Hosentaschen-DiskoWie Smartphones zum Hyper-Walkman werden
3.8.2017 • Technik & Wissen – Text: Thaddeus HerrmannVor wenigen Tagen gab sich Apple einen Ruck und schickte zwei von drei iPod-Modellen in Rente. Das Ende einer Ära, wirtschaftlich jedoch nachvollziehbar. Für die Musik braucht man kein Extragerät mehr, dafür gibt es ja Telefone. Und deren Hersteller nehmen Sound wieder vermehrt in den Fokus – mit ganz unterschiedlichen Ideen und Ansätzen. Drei davon stellen wir hier vor: das U11 von HTC, das Z2 Play von Motorola und das Honor 9.
Smartphones sind schon lange nicht mehr zum Telefonieren da. Sie sind unsere Kommandozentrale des digitalen Alltags, News-Aggregator, Mini-Fernseher, Kommunikations-Hub, erste Wahl in allen Prokrastinationsbelangen – und unser Walkman.
Musik unterwegs: Auf diesem Feld hat sich in den letzten 15 Jahren enorm viel getan und entwickelt. Von eben jenem Walkman über den Discman, MiniDisc-Player, den ersten Walkman-Handys von Sony, natürlich dem iPod (und allen Loser-Nachahmern) bis zum Smartphone. Für viele ist das Telefon mittlerweile de facto die Plattenkiste. Und seit es Streaming gibt, muss man sich nicht mal mehr wirklich Sorgen um ausreichend Speicher machen.
À propos Sorgen machen: Wie die Musik auf unseren Telefonen klingt beziehungsweise in unseren Ohren ankommt, darüber wird selten gesprochen. Aus guten Gründen: Niedrig kodierte MP3s haben so lange verbrannte Erde in unserer Wahrnehmung hinterlassen, bis wir diesen schmatzenden Klang mit all seinen fehlenden Frequenzen schließlich hinnahmen und die Vorzüge des Hosentaschen-Ghettoblasters höher schätzten als die Grütze, die aus ihm herauskam. Dann schüttete Bluetooth das Kind mit dem Bade aus.
Aber: Es tut sich was. Und zwar in den unterschiedlichsten Bereichen, die Teil daran haben, dass die Musik sich aus dem Telefon in Richtung unserer Ohren aufmacht. Zum einen werden die Codecs besser und effizienter, mit denen die Musik komprimiert wird. Das ist toll, aber nicht wirklich entscheidend. Wichtiger ist, dass einige Hersteller von Smartphones die Musik als neues Betätigungsfeld für sich entdeckt haben und plötzlich den Walkman-Teil des Telefons wieder stärker bewerben. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Je digitaler, desto besser
Einerseits verändert sich die Technik der Smartphones seit einigen Jahren radikal und nachhaltig. Stichwort Kopfhörerausgang. Unsere Handys werden immer dünner (ob das sinnvoll ist oder nicht, ist eine ganz andere Diskussion), so dünn, dass es mitunter faktisch gar nicht mehr möglich ist, die kleine Klinkenbuchse im Gehäuse einzubauen. Or so they say. Apple hat das 2016 genau so gemacht und musste dafür viel Schelte einstecken. Die ersten, die sich zu diesem Schritt entschieden, waren sie freilich nicht. Seitdem muss man neue Smartphones, die noch einen Kopfhörerausgang haben, zwar nicht mit der Lupe suchen, doch die Zahl derer, bei denen man die Headsets über USB anschließen muss, wächst stetig.
Andere Hersteller wiederum melden plötzlich, dass in ihren Telefonen ein besonders hochwertiger und hoch auflösender DAC verbaut ist, mit dem die Musikwiedergabe optimiert werden soll. Ein DAC ist das Bauteil, das die digitalen Musik-Dateien in analoge Schallwellen wandelt, die wir dann hören können: ein „Digital-to-analog converter“. So ein DAC kostet von ein paar Cents bis richtig teuer und genau so klingt es dann auch. Ratet, für welche Preiskategorie sich ein Hersteller in der Regel entscheidet? Hier auf mehr Qualität zu setzen, scheint eine gute Idee zu sein, ist oft aber auch ein bisschen Augenwischerei. Allen Lösungen gemein ist, dass der analoge Weg so kurz wie möglich gehalten wird. Je digitaler, desto besser. Will heißen: desto kontrollierbarer. Der dritte Trend, den man beobachten kann: Kopfhörer beziehungsweise InEars, die den Telefonen beiliegen. Das sind immer öfter nicht mehr die 50-Cent-Nöpsis, sondern schmücken sich schon mal mit dem Logo eines namenhaften Herstellers oder versprechen sonstige Raketentechnik. Musik scheint wieder wichtig. Wichtiger.
