„Kapitalistischer Dadaismus ist nicht lustig“30 Minuten mit Matthew Herbert
22.5.2015 • Sounds – Interview: Thaddeus HerrmannHerbert, Matthew Herbert, Wishmountain, Doctor Rockit, Radioboy: Das sind nur einige der Projektnamen, unter denen der Brite nun schon seit knapp 20 Jahren seine Musik veröffentlicht. Allein, mit Band, in klaren House-Music-Strukturen, als Remixer für renommierte Musikerinnen und Musiker, als Dekonstruktivist oder auch als Konzepter und Provokateur. Denn das Wort ist für Matthew Herbert mindestens genauso wichtig wie die Musik. Dass ihn dieser Spagat angreifbar macht, immer wieder zu Reibungen zwischen ihm, der Presse und vor allem dem Publikum führt, nimmt der 42-Jährige nur zu gern in Kauf. Die Welt verändert sich zu schnell, als dass man die entsprechenden Debatten aus der Musik ausklammern könnte. Mehr noch: Ist ein einfacher 4/4-Beat nicht sogar die beste Basis, um die Message gleich mitzuschicken? Nach neun Jahren Field Recordings und Konzeptalben veröffentlicht Matthew Herbert nun mit „The Shakes“ eine neue „Dance-Platte“. Wird da jemand müde?
Dass wir uns hier heute gegenübersitzen, ist nur einem Lokführer zu verdanken, der nicht streikt. Glück gehabt!
Ich bin fix und fertig, war 25 Stunden unterwegs. Und habe mir nachts in Köln noch für zwei Stunden ein Hotelzimmer genommen. Das war merkwürdig.
Teil eines solchen Protests zu sein, muss Matthew Herbert doch aber eigentlich gefallen.
Ja und nein. Heute Nacht habe ich gemerkt, dass es tatsächlich davon abhängt, ob man zu Hause in so etwas verstrickt ist, oder aber im Ausland, wo man die Regeln nicht kennt.
Die sind einfach. Es fahren einfach kaum Züge.
Ich kenne die Hintergründe des Streiks nicht, das ist das Problem. Natürlich ist meine erste Reaktion, sich grundsätzlich immer auf die Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schlagen. Das gehört sich so, oder? Aber mir passiert das regelmäßig, diese Momente, in denen ich meine vermeintlich klare Meinung revidieren muss. Ich erinnere mich noch gut an ein Projekt in Russland, an dem ich teilgenommen habe. Da fragte mich ein Journalist, was ich denn von Putin und seiner Politik halten würde. Da waren auch Staatsgelder im Spiel und ich merkte plötzlich, wie schwierig es mir fiel, meine eigene Rolle dort in Russland zu beschreiben. Man will nicht naiv erscheinen und einfach ins Blaue hinein die Zustände vor Ort kritisieren, die man ja faktisch nur oberflächlich kennt. Ich wollte aber auch nicht, dass der Journalist mich für einen Künstler hält, der Geld von einem Diktator nimmt. So wie Sting. Was sagt man also?
Als Künstler muss man solche Entscheidungen ja regelmäßig fällen. Gute Projekte auf der einen, fragwürdige Umstände auf der anderen Seite. Wie gehst du mit diesem Zwiespalt um?
Zum Glück hielt sich das bei mir bislang in Grenzen, zumindest, wenn es um zweifelhafte politische Rahmenbedingungen ging. Vor ein paar Jahren habe ich in Syrien gespielt. Kurz nachdem George Bush das Land der Achse des Bösen zugeordnet hatte. Dann dort zu spielen und sich auf der Bühne gegen Bush und für Syrien zu äußern, war großartig. Das Problem, mit dem ich mich hingegen praktisch täglich auseinandersetzen muss, ist das der Sponsoren. Ich lehne es aus tiefstem Herzen ab, wenn sich große Unternehmen in der Kultur breitmachen. In ein paar Wochen soll ich in Sydney ein Konzert in der Oper spielen. Große Produktion, sehr teuer. Ich kenne die Organisatoren schon sehr lange, das ist eine fantastische Truppe. Also habe ich natürlich zugesagt, Flüge organisiert, die Band gebucht usw. Dann habe ich vor ein paar Tagen erfahren, dass die Veranstaltung eigentlich ein Red-Bull-Event ist. Hätte ich das von Beginn an gewusst, hätte ich nie zugesagt. Was macht man da? Wenn man alles organisiert, sogar andere Konzerte dafür abgesagt hat? Und was können die Fans in Australien dafür? Fährt man dennoch hin? Sagt man etwas auf der Bühne? Was einem ja immer öfter vertraglich explizit verboten wird. Das ist eine ganz subtile Art, den Kapitalismus am Laufen zu halten. Wenn deine schiere Präsenz – zum Beispiel in Sydney – ausreicht, um das ganze System zu rechtfertigen. Das ist aktuell vor allem in Drittwelt- und Schwellenländern ein ganz akutes Problem. Da herrscht wieder Goldgräberstimmung auf Seiten der großen Firmen.
