Wir bleiben zu Hause, wir gucken Heimkino: Empfehlungen von Sulgi Lie für die Wohnzimmerleinwand. Heute: die legendäre Serie 24. Mit der achten Staffel ging sie 2010 nach neun Jahren zu Ende. Es gab noch eine zwölfteilige neunte Staffel, die allerdings nicht mehr als ein müder Nachtrag war – in der Logik der Serie ist Staffel acht das Finale. Neun Jahre, in denen die terroristische Bedrohung zum Standard-Argument für den Eingriff in die Privatsphäre wurde, und die zweifelhaften Methoden Jack Bauer immer realer. In der Realtime/Deadline-Ökonomie der Serie wurde der Zuschauer auf neuartige Weise vom Stress des Protagonisten und vom visuellen Stress infiziert.
Jack Bauer heißt der Mann. Den deutsch klingenden Nachnamen gilt es durchaus ernst zu nehmen: Ein Bauer sollte von Beruf aus keine Scheu haben, sich die Hände schmutzig zu machen. Ein Bauer ist aber auch klassenhierarchisch den Herrschenden untergeordnet. Auch im Schachspiel schicken ihn die Kings and Queens an die Front, um ihn höheren Geschicken zu opfern. Jack Bauer ist solch ein Agrar-Handwerker, der im Dienste der Souveränität die Drecksarbeit im Ausnahmezustand erledigt.
Fast eine ganze Dekade nach dem Beginn der ersten Staffel im Jahre 2001 schlüpft Kiefer Sutherland für die achte Season, die zugleich endgültig die letzte sein soll, noch einmal in die Rolle, mit der er sowieso fast schon identisch geworden ist. Abgesehen von einigen kleineren Hollywood-Rollen hat sich Sutherland nach dem Start der Serie fast ganz der jährlich wiederkehrenden Weltrettung verschrieben. Eine fiktionale Figur als Lebensaufgabe: Kiefer Sutherland ist Jack Bauer, Jack Bauer ist Kiefer Sutherland.
Jack Bauer – ein Mann fürs Grobe
Der immer etwas hamsterartig verkniffene Schauspieler hatte nie die charismatische Aura seines berühmten Vaters Donald Sutherland. Nach kurzem Starruhm Ende der 80er dümpelte seine Karriere vor sich hin – bis er sich mit und als Bauer schließlich neu erfand: ein Mann fürs Grobe, der mit allen erdenklichen Methoden von den Feinden der USA gefoltert wird und auch selber kräftig zurückfoltert, aber mit der seriellen Beharrlichkeit eines Stehaufmännchen immer wieder seinen Bauer steht.
Eine Dekade Jack Bauer – das heißt eben auch, einen unkaputtbaren Körper vor sich zu sehen, der über die Jahre vielleicht ein wenig gealtert sein mag, aber durch alle Verwundungen hindurch unzerstörbar und damit untraumatisierbar geblieben ist. Der intakte Reizschutz von Bauers Körperpanzer dient somit als physischer Rettungsanker einer politischen Wirklichkeit, die mit schweren Traumatisierungen zu kämpfen hat.
Startschuss 9/11
Natürlich konnte niemand den Extra-Kick Tragweite ahnen, den die Serie durch die Anschläge in den USA bekommen sollte. Dass New York mit seinem Ground Zero erst in der achten, finalen Staffel zur Szenerie wird, klingt aber doch nach Planung. Obwohl es die Macher sorgfältig vermeiden, New York als eine verwundete und verwundbare Stadt zu zeigen, schließt sich damit ein Kreis: Zwar scheinen L.A. und New York topografisch fast austauschbar, doch der symbolische Verweis auf 9/11 ist nicht zu unterschätzen; sind es auch diesmal islamische Terroristen und Selbstmordattentäter, die mitten in Manhattan eine Mega-Bombe zu zünden drohen.
Überhaupt hat der Wechsel zur Ostküste in der siebten Staffel der Serie gut getan, nachdem sie in Staffel 5 und 6 arg zu schwächeln begann, in der sich nacheinander ausgerechnet Bauers Bruder und Vater als die Oberbösewichte entpuppten. Von solch familiärer Langeweile ist die neue Staffel zum Glück fast gänzlich frei, um sich wieder auf das Kernmotiv der ganzen Serie zu konzentrieren – die Verschwörung. Eine Verschwörung, die immer schon total ist, bevor sie als solche enttarnt werden kann, die sowohl von außen als auch von innen kommt, die potenziell sowohl die CTU (die von der Serie erfundene Counter Terrorist Unit) als auch alle Ebenen des Staatsapparats bis hin zum Präsidenten selbst infiltrieren kann.
Serialisierte Verschwörung
Geschickt hat 24 dabei das Serienformat dazu genutzt, diese konspirative Paranoia ins potenziell Unendliche zu schrauben: Niemand ist der, der er zu sein vorgibt, hinter einem Drahtzieher, stehen andere Drahtzieher, hinter dem wieder andere Drahtzieher stehen etc. Auch wenn die Verschwörung am Ende einer Staffel aufgeklärt scheint, deutet der Cliffhanger den Beginn der nächsten Verschwörung an. In diesem Sinne serialisiert 24 die Verschwörung, in dem sie das Serielle selbst konspirativ wendet.
Auch der achten Staffel liegt wieder diese permanente Wucherung der Paranoia zugrunde: Zu Beginn scheinen russische Gangster hinter dem Attentatsplänen zu stecken, bis sich herausstellt, das dahinter islamische Terroristen stecken, die versuchen, Friedensverhandlungen zwischen der USA und einer fiktiven islamischen Republik zu torpedieren. Doch plötzlich stellt sich heraus, dass auch Teile der russischen Regierung an der Verschwörung beteiligt sind, bei der auch der amerikanische Ex-Präsident eine zwielichtige Rolle spielt.
