Als wir klein waren, dachten wir: Wer über Musik schreibt, hört den ganzen Tag Musik. Stimmt leider nicht ganz. Vieles fällt unter den Tisch, Hypes werden verpennt oder die Bucketlist mit Platten, die man sich schon immer anhören wollte, wird immer länger. Unsere Redaktion stellt ihr Walkman-Futter für die arbeitsfreien Tage vor. Da darf gerne auch mal was Seltsames, Altes oder vermeintlich Peinliches dabei sein.
Low - Songs For A Dead Pilot
Thaddi: Alben von Low sind schwierig. Immer gut, aber nie komplett. Immer Songs dabei, die man gerne wieder vergessen würde. Bei Low legt man sich fest. Auf einen ganz bestimmten Aspekt im immer melancholischen Œuvre der Band. Und in dieses Schema passt eben nicht alles. Auf dieser frühen EP sind für mich die Highlights immer noch und unbedingt „Be There“ (an unangefochten erster Stelle) und „Will The Night“, was hier in der kurzgeschnittenen Federhall-Version jedoch nicht so gut ist wie die „cleane“ Version auf „Secret Name“ und schon gar nicht so gut wie die Live-Version auf „One More Reason To Forget“, einem Album, das es wiederum nicht digital gibt. Ich habe ja gesagt: Alben von Low sind schwierig. Umso einfacher ist, sich vertrauensvoll in die Tiefe des Gesangs von Alan Sparhawk und Mimi Parker zu werfen und zu schauen, was passiert. Das ist nämlich auch 17 Jahren, so alt ist diese EP mittlerweile, und gefühlten 587 Punktlandungen auf dem Plattenspieler vollkommen unklar. Kann immer etwas anderes bedeuten, auslösen, bewirken. Vielleicht ist es aber nach 17 Jahren und 587 Runden auf dem Plattenspieler dann doch Zeit, sich folgendes wohin auch immer zu tätowieren. I don't wanna be there when you're wrong. I don't wanna be there when you find out. I don't wanna be there when you break glass. And I don't wanna be there when they drag you out.
Haftbefehl - Russisch Roulette
Benedikt: Baba Haft ist zurück. Kurze Zeit hatte man Angst, dass seine Musik dank Major-Deal jetzt weichgespühlt daherkommt, „1999 Pt. 1“ ließ diese Vermutung zu. Aber nein, Haftbefehl bleibt hart - wird noch härter. „Habt ihr wirklich geglaubt, Haft hat vergessen woher er kommt?“ Nein, nur ganz kurz vielleicht, weil die Erfahrung zeigt, wie schnell das geht. Auf „Russisch Roulette“ erzählt Aykut Anhan seine in sich geschlossene Geschichte: Der Track 1999 wird als Trilogie über das Album verteilt, er rollt seine kriminelle Karriere von Tag 1 an auf, um im letzten Part als Outro das Fazit aus heutiger Sicht zu ziehen. Ganz ohne Glorifizierung und in aller Härte wird der Weg vom perspektivlosen Jugendlichen zum Straßengangster beschrieben: „Die Straße nahm mich in den Arm und ließ nie wieder los / Warum bin ich nur geboren sag mal yallah?“ Hass, Gewalt, Drogen, Waffen, FFM, Offenbach. Der Cousin schmeißt den Gasherd an, Flex wird zu Crack, Drive-by mit der AK. Auch wird ein bisschen gegen den US-Rap-Hype und den Irrglaube an den American Dream geschossen, denn „die Freiheitsstatue ist ne Hure und ich fick sie, Blanco pumpt den Beat, ich erschieß diesen Swizz Beatz.“ Und tatsächlich ist jeder einzelne Beat auf dem Album ein Volltreffer. Features gibt es fast keine, prominente Gastparts wurden als Remixe auf die Deluxe Version des Albums verbannt, was dem unverfälschten Storytelling nur zuträglich ist. Haftbefehl beschreibt die ungeschönte Realität wie ein Dokumentarfilm, aber mit der Bildgewalt eines Hollywood-Streifens. Ein Meisterwerk, mit dem Hafti ganz nebenbei German Gangsterrap auf das Niveau unserer französischen Nachbarn katapultiert, was Ernsthaftigkeit, Brutalität und Authentizität angeht.
Yo La Tengo - Extra Painful
Ji-Hun: Na super, Benedikt. Da wollte ich mich einmal als mainstreamtauglich und vor allem Generation Y-kompatibel beweisen und diese Woche mal Hafti hören und dann, und dann kommst du hier schon so mit großer Geste rum. Der Offenbacher Hafti, der Deutschrap retten wird mit seinem unfassbaren Style, der Berlin mal so richtig in den Arsch tritt und Westdeutschland wieder zu dem macht, was es schon immer war, ein schmutziges Drecksloch. Aber was soll's. Dann höre ich diesmal was besonders Reaktionäres, nämlich die Reissue des 93er Albums von Yo La Tengo „Painful“, das sich besonders kreativ „Extra Painful“ nennt. Sobald Weihnachten ansteht, ist es ja sowieso immer vorbei mit neuer Musik. Da wird gemeinhin gegreatesthitst, was der Backkatalog hergibt. Das Album Painful wird im Kanon der Band gerne mal vergessen. Aber es war das erste auf dem Label Matador (quasi Major-Release) und seitdem besteht die Band auch aus Ira Kaplan, Georgia Hubley und James McNew. Die Formation, die heute noch immer am Start ist. Man muss über Yo La Tengo nicht mehr viel verlieren. Es ist die noch immer größte und wichtigste und tollste und fantastischste Band unter den unbedeutenden Bands.