Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
##Hieroglyphic Being – We Are Not The First
Ji-Hun: Der aus Chicago stammende Produzent Jamal Moss war für mich noch nie so richtig zu greifen gewesen. Das mag auch daran liegen, dass er, laut Discogs, alleine unter seinem Pseudonym Hieroglyphic Being seit 2008 34 (!) Alben veröffentlicht haben soll. Dazu kommen Dutzende EPs und weitere Alben als Jamal Moss, IAMTHATIAM, Insane Black Man (mit Steve Poindexter), The Sun God und vielen anderen Projekten mehr. So viel Musik muss man als normal arbeitender Mensch erstmal hören können, wie erst so viel produzieren? Gibt es im Business auch nur ansatzweise eine weitere Person, die so einen Output hat? Nebenbei betreibt Moss das exquisite Label Mathematics. Vielleicht hat Moss so was wie die Time Augmentation Machine erfunden. Wie in der 80er-Serie „Mein Vater ist ein Außerirdischer“ einfach die Zeit stehen bleiben lassen oder verlangsamen. Nun ist diese Woche der neueste Longplayer von Hieroglyphic Being auf dem Liebhaber-Label RVNG Intl. erschienen. Gemeinsam mit dem losen Jazzmusikerverbund J.I.T.U Ahn-Sahm-Bul ist „We Are Not The First“ entstanden, das Techno als Statement verfasst. Sun Ra ist hier in jeder Ritze zu hören. Aber es ist auch ein möglichst diametral entgegengesetzter Entwurf zum digitalen, hypersynchronisierten und klinischen Ableton-Bauklotztechno der Beatport-Ära. Hier ist keine Sequenz vorhersehbar, es menschelt und jazzt überall. Es ist anstrengend, nervenzerreibend, gejammt und irgendwie trotzdem sexy und politisch zugleich.
##Rafael Anton Irisarri - A Fragile Geography
Thaddeus: Ich bin irgendwie schon immer Fan von Rafael, egal mit welchem Projekt er seine Zeit verbringt und wie das dann klingt. Sein neues Album auf „Room 40“ jedenfalls klingt phänomenal toll. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich keine ähnlich tolle Ambient-Platte seit Deru gehört. Womit wie auch schon beim Thema wären, denn beide Alben zeigen große Parallelen. Im Sound, in den Strukturen, den Arrangements. Mir macht das ganz und gar nichts aus, es gibt bestimmt ein paar Ambient-Tresenrumhänger, die sich jetzt wild und noch wilder darüber echauffieren werden. Denen sei ein beherztes Fuck You! an diesem spätherbstlichen Wochenende zugerufen. Denn Musik ist immer das, was man daraus macht. Und wenn alles einfach nur rauscht, dann kleben sich die Erinnerungen wie von selbst an die rohen Wände seiner Tracks. Ich bin heute mein eigener Projektor. Ob ich will oder nicht.
Grimes - Art Angels
Benedikt: Die Wahl des Albums für das Wochenende stand diesmal schon vorab fest. Tatsächlich bin ich mit der letzten LP „Visions“ nie wirklich warm geworden, von der Single „Go“ aus dem letzten Jahr – ursprünglich für Rihanna geschrieben und unerträglich – will ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Ich fände es aber auch nicht schlimm, wenn „Art Angels“ meinen Geschmack leicht verfehlt, riesiger Fan war ich sowieso nie. Claire Boucher ist allerdings unabhängig von Geschmacksfragen eine spannende Künstlerin, zwischen Schüchternheit und Pop-Glitzer, enorm vielseitig und anspruchsvoll, aber kein bisschen greifbar in ihrer Musik. Dafür aber ganz eindeutig in ihren Aussagen über wichtige Themen unserer Zeit. Und das letzteres auch eine Rolle spielt, weil Popularität Verantwortung schafft, begreifen im Insta-Wahn leider immer weniger Künstler. Und Fans. Lass Grimes ruhig noch ein bisschen mehr Pop werden, ein bisschen gefälliger für den Mainstream, denn das ist die neue Platte definitiv. Künstler wie sie braucht die Welt.