne das Internet. Angenehm! Fünf Jahre später veröffentlichte Horx diesen Zeitungsartikel. Seine These: Das Internet ist überbewertet. Wird sich nicht vollumfänglich durchsetzen. Denn erstens: Weniger Haushalte als gedacht brauchen und wollen das Internet – das klingt wie die Falle, die IBM einst tappte: PCs? Wozu? Denn zweitens: E-Commerce wird sich nicht durchsetzen, weil Lieferwagen unsere Städte verstopfen würden (Teil zwei ist dann doch irgendwie richtig). Denn drittens: Keiner will den ganzen Content. Well, well, well ...
„Das Handy feierte seinen Triumph nicht auf Grund seiner Zusatzfunktionen oder hervorragenden Klingeltöne, sondern weil es zum existenziellen Werkzeug für den mobilen Lebensstil wurde – vor allem für Frauen, die nun Männer, Kinder, Beruf und einen komplexen Haushalt nebeneinanderher balancieren mussten. Wer diesen Schwatzknochen per UMTS zum Datenendgerät hochrüsten will, wird die hartnäckige Sehnsucht der Menschen nach "verbalem Kraulen" (Norbert Bolz) erfahren.“