„Sponsoring ist Kapitalismus auf niedrigstem Niveau.“
Ist die Karawane also einfach nur weitergezogen auf der Suche nach neuen Märkten oder hat sich auch etwas im Bewusstsein der Künstler geändert?
Ich nehme das einer Band nicht mal übel. Warum sollten sie ein Sponsoring ablehnen, gerade wenn sie noch nicht lange dabei sind und mit so einem Deal mehr Geld verdienen können, als in fünf Jahren auf dem traditionellen Weg. Aber es ist und bleibt ein Paradebeispiel für Kapitalismus auf niedrigstem Niveau. Weil es die Verantwortung sozusagen nach unten delegiert. Selbst wenn man Dinge wie die Menge an CO2 – die eine Band produziert, wenn sie sich fünf Jahre lang den Arsch abtourt, außen vor lässt – dann sind diese fünf Jahre doch wertvoller für alle Beteiligten, als den Scheck einer großen Firma einzustecken und den neusten VW zu bewerben. Wertvoller im gesellschaftlichen Sinn.
Du hast in den letzten Jahren immer öfter für den klassischen Kulturbetrieb gearbeitet. Für Theater, in Opernhäusern, aber auch für die BBC. Wie unterscheidet sich das vom „freien Markt“?
Es ist noch viel radikaler.
Was bedeutet das?
Man fühlt sich viel freier und kann entsprechend besser arbeiten. Die Verantwortlichen vor Ort treiben einen geradezu in die Provokation. Weil die Intendanz der Häuser ganz genau weiß, dass ihnen das Publikum wegläuft bzw. wegstirbt und fast schon panisch nach einer neue Generation von Zuschauern und Zuhörern sucht. Wenn du heute ein talentierter Filmemacher in England bist, dann arbeitest du doch nicht freiwillig für die BBC. Warum denn auch, wenn es Vice gibt?! Das führt dazu, dass die Arbeit und die Projekte kontinuierlich gerechtfertigt werden müssen. Gegenüber internen Gremien, aber natürlich auch gegenüber dem Staat, wenn es um das Budget geht. Und wenn du als Künstler dann mit deinem Projekt auf Nummer sicher gehst, sind die Projektleiter richtiggehend frustriert. In der freien Wirtschaft ist es genau andersrum. Dort geht es um nichts anderes, als immer auf Nummer sicher zu gehen. Nur nicht anecken. Und wer das dann doch versucht, wird angezählt.
##Oper, 12", Dadaismus
In der täglichen Arbeit am Theater zum Beispiel merkt man aber auch, wie verkrustet die Strukturen dort sind, wie wenig effizient. Ich habe mal mit meiner Big Band im Hollywood Bowl in Los Angeles gespielt. Da fehlten zwei Stühle auf der Bühne. 20 Musiker, 18 Stühle. Können wir bitte zwei Stühle bekommen? Erst wenn der zuständige Kollege wieder da ist. Das Gleiche passierte mir im Centre Pompidou in Paris, als ich dringend einen Schraubenzieher brauchte. Das ist so dada, dass ich es eigentlich schon wieder toll finde. In der freien Wirtschaft passieren dann Dinge, wie neulich mir, wieder in Russland. Da musste ich diesen langen Vertrag unterschreiben bzgl. Sponsoren. Sollte ich selber Sponsoring-Verträge haben, dann dürften sich diese Marken nicht mit den Sponsoren des Festvials ... blablabla. Und dann parkt der Hauptsponsor der Party – Peugeot – ein neues Auto mitten auf der Tanzfläche. So zum Drumrumtanzen. Das war auch sehr dada. Der Unterschied ist aber, dass kapitalistischer Dadaismus einfach nicht lustig ist.
Du nimmst dir das sehr zu Herzen.
Weil es mich wahnsinnig macht. Die Oberflächlichkeit der Werbung, das immerwährende Vorgaukeln von Glück und Zufriedenheit. So funktioniert die Welt nicht. Und das muss man so lange immer wieder sagen, bis sich tatsächlich etwas ändert.
Welche Rolle kann Musik dabei spielen?
Der Begriff Musik ist hier mir zu allgemein. Eine Oper ist keine 12". Dance Music kann beispielsweise wirklich einen Gedanken, ein Weltbild, von mir aus eine ganze Ideologie in physische Energie übersetzen. Du begegnest unbekannten Menschen auf der Tanzfläche. Menschen, die anders aussehen, einen anderen Hintergrund haben, an andere Dinge glauben. Und doch teilst du diesen Moment mit ihnen. Und sie mit dir. Das mag banal klingen, ist aber wichtig. Gerade jetzt, wo die soziale Schere immer weiter auseinandergeht. Musik hat Kraft und Gewicht. Macht. Mir ist das selbst ein wenig zu spät klar geworden. Man muss bestimmte Platten einfach machen. Eine, die ich aufnehmen will, heißt „Camilla Parker Bowles“. Du weißt, wer das ist?
Die Ehefrau von Prince Charles.
Richtig.
Je älter ich werde, desto größer wird meine Verachtung für die Monarchie.
