Review: Bose QuietComfort 35Kabellose Stille für ein Mehr an Privatsphäre
20.6.2016 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannWenn man auf der Suche nach einem Kopfhörer mit Noise Canceling, also Geräuschunterdrückung ist, kommt man an Bose nicht vorbei. Der QC 25 gilt seit langer Zeit als absoluter Klassiker der filternden Bügelkopfhörer, die QC 20 sind das In-Ear-Äquivalent mit nicht weniger beeindruckender Technik. Jetzt schneidet Bose das Kabel durch. Kategorisch. Der QC 35 ist das erste Modell der neuen Serie, das es zu kaufen gibt. Aufgesetzt und losgelaufen.
Noise Canceling bei Kopfhörern ist eine der größten technischen Errungenschaften aller Zeiten. Wenn schon, denn schon. Wer gerne Musik unterwegs hört, beim Spaziergehen, auf dem Weg zu Arbeit, kennt das Problem. Die Umwelt, gerade in der Stadt oder beim täglichen Commute, ist garstig laut. Das hat zur Folge, dass man sich die Ohrstöpsel immer tiefer in den Ohrkanal schiebt, immer lauter dreht, bis die Schallwandler brennen, alles nur noch zerrt und die Ohren aus gutem Grund fiepen. Alles keine Lösung. Eine aktive Geräuschunterdrückung ist eine – im Vergleich zu regulären Kopfhörern – zwar teure Alternative, ihre Anschaffung macht sich jedoch bezahlt: Mikrofone analysieren die Umgebungsgeräusche und löschen sie aus. So ist man ganz für sich und mit seiner Musik oder Podcast. Um diesen Effekt zu erreichen, braucht es nicht nur ausgeklügelte Technik, sondern auch eine Batterie. Was zur Folge hat, dass man noch ein Gadget regelmäßig an die Steckdose hängen, vor allem aber am Kabel ein kleines Kästchen ertragen muss, in dem Technik und Akku untergebracht sind. Jedenfalls dann, wenn man In-Ears bevorzugt wie ich.
Genau so habe ich die vergangenen Jahre Musik gehört, wenn ich unterwegs bin. Ich habe mich damit arrangiert. Im Winter ist das Kästchen in der Jackentasche, im Sommer baumelt es aus der Hosentasche. Sei’s drum: Die Stille lockt.
Noise Canceling und kabellos, also auf Bluetooth-Basis, gibt es bislang eher selten. Jeder größere Hersteller hat ein Modell im Angebot, die allesamt sehr teuer sind und dementsprechend eine eher nischige Zielgruppe im Blick haben. Kabel nerven. Kabel sind unpraktisch und verheddern sich, Kabel machen Geräusche, sind entweder zu lang oder zu kurz. Kabel sind aber auch eine sichere Bank. Was man von der Datenübertragung via Bluetooth nicht behaupten kann, gerade wenn es um große Datenmengen geht wie bei der Musik. Was bei drahtlosen Lautsprechern mittlerweile einigermaßen verlässlich funktioniert, wird bei Kopfhörern mitunter zum Stressfaktor. Vielleicht, weil der Empfänger in der Ohrmuschel einfach nicht stark genug ist, vielleicht auch, weil sich Bluetooth und Noise Canceling das Leben gegenseitig schwer machen. Die Folge sind Verbindungsabbrüche, kurze Aussetzer bei der Musik, ein unrhythmisches Stottern, das auch durch die Körperbewegungen beim Laufen befeuert wird und das Projekt in der Schublade „Schade, aber toll“ verschwinden lassen. So war es jedenfalls bei mir. Ich blieb bei meinen kabelgebundenen In-Ears von Bose. Ein „stiller“ Kompromiss.
##Kabelbruch
Bose ist keine Firma, deren Namen man ins Listical hipper Technologie-Unternehmen auf den Bierdeckel schmiert. Dabei verfügt man bei Bose über ein tiefes Wissen in Audio-Belangen. Was im P.A.- und Club-Bereich nie wirklich gut funktioniert hat („Only highs, only lows, must be a Bose“), ist im Endkundengeschäft eine verlässliche Konstante, gerade bei den Kopfhörern. Die sahen in der Vergangenheit nie wirklich gut aus, wirkten trotz hervorragender Verarbeitung immer wie ein nicht durchdachtes Experiment klapprigen Understatements mit fragwürdiger Farbwahl, wussten technisch jedoch zu überzeugen. Das Geheimnis von Bose-Kopfhörern ist: Sie wollen nichts. Sie drücken die Klangfärbung nicht in die eine oder andere Richtung, sondern empfehlen sich dank eines mehr oder weniger unauffälligen Grund-Sounds als universelle Partner beim Musikhören. So ist es auch keine Überraschung, dass der Vorgänger des QC 35, der kabelgebundene QC 25, zum absoluten Klassiker in der Noise-Canceling-Kategorie wurde. Nicht gerade preisgünstig, aber bequem, leicht und vor allem mit wirklich überzeugender Geräuschunterdrückung. Jetzt schneidet Bose das Kabel ab. Und setzt auf Bluetooth. Geht das?
