Eine Platte wie ein Tagebuch. Mit „Inner Systems“ reflektiert Prequel Tapes seine eigene musikalische Vergangenheit zwischen Wave, EBM und frühem Rave und gießt sie in eine zeitgemäße Form. Das ist weder Dancefloor noch kakophonisches Experiment, sondern vielmehr eine erschütternd offenherzige Auseinandersetzung mit dem eigenen Coming of Age. Und gleichzeitig eine Lehrstunde darüber, wie elektronische Musik heute auch klingen kann. Klingen muss, um relevant zu bleiben. Wer Prequel Tapes ist, soll so lange wie möglich ein Geheimnis bleiben. Mit Filter-Redakteur Thaddeus Herrmann hat der Künstler über das Album gesprochen.
Das ist die Geschichte von Prequel Tapes aka PT. Wir sitzen uns gegenüber, versunken in Ledersesseln über Gläsern gefüllt mit unterschiedlichen Burgundern und klären die Parameter. Bitte keinen Klarnamen verwenden. Nicht, weil der Musiker und Produzent Spuren verwischen will. Es sei ihm vielmehr wichtig, dass man sich seinem Album „Inner Systems“ unvoreingenommen nähert. PT kann auf viele erfolgreiche Jahre im Techno-Zirkus zurückblicken und will mit genau diesen Vergleichen, dieser unvermeidlichen Einordnung in ein Oeuvre, nicht konfrontiert werden.
Denn „Inner Systems“ ist eine persönliche Platte, eine sehr persönliche. Und die soll man mit der gleichen Naivität hören, mit der PT sich damals in die Musik stürzte, zu dem Zeitpunkt, als es plötzlich Klick machte und es keine andere Möglichkeit gab, als Synthesizer zum Blubbern zu bringen und auf Metall herum zu kloppen. Irgendwann, sagt er, komme eh heraus, wer hinter dem Projekt steckt. Das sei dann auch vollkommen in Ordnung. Anfragen für Gigs gäbe es bereits und er plane keine Maske zu tragen. Für den Moment jedoch lieber Understatement. Damals also, Synthesizer und Metall. Dieses Damals ist lange her. Und das Album gibt es nur, weil er genau diese Aufnahmen wiederfand und begann, sie auseinander zu nehmen, neu zu samplen und als Ausgangspunkt für „Inner Systems“ zu nehmen. Ein Album, das eine Rückkehr zu den Wurzeln ist, Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Heimat. Aber auch eine wohlwollende Abrechnung mit der Gegenwart. Musik ist immer auch Katharsis.
Dass man darüber jetzt mit ihm reden möchte, freut PT, denn geplant war das alles nicht. Anfang 2015 fand er die alten Tapes und begann, mit ihnen zu arbeiten. Dann fragte ein Bekannter, ob er nicht ein Live-Set spielen wolle. Das wurde ins Netz gestreamt und genau diese Show sah Fin Greenall aka Fink und bat ihn erst um einen Remix und dann um ein Album für sein Label „R'COUP’D“, das er mit der Infrastruktur von Ninja Tune im Rücken betreibt. So schnell kann das manchmal gehen.
##Heimat
Die musikalische Initialzündung, mit der alles begann, fand unter widrigen Umständen statt. Heimat bedeutet für PT vor allem: Kaff. Und die nächstgrößere Stadt war immer noch zu klein für große Teenager-Träume, hatte aber immerhin ein Jugendzentrum und einen echten Club. Das half dabei, die dystopische Nachkriegsarchitektur, die schnell hochgezogenen und identitätslosen Neubauten, besser zu ertragen. Für die Identität gab es ja die Musik. Mitte der 1980er-Jahre war das und die Musik war erst Punk, dann Post-Punk, Wave und schließlich EBM. „Der erste Song, den ich damals überhaupt in diesem Club gehört habe, war ”Power“ von ”The Cassandra Complex“. Das passte so perfekt in diesen runtergerockten Keller. Und wie ich schnell merkte auch in die Stadt, die sich überhaupt nicht um die Jugend kümmerte. Alles lief aus Eigeninitiative, aber eben mit der entsprechenden Haltung oder Anti-Haltung.“
„Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Die Stadt entwickelte sich relativ schnell zu einem Hotspot der Wave- und EBM-Szene. Uns verband damals eine Sehnsucht, etwas zu bewegen, auf die Beine zu stellen, Anschluss zu finden an die Welt. Für ein paar Freunde und mich war es der Wunsch, selbst Musik zu machen. Haben wir gemacht. Meine Mutter hat uns einen Proberaum besorgt. Das war gar nicht einfach in so einem konservativen Umfeld mit dieser Art von Musik.“
##Zweifel
Wir bestellen mehr Burgunder. Das muss sein, denn jetzt kommt der Teil der Geschichte, den wohl jeder kennt, der in einer Szene groß wurde, mit der man sich plötzlich nicht mehr identifizieren kann. Was ja in Ordnung ist, nichts Schlechtes, einen aber doch für einen Moment nachdenklich werden lässt. Es ist selten die Musik, sondern eher das Umfeld, die Leute, das Gehabe, das einem plötzlich mindestens merkwürdig, vor allem aber gar nicht mehr cool vorkommt. Wenn man plötzlich wegen der falschen Hosenfarbe angemacht wird, überhaupt keinen Abstand mehr zu dem hat, über das man sich tagtäglich definiert. Das macht den gemeinsamen Nenner, die Musik, keinen Deut schlechter oder weniger wichtig. Die bleibt prägender Teil von einem selbst, der gerade im Begriff ist, weiter zu ziehen, zur nächsten Szene, ins nächste Epizentrum, bis auch dort der selbstreferenzielle Wahnsinn beginnt.