In den vergangenen Wochen sind drei Smartphones in den Handel gekommen, die das Thema Audio auf ganz unterschiedliche Weise aufgreifen. Ein direkter A/B/C-Vergleich ist hier nicht angemessen, es soll eher darum gehen, die Ansätze zu erklären und versuchen, sie zu verstehen und einzuordnen. Die Musikwiedergabe könnte sich zu einem Alleinstellungsmerkmal für Hersteller entwickeln. Nicht ganz unwichtig in einem Geschäft, wo die Unterschiede in Features, Verarbeitung und Kameraqualität doch immer mehr verschwinden.
Mit welchen Telefonen haben wir es hier nun zu tun?
HTC U11
- Display: 5,5“, QHD
- Kameras: 12 MP/16 MP
- Prozessor: Snapdragon 835
- Speicher: 4 GB RAM, 64 GB ROM
- OS: Android 7.1
- Kopfhörerbuchse: nein
- Preis: ca. 700 Euro
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„U“ steht bei HTC seit 2016 für die Oberklasse. Der Android-Pionier steht finanziell nicht gut da und hat in den vergangenen Jahren immer mehr Marktanteile an Samsung, vor allem aber an neue Hersteller aus China abgeben müssen. Grund: zu hohe Preise, zu viele Produkte und vor allem ein jahrelanges Schlampen bei den Kameras. Wie man gute Hardware baut, weiß man bei HTC ganz genau, seit 20 Jahren ist man in diesem Geschäft. Mit dem U11 korrigiert HTC viele Fehler der Vergangenheit.
Moto Z2 Play
- Display: 5,5“, 1080p
- Kameras: 12 MP/5 MP
- Prozessor: Snapdragon 626
- Speicher: 4 GB RAM, 64 GB ROM
- OS: Android 7.1
- Kopfhörerbuchse: ja
- Preis: ca. 500 Euro
Die Z-Reihe von Motorola ist eine Art Zukunftsversprechen. Die Smartphones lassen sich mit den so genannten „Moto Mods“ um bestimmte Funktionen erweitern. Wie das geht? Für die extrem dünn designten Telefone steht eine Auswahl von wechselbaren Modulen zur Verfügung, die magnetisch an die Rückseite des Telefons andocken: Akkupack, mobiler Beamer, Kameraobjektiv von Hasselblad, induktive Ladeschale, Gamepad, Schnellladegerät und ein Lautsprecher von JBL.
Honor 9
- Display: 5,15“, 1080p
- Kameras: 20+12 MP/8 MP
- Prozessor: Kirin 960
- Speicher: 4 GB RAM, 64 GB ROM
- OS: Android 7.0
- Kopfhörerbuchse: ja
- Preis: ca. 430 Euro
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Honor ist ein Tochterunternehmen von Huawei, hat als Zielgruppe vornehmlich junge Menschen identifiziert und verkauft vor allem online. In den Telefonen wird in der Regel Technik verbaut, die in Huawei-Produkten bereits erfolgreich ausprobiert wurde, hier zum Beispiel die Dual-Kamera. Vom marktschreierischen Habitus muss man sich nicht abschrecken lassen: Gerade die hochpreisigeren Produkte bieten viel Leistung und viele Features.
HTC U11: Lautes Schimmern
Das HTC U11 ist das aktuell beste Android-Smartphone der Oberklasse. Dafür verantwortlich sind das brillante Display und eine irrwitzig gute Performance, die die durchdachte Software nur so flitzen lässt. Auch bei der Kamera hat HTC – endlich – dazugelernt: Die Ergebnisse sind auf Augenhöhe mit dem Galaxy S8 und dem iPhone 7/Plus. An die überaus schimmernde Rückseite aus Glas muss man sich ein wenig gewöhnen, nicht nur wegen der Fingerabdrücke, die man regelmäßig von Chassis wischen muss. Das U11 ist das einzige Smartphone, das mit Mikrofasertuch geliefert wird: go figure. Das angebliche Alleinstellungsmerkmal des U11 entpuppt sich jedoch mehr als eine Art Gimmick: Die untere Hälfte des Rahmens ist berührungsempfindlich, ein beherztes Drücken kann die unterschiedlichsten Funktionen starten. Das ist für das Starten von Apps vielleicht noch ganz praktisch, zur Bedienung der Kamera aber ziemlicher Mumpitz – Stichwort Verwackler. Löblich ist hingegen HTCs Streben, so viele Services wie möglich in das Telefon zu integrieren. So unterstützt das U11 nicht nur den Google Assistant, sondern auch Amazons Alexa. Das ist keine Entweder-oder-Entscheidung, sondern faktischer Mehrwert, mit dem sich Dienste parallel und zielgerichtet verwenden lassen.