Ich habe schon lange keine Bügelkopfhörer mehr unterwegs getragen. Nicht so meins, eigentlich. Zu groß. Der QC 35 ist mit 310 Gramm jedoch angenehm leicht und trägt nicht sonderlich auf dem Kopf auf. Die Passform ist bequem, zumindest meine Ohren passen gut unter die Polster. In beiden Muscheln sind Mikrofone untergebracht, die Bluetooth- und Analyse-Technik steckt in der rechten Muschel. Hier sitzen auch der An/Ausschalter und die Bedienelemente für die Musikwiedergabe. Ein klassisches Trio. Start/Stopp, lauter, leiser. Fertig. Das Verschalten mit dem iPhone geht sehr schnell und intuitiv von der Hand, hat man den Kopfhörer mal einen Tag nicht im Einsatz und schaltet ihn dann wieder an, finden sich beide Geräte sofort und verlässlich wieder. Das Design – wenn auch aus Kunststoff – wirkt hochwertig, auf jeden Fall hochwertiger als beim Vorgänger QC 25. Ist der Kopfhörer mit dem Telefon gekoppelt, poppt der Hinweis auf dem Display auf, dass es ja auch eine App von Bose gibt, die man doch unbedingt herunterladen soll:
Sollte man besser nicht. Die App bringt absolut keinen Mehrwert
Hier zeigt sich dann auch, warum Bose eben nicht Beats ist. Thank God!, mögen da viele (mich eingeschlossen) so laut brüllen, dass jede Geräuschunterdrückung nicht mehr hilft, aber wenn ihr schon eine App macht, liebe Boses, dann kippt da doch auch ... wie soll ich sagen ... Funktionen rein? Wäre das was? Nur so eine Idee. Einen Sinn hat die App dann aber doch noch: Software-Aktualisierung. In einer Welt, in der man den Satz sagt: „Ich habe gerade die Firmware meines Kopfhörers aktualisiert“ will man ja aber eh nicht leben.
Anyways. Der Klang des QC 35 macht diese kurzzeitige Irritation wieder wett. Rund und durchsetzungsfähig, alle Frequenzbereiche ausreichend und angenehm präsent, nur bei voll hochgezogener Lautstärke britzeln obenherum die Details ein wenig weg. Generell ist der QC 35 dankenswerter Weise nicht der lauteste Kopfhörer, was bei der Geräuschunterdrückung weder nötig noch ein besonderer Pluspunkt wäre. Die kleinen Knöpfchen in der Ohrmuschel sind nicht nur gut erreichbar, sie erweisen sich auch als die bessere Bedienvariante im Vergleich mit Modellen anderer Hersteller, die das Äußere der Muscheln mit einer berührungsempfindlichen Oberfläche ausgestattet haben, was zu Scratch-Orgien wie in der ersten Stunde des HipHop-Grundkurses führt. Genau richtig so. Oldschool is the new black. Bei über den QC 35 geführten Telefonaten bestätigt die Gegenseite zudem klares und lautes Ankommen meiner Stimme.
##Verbunden mit ...
Bleibt die Frage nach möglichen Verbindungsabbrüchen, die auch den QC 35 zu einem nutzlosen Stück Plastik mit fest verbautem Akku machen würde. Zu Beginn des Tests gab es tatsächlich einige Aussetzer. Am nächsten Tag traten die jedoch nicht mehr auf und haben sich seitdem auch nicht mehr blicken bzw. hören lassen. Mussten sich Telefon und Kopfhörer erst aneinander gewöhnen? Zuzutrauen wäre es den beiden Gadgets. Nach kurzzeitiger Verzweiflung bin ich für den Moment versöhnt und guten Mutes. Es sollte aber auch mit dem Teufel zugehen, wenn es technisch nicht möglich wäre, komprimierte Audio-Dateien von einem Telefon an ein nicht mal einen Meter entfernten Empfänger zu beamen. Bis auf Widerruf scheint es Bose gelungen zu sein. Genau wie die Sache mit der Batterie: Bose gibt die Laufzeit mit 20 Stunden an, was sehr realistisch scheint. Und ist der Akku tatsächlich leer, lässt sich der QC 35 mit normalem Audio-Kabel weiter nutzen, wenn auch ohne Noise Canceling. Der Sound leidet ein wenig darunter, ist für den Notbetrieb aber immer noch vertretbar.
All das hat wie so oft seinen Preis: 380 Euro kostet der QC 35. Damit spielt Bose im oberen Segment. So viel Technik für 19,95 ist nicht wirklich realistisch und der gute Ruf von Bose in Sachen Geräuschunterdrückung wird dabei helfen, dass sich der Kopfhörer verkauft. Das Mehr an Privatsphäre rechtfertigt den Umstieg auf Noise Canceling allemal. Es lohnt sich, die Preisentwicklung des QC 35 im Blick zu behalten. Genau wie die Verbindungsabbrüche.