„Bei mir war der Rave, also eigentlich der Feind. Es war das klassische Hin- und Hergerissen-Sein zwischen “Nein, das ist Verrat, das geht nicht“ und “Hmmm, ist eigentlich ganz geil.“
„Inner Systems“ ist die Dokumentation der Verknüpfung dieser beiden Welten, die in der Außenwahrnehmung nie wirklich zueinander passen wollten und heute aus nachvollziehbaren Gründen auf großen Festivals als unterschiedliche Epochen der gleiche Idee gefeiert werden.
„Es gab ja Bands, die damals schon versucht haben, das miteinander zu verknüpfen. “Clock DVA“ ist für mich das beste und überzeugendste Beispiel. Ich versuche eine Art Brückenschlag mit dem Album. Das ist kein EBM und das ist auch kein Techno. Hoffentlich hört man dennoch beides heraus, als Dinge, die mich sehr geprägt haben.“
##Katharsis
Die letzten zehn Jahre hat PT Techno produziert. Schon damals, als die ersten Tracks und Platten entstanden, war das big business, im Vergleich mit heute jedoch fast schon niedlich und mehr Indie als Indie jemals war. Die Maschinerie entwickelte sich, das Rad drehte sich schneller und schneller. „Wir wollten das aber nur bis zu einem bestimmten Punkt mitmachen. Ich bin keine nie schlafende Promo-Maschine, will nicht ständig in den richtigen Clubs abhängen und mit den richtigen Menschen reden. Über mich. Eine Weile lang ging das ganz gut, aber dann war Schluss. Den entscheidenden nächsten Schritt haben wir nicht gemacht. Das heißt nicht, dass das Kapitel Techno abgeschlossen ist. Im Moment passt es aber nicht. Prequel Tapes beschäftigt mich wirklich, ich will das Projekt noch ausbauen. Darum dreht sich gerade mein Kopf. Nicht unproblematisch, weil ich eigentlich einige Remixe zu machen hätte, die mir aber nicht so leicht von der Hand gehen aktuell. Ich bin gerade woanders.“
Und allein. Denn auch wenn, sagt PT, er schon immer mit einem Großteil der Musik „alleine“ war, ist diese erste Solo-Platte eine ganz neue Erfahrung. Ohne Gegenüber, kein Yang zum Ying, kein Ausbalancieren von Ideen. Dafür aber auch kein Druck, keine Koordination, kein Ziel. Bei so einer persönlichen Platte vielleicht nicht das Schlechteste.
##Respekt
Musik braucht genau ihn. Und es ist oft gar nicht so einfach, den aufrechtzuerhalten. Wenn sich alles immer schneller bewegt, immer mehr Musik durch die gleichen Kanäle gepresst wird, Soundcloud-Shares und Facebook-Likes plötzlich die Währung des vermeintlichen Erfolges sind und doch nur den offensichtlichen Bankrott eines Systems dokumentieren, das mit Musik rein gar nichts zu tun hat, geschweige denn tanzen kann. Schritt für Schritt wird deutlich und verständlich, warum PT diese leichte Form der Anonymität wählt und nicht die hart erarbeitete Reputation der letzten Jahre nutzt, um diese neue Platte mit nur einem Tweet in zig Resident-Advisor-Charts zu platzieren. Gekonnt hätte er das. PT ist dankbar. Für Inspiration und besondere Momente. Das Geschäft dahinter interessiert ihn nicht. Irgendwie bewundernswert in Zeiten, in denen viele der damaligen Helden ihre Techno-Flagge immer noch vor sich hertragen und doch eigentlich pseudo-subkulturelle Investment-Banker sind.
##Sequel Tapes
Die verbotene Frage. Wie geht es weiter? Was kann noch kommen, wie die Aufarbeitung der Vergangenheit in ein noch dichter und sicherer gewebtes Netz einspannen, wie sieht sie aus, die Sequel zum Prequel? Weitermachen will PT auf jeden Fall. Nur wie es klingen könnte, weiß er nicht. Noch nicht. Vielleicht findet sich das ganz von selbst, bei den Shows, die er in der Zukunft spielen will. Es wäre nicht das erste Mal, dass ihn ein spontaner Gig auf eine Tür stoßen lässt, die er schon längst öffnen wollte. Zum erneuten oder zum allerersten Male. Genauso verwirrend, wie die eigene Vergangenheit manchmal sein kein, genauso erhaben wirkt sie aber auch, wenn man sie mit moderner Technik zu neuem Leben erweckt. Genau das hat PT getan, mit einem Instrument, das so kompliziert in der Bedienung ist, dass es fast aus einer anderen Zeit stammen könnte. Aus der Zeit, in der PT das in sich aufgesogen hat, was ihn heute in die Lage versetzt, ein Album wie „Inner Systems“ zu veröffentlichen.
to be continued.