Mehr zum U11.
Hellhörig wurde ich vor allem in Sachen Musik respektive Audio. Das U11 hat keinen konventionellen Klinkenausgang für einen Kopfhörer mehr – die mitgelieferten InEars werden über den USB-C-Anschluss mit dem Telefon verbunden. Solche InEars legt auch Apple den aktuellen iPhones bei, die ebenfalls keinen Klinkenanschluss mehr haben. HTC jedoch setzt auf aktive Geräuschunterdrückung in diesem kleinen Headset, zudem „vermisst“ eine App zunächst die Ohren, um den Klang der InEars so gut es geht zu optimieren.
Das U11 ist der beste Out-of-the-Box-Walkman. Mit LTE. Und YouTube.
Vorteil: Durch den komplett digitalen Signalweg (USB-C) braucht die Geräuschunterdrückung keine zusätzliche Stromversorgung. Wer die InEars herstellt, verrät HTC nicht. Eigentlich schade, denn das könnte eine zukunftsträchtige Partnerschaft werden. Der Sound ist fulminant, der Bass drückt genau richtig, selbst die Höhen sind noch klar und prägnant und klirren selbst bei hoher Lautstärke nicht. Die Geräuschunterdrückung ist zwar nicht so ausgefuchst wie bei Bose oder Sony, der Vergleich zwischen InEar und Bügelkopfhörer wäre jedoch ohnehin unfair. Dass HTC diese InEars dem Telefon einfach beilegt, lässt den stolzen Preis des U11 gar nicht mehr so stolz erscheinen, auch wenn man die Stöpsel nur mit dem Smartphone nutzen kann. Hier hat ein Hersteller eine tatsächlich kluge und durchdachte Lösung in Sachen Audio am Start, die so keiner der Mitbewerber anzubieten hat. Eigentlich schockierend. Aber: Musik war HTC immer wichtig. Nach Jahren der „BoomSound“-Lautsprecher in Telefonen (und einer etwas verunglückten Beats-Kooperation), ist das U11 der beste Out-of-the-Box-Walkman. Mit LTE. Und YouTube.
Motorola Z2 Play: Ghettoblaster
Am Z2 Play selbst gibt es wenig bis gar nichts auszusetzen. Es ist schick, unfassbar dünn, hat ein tolles Display, einige clevere Software-Tricks auf Lager und die beste Boot-Animation aller Zeiten. Schade, dass man die so selten sehen wird. Auch die Kamera mit ihrem Dual-Pixel-Autofokus liefert solide Ergebnisse, wenngleich es hier noch deutlich Luft nach oben gibt. Der Preis von 520 Euro klingt trotz dünner Bauweise und Super-AMOLED-Display nach einer nicht ganz nachvollziehbaren Ansage: mittelprächtige Kamera, ein ebensolcher Prozessor, nur 3.000 mAh Leistung in der Batterie? Motorola lässt sich das modulare Versprechen der Z-Reihe bezahlen. Und liefert einen Lautsprecher von JBL – den Soundboost 2 – gleich im Karton mit. Dieser Speaker wird an die Rückseite des Telefons angedockt und verspricht „starken Sound mit einem Klack“. Die Idee: Keine Bluetooth-Box mehr mitschleppen müssen, einfach Mod dran und laut machen. Der Lautsprecher hat einen integrierten Standfuß, sodass sich das Telefon auch auf dem Schreibtisch aufbocken lässt – quasi als Küchenradio-Ersatz. 80 dB bzw. sechs Watt liefert der Soundboost 2.
Quäken, Brummen, Klirren
Das Problem ist: Viel mehr als nerviges Plärren ist mit dem Soundboost 2 nicht zu holen. Egal welche Art von Musik man über die Moto Mod abspielt – es ist und bleibt ein indifferentes Gerumpel, das hoffentlich selbst die, die von sich behaupten, keine großen Ansprüche in Sachen Musik zu haben, kopfschüttelnd zurücklassen wird. Hier stimmt rein gar nichts. Quäken, Brummen, Klirren, eine Dynamik zum Weglaufen. Das ist aus unterschiedlichen Gründen schade: Erstens hat man nun einen Lautsprecher, der im Regal verstaubt und zweitens vertut Motorola hier die Chance, zu zeigen, dass die Moto Mods tatsächlich eine gute Idee sind und Potenzial haben. Klare Empfehlung: Bluetooth-Lautsprecher nehmen oder gleich einen Kopfhörer verwenden. Denn die Klinkenbuchse hat Motorola beim Z2 Play trotz einer Gehäusedicke von nicht mal sechs Millimetern nicht wegrationiert.
