Wochenend-WalkmanDiesmal mit Godspeed You! Black Emperor, Ostgut Ton und Goldmund

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.

Godspeed Cover WW 14112015

Godspeed You! Black Emperor – Asunder, Sweet And Other Distress

Ji-Hun: Vergangenen Mittwoch hat das kanadische Rockensemble Godspeed You! Black Emperor in Berlin ein Konzert gegeben. Im Huxley's, das mit 1.600 Leuten Kapazität doppelt so viele Leute fasst wie das Berghain. Die Halle war ausverkauft – für eine Band, die vermeintlich kaum einer kennt, warscheinlich so gut wie nie im Radio oder Musikfernsehen gespielt wurde und in den letzten 15 Jahren gerade mal vier Alben rausgebracht hat. Ein Phänomen. Das Konzert war düster, monochrom, gestochen scharf gespielt, dass es mit zwei Schlagzeugen und zwei Bässen dementsprechend imaxig-breit war, kann man sich denken. Herausgestochen haben aber auch die Visuals, die von einem mir namentlich unbekannten Filmkünstler mit Hilfe von vier, ja echten, analogen, Filmprojektoren kamen, die der Visualist mit dutzenden von Filmloops wie ein DJ virtuos spielte, doppelte, übereinanderlagerte, mixte und faszinierend synchron zu den epischen Aufbauten der Band einbrachte. Mich hat gefreut, dass mit „Storm“ und „Sleep“ zwei „Lieblingssongs“ aus dem 2000er-Album „Lift Your Skinny Fists Like Antenna To Heaven“ gespielt wurden und gewundert, wie chrirurgisch präzise diese Klanggewalten doch auch live umgesetzt werden können ... Nur, den eigentlichen Grund der Tour kannte ich noch nicht: Das neue Album „Asunder, Sweet And Other Distress“, das mit 40 Minuten Spielzeit und vier Stücken im Gesamtwerk eher wie eine EP wirkt und bereits in diesem Frühjahr erschien. Da besteht also Nachholbedarf. Vielleicht war man bis dahin einfach noch nicht in der richtigen Stimmung für gewesen. An einem Samstag wie diesem ist einem aber auch nicht nach Real Estate oder Taylor Swift.

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Goldmund - Sometimes - Cover

Goldmund – Sometimes

Thaddeus: Keith Kenniff ist zurück. Und auch wenn ich mir fest vorgenommen habe, nicht in die Winter-Ambient-Falle zu tappen dieses Jahr: Goldmund erfordert eine definitive Ausnahme. Seine Miniaturen am Piano sind dafür einfach zu schön und wichtig. Ich gebe zu, dass ich seine letzten Platten allesamt nicht gehört habe. Darum kann ich nur schwer einschätzen, wann der heftige Hall in seine Produktion Einzug gehalten hat, wann er Ryuichi Sakamoto kennen gelernt hat und die beiden Freunde wurden. Sakamoto spielt und komponiert auf einem der 17 Stücke. Vielleicht war es ja zu dem Zeitpunkt, als das Silicon Valley Kenniffs Musik entdeckt hat und für Werbespots lizenzierte. Ein sehr offensichtlicher Move, aber eben auch sehr passend. Und je mehr Menschen Goldmund hören, desto besser. Egal, ob man ihn zunächst im Plattenladen oder in einer Apple-Werbung entdeckt. Es bleiben viele Fragen. Wer sind die beiden Frauen, woher kommen sie, wohin sind sie auf dem Weg? Wann nehme Kenniff und Totland eine gemeinsame Platte auf und warum verdammt packt mich das immer noch so? Vielleicht weil das, was hinter den Melodien passiert, nochmal besser geworden ist. Vielleicht weil diese Art von Musik einfach immer wichtig war, ist und bleiben wird. Vielleicht auch, weil ich nur zu gerne in die Winter-Ambient-Falle tappe.

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Ostgut Ton Zehn Cover Walkman

Ostgut Ton - Zehn

Benedikt: Zehn Jahre Ostgut Ton, 92 12-inches, 20 Alben, 14 DJ Mixe, zwei Compilations, eine 7-inch und eine Kassette später ist das Berghain-Label ebenso fester Bestandteil der Techno-Welt, wie der Club selbst, der an seiner jetzigen Location seit 2004 existiert. Vor zirka zehn Jahren, da war ich 16, begann auch meine Beziehung zur geraden Bassdrum – mit Minimal Techno, hier ein Piep, dort ein Klong. Schnell erwuchs daraus eine echte Liebe, immer mehr auch zum kompromissloseren Sound, wie man ihn heute fest mit dem Berghain und seinen Residents assoziiert. Bevor ich den Club das erste Mal betrat, hatte ich Len Faki, Marcel Dettmann und Ben Klock jeweils schon vier oder fünf Mal spielen sehen – mehrmals davon im Übel & Gefährlich in Hamburg. Interessanterweise fand meine Sozialisation durch Techno weitestgehend in der Hansestadt statt, der ich über etwas mehr als zwei Jahre hinweg, jeden Monat mehrere Besuche abstattete. Aus jetziger Perspektive erscheint Hamburg für Techno weitestgehend unwichtig, im Vergleich mit dem Dorf neben der Kleinstadt neben Paderborn, dem ich entstamme, war es in Sachen Feierei trotzdem der Himmel auf Erden. Und vor allem: Drogen spielten für in der dortigen Szene ingesamt eine weniger wichtige Rolle als hier in der Hauptstadt, für mich gar keine. Mittlerweile ist Berlin die Wahlheimat, das Berghain omnipräsent, der Sound ist es allerdings nicht. Die geschmackvolle Härte der dunklen Halle ist auch nach zehn Jahren noch unique – selbst hier in Berlin. Und immer wenn davon geredet wird, dass das Berghain doch langsam auch überlaufen/tourimäßig oder endgültig durch sei, kann ich nur entgegnen: Nein. Das Berghain ist und bleibt kompromisslos dunkel und Techno und wird trotz aller Hypes seinem Ruf mehr als gerecht. Und wer das nicht glaubt, der soll einfach hingehen. Oder sich diese amtliche 30-Track-Platte zu Gemüte führen: Alles Gute Ostgut Ton. Bleib wie du bist.

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Leseliste: 15. November 2015 - andere Medien, andere ThemenHollywood, Edward Snowden, Erfindung des Rock'n'Roll, Sonntags-Blues