Stress in Echtzeit
Die atemlose Plotmaschine der 24-Staffeln wird von dieser konspirativen Logik der Substitution und Verkettung angetrieben und durch die komprimierte Zeitlichkeit von Realtime und Deadline nochmals dynamisiert. Mit einer einzigartigen Mischung aus einer simulierten televisuellen „Liveness“ und einem hochfunktionalistisch reduzierten Aktionsschema hat 24 sowohl dem Fernsehen als auch dem (Action-)Kino entscheidende Innovationsakzente verpasst.
Lange vor der Standardisierung des Handkamera-Stils in Filmen wie den letzten beiden Bourne-Sequels hat 24 eine neue hyper-nervöse Action-Ästhetik ausdefiniert, in der kaum eine Einstellung vorkommt, die nicht durch Kamerawackler, Reißschwenks und schnelle Zooms überreizt ist. Eine Intensivierung der Wahrnehmung, die ihre Entsprechung in der hochtechnologisch mediatisierten Wahrnehmung von CTU und Terroristen hat. Auf gefräßige Art und Weise bedient sich 24 hier der visuellen Kultur der Kontrollgesellschaft: Quasi jedes Bild in der Serie zeugt von der Omnipräsenz von Videoüberwachung, Satellitenüberwachung, Radarbildern, Laptop-Bildschirmen, Fernsehmonitoren und Handydisplays.
Rennen, Ballern, Telefonieren
Die Devise lautet Multitasking. In diesem Sinne erfindet die Serie mit Jack Bauer einen neuen Typus des Action-Helden, der zugleich rennt, ballert und dabei telefoniert. Was ihm dabei fehlt ist Zeit. In der Realtime/Deadline-Ökonomie der Serie zählt nur die hyperaktiv verwertete Uhrzeit, die auch während den Werbeunterbrechungen elektronisch weitertickt. So wird auch der Zuschauer, der sich ganz entspannt in seiner Freizeit die Serie reinziehen will, vom Stress des Protagonisten und vom visuellen Stress infiziert: Chillen ist nicht drin. Die häufigen Split-Screens tragen zusätzlich dazu bei, die eh schon übervolle Informationsdichte des Bildes noch einmal zu akkumulieren: So geht es dem Zuschauer nicht anders als den CTU-Agenten, die immer mehrere Bildschirme gleichzeitig scannen müssen, um auch ja nicht das entscheidende konspirative Detail zu verpassen.
Lustvoll Foltern
Die umfassende technologische Stress-Logik, die 24 wie keine andere Serie artikuliert, hinterlässt ihre eigene Ironie. Hyperaktivität ist von Reaktivität kaum mehr zu unterscheiden, geht es in der Serie doch immer nur darum, auf die Aktion der Terroristen möglichst effektiv zu reagieren. Jack Bauer handelt, um zu verhindern, seine Aktion ist immer eine nachträgliche, die von den Verschwörern determiniert wird. Vielleicht ist das die Tragik des Jack Bauer, der auch deshalb der beste Agent ist, weil er die Funktionsweise der Überwachungsysteme völlig in seine Physis integriert hat.
Das Tolle an der achten Staffel liegt in der Konsequenz, mit der sie die Spirale aus Stress, Paranoia und Überwachung an ihr Extrem treibt – bis zu dem prekären Punkt hin, an dem sogar Jack Bauer als positive Identifikationsfigur tendenziell aufgegeben wird. Wenn alle sieben Staffeln bis dato Jacks Foltereien eine moralische Legitimation verliehen haben – als böses Mittel zu einem guten Zweck –, wird im Laufe der achten Staffel dieses rationale Zweck-Mittel-Verhältnis zunehmend geopfert.
Was nichts anderes heißt, als dass Jack Bauer, der Folterknecht der Souveränität, nun aus reiner Lust an der Sache zu foltern scheint. Jack Bauer läuft Amok und die sowieso nicht zimperliche Serie gleitet zunehmend ins Splatterige ab: Jack, der zwecks Beweissuche einen feindlichen Agenten ausweidet, Jack der einen Verschwörer aufspießt und als Höhepunkt ein Jack, der im martialischen Kampfanzug und Stahlmaske mit einem Maschinengewehr auf den Ex-Präsidenten losgeht.
Bitterer Nachgeschmack
Die achte Staffel hat also den Mut, die schmutzigen Foltereien von Jack Bauer nicht länger als notwendiges Übel zu veredeln, sondern sieht der hässlichen Fratze des Ausnahmezustands direkt ins Gesicht. Was wäre eigentlich, so fragt man sich, wenn Jack Bauer über ein Jahrzehnt hinweg die ganze Gewalt eigentlich genossen hätte? Die finale konspirative Umkehrung ist erreicht, als Jack am Ende der Staffel vom ursprünglichen Attentatsverhinderer selbst zum Attentäter zu mutieren scheint.
Jack Bauer ganz dem Bösen hinzugeben, so viel sei verraten, das traut sich 24 dann doch nicht, aber ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Als ob sich nun auch die Serie selbst von Jack Bauer verabschiedet hätte, sieht man ihn in der absolut großartigen letzten Einstellung aus einer Nähe, die zugleich Ferne ist: Das Überwachungsbild von Jack Bauer entstammt einer Drone. Das Bild wird weggeklickt, und suggeriert damit, dass es vielleicht besser ist, wenn Jack Bauer nicht mehr angeschaltet wird.