Als junger Mensch fand ich das noch irgendwie witzig und skurril. Heute aber empfinde ich nur noch Abscheu. Was den Mitgliedern der königlichen Familie zugestanden wird, dass sie sich als bessere Menschen begreifen und rechtlich ja auch so gestellt sind. Das muss aufhören. Sie können sich gerne weiterhin verkleiden, aber wir müssen sie entmachten. Also will ich diese Platte machen, ein Album voll mit Liebesliedern. Ernst gemeinten Liebesliedern.
Äh?
Ich will Hochverrat begehen.
Mit Liebesliedern?
Eine der wenigen Möglichkeiten für Hochverrat ist, die Frau des Thronfolgers zu verführen.
Ist das nicht arg subtil?
Nein, Schönheit schockt richtig. Wenn sie nur kritisieren würde, dann wäre das ja nichts anderes als ein Zeitungsartikel. Egal, vielleicht mache ich auch eine Platte über David Cameron, finde heraus wo er wohnt und mache dort ein paar Field Recordings als Basis. Wie bin ich jetzt darauf gekommen? Ah, Dance Music! Ich bin mir sicher, dass Dance Music sich für solche Projekte eigentlich am besten eignet. Weil die Musik so schnell aufgenommen und dann auch wieder rezipiert werden kann. Aber niemand traut sich. Es geht immer nur um den Status Quo. Das ist ungefähr so, als könntest du dir jedes Wochenende aussuchen, wo du gerne Urlaub machen würdest; und am Ende gehst du nur kurz die Straße runter.
##Das Problem der Linken mit der Musik
Aber der Dancefloor ist doch sowieso schon lange kein politischer Ort mehr. Darum muss ich dir auch widersprechen. Dass dort Menschen aus unterschiedlichen Schichten aufeinandertreffen, mag ja noch stimmen, das vermischt sich vielleicht auch, aber das spielt doch keine Rolle, sprich: wird nicht wahrgenommen. Es sind doch immer genug eigene Kumpels da.
Vielleicht. Vielleicht ist das aber auch ein Phänomen, das die jungen Leute gar nicht mehr berührt, weil es in ihrem Leben gar keine Rolle mehr spielt. Das wäre dann ja gut. Aber: Ihre Ängste sind doch die gleichen wie bei uns damals. Ich habe selber keine Antwort parat. Vielleicht ist Musik auch nicht mehr wichtig. Vielleicht gibt es zu viel Musik und wir sind alle überfordert. Es muss auch nicht sein, dass jeder Track die große Meta-Ebene hat, aber eine gewisse Gefahr sehe ich doch, dass Harmlosigkeit zum neuen Mantra wird. Denn während Techno und House immer banaler werden, ist der klassische R'N'B und HipHop ja zur konservativen Sprücheklopferei verkommen: Verdien' Geld, sei gewalttätig, verhalte dich Frauen gegenüber auf eine bestimmte Weise, versteh' dich selbst als Marke. Um das abzuschließen: Musik ist immer noch politisch. Die Linke hat das nur vergessen. Und das muss sich dringend ändern.
Jetzt haben wir die Transparente auf dem Dancefloor aufgehangen, aber noch gar nicht über die neue Platte gesprochen.
Nicht schlimm. Denn was wir heute besprochen haben, sind genau auch die Thema der Platte. Wie fühlt es sich an, in so einer Welt zu leben. Hin- und hergerissen zwischen den politischen Gegebenheiten und den schönen Dingen, die einem ja zum Glück immer noch erlebt. Wenn du mehr wissen willst, schick' mir doch eine E-Mail.
Hast du denn die Show in Sydney jetzt zu- oder abgesagt.
Zugesagt. Zwar nicht mit dem besten Gefühl, aber ich hoffe, dass das die richtige Entscheidung ist. Vielleicht äußere ich mich tatsächlich auf der Bühne zu Red Bull, auch wenn das bestimmt keine gute Idee wäre. Man muss vorsichtig sein im Umgang mit den Menschen, von denen man Geld nimmt. Und auch respektvoll mit den Menschen umgehen, die solche Konzerte möglich machen und deren Situation versuchen zu verstehen. In China habe ich mal furchtbaren Ärger bekommen mit einer Promoterin, die darauf bestand, dass wir eine Video-Installation, in der Tony Blair lippensynchron zu meinen Songs singt, nicht zu zeigen. Sie sagte, dass man Personen des öffentlichen Lebens in China auf diese Art niemals auf die Schippe nehmen würde. Ich sagte, Tony Blair ist das Schlimmste, was England je passiert sei. Natürlich haben wir die Installation dann abgebaut. Ich fliege dahin, spiele ein Konzert, nehme die Gage und fahre wieder nach Hause. Sie hat das Risiko und muss die etwaigen Konsequenzen meiner Installation ertragen. So etwas gehört sich nicht. Das beste Mittel gegen Ignoranz ist immer noch das Zuhören. Das ist auch der Grund, warum ich Sound so mag. Wer ernsthaft zuhören will, muss dabei still sein, die Klappe halten. Deshalb sind die Zeiten, in denen ich Dinge aufnehme, auch immer wieder eine so wunderbare Erfahrung. Dann muss selbst ich still sein.