Honor 9: Software-Schummler
Honor hat in den letzten Monaten zahlreiche Smartphones vorgestellt und in den Handel gebracht. Nicht ganz einfach, hier Schritt zu halten, zumal sich die Geräte oft nur minimal voneinander unterscheiden und man sich ernsthaft fragen muss, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Seltenen Erden einfach im Berg zu lassen. Aber: Das neue Flaggschiff, das Honor 9, ist ein Killer-Telefon. Extrem schick mit seiner schimmernden Rückseite aus Glas (ähnlich wie beim HTC U11), wunderbar kompakt, die Dual-Kamera liefert tolle Bilder, der Fingerabdrucksensor reagiert ultraschnell und verlässlich. Der Prozessor – eine Eigenentwicklung von Huawei – bringt ausreichend Leistung. Gerade für Menschen, die nach einem kleineren Smartphone mit aktueller Technik Ausschau halten, bietet sich das Honor 9 an. Bekommt man ja nicht mehr so oft angeboten.
Aber auch Honor hat sich mit dem neuen Telefon auf die Fahnen geschrieben, etwas für die Musik zu tun. Einerseits gibt es eine Kooperation mit der Kopfhörer-Firma Monster (ja, die gibt es noch). Deren InEar muss man jedoch extra kaufen: für 50 Euro. Honor wirbt aber auch mit „Histen“ – einer 3D-Audiotechnologie von Huawei: Daher wohl auch der Name: Huawei und listen. Die Software verspricht virtuellen Surround-Sound und drei verschiedene Hörpositionen: nah, front und weit. Dazu können diese drei Presets an die Kopfhörer-Form angepasst werden (InEar, Bügelkopfhörer oder einfach Ohrhörer). Alternativ kann man auch verschiedene EQ-Einstellungen wählen, unter anderem eine von Monster.
Wenig mehr als Augenwischerei
Bei den Stichworten „virtuell“ und „Surround“ sollten ja schon alle Alarmanlagen automatisch starten – jeder Algorithmus hat seine Grenzen. So entpuppt sich „Histen“ als Augenwischerei. Die Unterschiede der drei Einstellungen sind deutlich hörbar – „nah“ ist wortwörtlich gaaanz nah dran, nämlich an einem komplett genullten EQ, „weit“ bewirkt eine mehr schlecht als recht gemachte Verbreiterung des Stereobildes, die den Klang unangenehm anmatscht, und „front“ schließlich produziert derartige Artefakte im direkten A/B-Vergleich, dass einem fast schwindelig wird und man sich fragt, ob Apple Music die Streaming-Qualität geviertelt hat. Die EQ-Presets hingegen sind harmlos, das von Monster eher unauffällig.
„Histen“ ist ein Feature, das den meisten Nutzern wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre, hätte es Honor auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen Telefons nicht so explizit beworben, ein langes Video mit dem Geschäftsführer und Tonmeister des renommierten Emil-Berliner-Studios (untergebracht im gleichen Gebäude wie die legendären Hansa Studios) gezeigt und auch noch den CEO von Monster auf die Bühne geholt. Wer so in die Audio-Offensive geht, muss sich auch einen textlichen Brummton gefallen lassen. „Histen“ geht gar nicht. Ausmachen, Lieblingskopfhörer aufsetzen und gut ist. Aus dem Ohr, aus dem Sinn. Und schon ist das Honor 9 wieder ein tolles Smartphone.
Fazit
Dass man in Sachen Audio einiges verbessern und optimieren kann am Telefon, beweist HTC bei den vorliegenden Geräten am besten und überzeugendsten: guter Klang mit Mehrwert. Motorola sollte sich nach einem neuen Zulieferer für Lautsprecher umschauen. Die Idee an sich ist ja gar nicht verkehrt – es braucht aber das richtige Tuning, damit das Konzept auch aufgeht. Da war bei JBL wohl niemand erreichbar oder im Urlaub. Ignoriert man beim Honor 9 die Einstellungsmöglichkeiten, klingt das Telefon genauso gut oder schlecht wie alle anderen auch. Und allemal besser als mit „Histen“. Der Claim der Marke ist ja „for the brave“ und „Histen“ ist wirklich nur was für Tapfere.