„Ich stehe halt auf Verkrampfung“Das große Interview mit Rocko Schamoni
21.5.2015 • Sounds – Text: Ji-Hun KimDer Hamburger Rocko Schamoni ist einer der letzten Universalgelehrten der gepflegten Unterhaltung. Ob als Musiker, Theatermacher, mit dem Trio Infernale Studio Braun gemeinsam mit Heinz Strunk und Jacques Palminger oder als Schriftsteller und als Betreiber des legendären Golden Pudel Club. Und obwohl Schamoni eigentlich kein Bock auf Musik mehr hatte, erscheint nach vielen Jahren nun sein neues Album „Die Vergessenen“, das er mit dem Ensemble Mirage aufgenommen hat. Vergessene deutschsprachige Lieblingslieder von FSK, Ton Steine Scherben, Jeans Team, Lassie Singers, aber auch eigene neue Songs werden hier groß, opulent und zeitlos aufgefahren und interpretiert. Wir sprachen mit Rocko Schamoni über schwierige Zeiten in Hamburg, steinerne Politiker, Jammern als Inspiration und wieso Fliesen mit Pestbeulen eine Option auf eine kunstfreie Zukunft bedeuten könnten.
In Hamburg gab es in den vergangenen Jahren viele Spannungen. Für alternative, respektive linke Subkulturen, für die Hamburg immer stand, scheint es schwierig geworden zu sein. Da waren die Proteste um die Rote Flora, Studenten, Musiker und Künstler können die steigenden Mieten nicht mehr zahlen, die Diskussionen um die Reeperbahn als Disneyland für Trinktouristen, aber auch die Streitigkeiten um den Golden Pudel Club, den du ja mit betreibst. Wie schätzt du die Lage ein?
Da kann ich eigentlich nur aus meiner Perspektive berichten. Der Pudel steht bekanntlich vor der Zwangsversteigerung. Da gibt es viele Probleme. Es ist ein langwieriger wie schmerzhafter Prozess, den wir gerade durchmachen. Wie es ausgeht, steht in den Sternen. Es hat sich in den letzten Jahren aber nicht nur alles zum Negativen verändert. Auch weil die Stadt gelernt hat, dass sie mit dieser Vertreibungspolitik ihre eigene künstlerische Identität in Frage stellt. Die Hamburger Politik und die Behörden waren in den letzten fünf Jahren nicht so schlimm wie in den Jahren zuvor. Es gibt Erkenntnisprozesse, das muss man anerkennen. Die Stadt hat eine große Künstlerszene, und wenn diese ignoriert und übergangen wird, zieht sie irgendwann weg. Das passiert ja auch schon bereits. Einige gehen nach Berlin, und wenn Hamburg dagegen nichts unternimmt, ist der Rest auch bald weg. Die Frage ist nun, ob diese Erkenntnis von der Politik auch in eine Realität überführt werden kann.
Fühlst du dich in dem Diskurs als Teil der Subkultur oder als Teil des kulturpolitischen Establishments?
Ich finde es schwierig, mich als Teil von irgendetwas zu verstehen. Ich hänge zum Beispiel nicht in Lobbys rum. Ich geh auf keine Empfänge oder Politikertreffen. Ich geh auch keine Kaffees mit Intendanten trinken. Das bin ich alles nicht. Ich habe das Glück, dass ich hier und da mal ein Theaterstück an einem der größeren Häuser machen darf, was mir unglaublich viele Mittel und Möglichkeiten gibt. Ich habe allerdings nie das Gefühl gehabt, zum Establishment zu gehören. Ich spiele noch immer in Freiburg vor 190 und in Zürich vor 70 Menschen. Was hat das mit Establishment zu tun? Für mich persönlich bedeutet Establishment die Einverständniserklärung der Zugehörigkeit zu einer gehobenen Schicht. Da gehöre ich wahrscheinlich nicht dazu. Wenn aber andere sagen: Er hat doch Stücke am Thalia und am Schauspielhaus gemacht und für jene zählt das zum Establishment, dann gehöre ich nach dieser Definition dazu.
Du hattest es angedeutet: Viele kreative Menschen ziehen von Hamburg nach Berlin. In den 1980er- und 1990er-Jahren war Hamburg eine Hochburg der Popkultur. Trägt Berlin Schuld daran, dass es keine so starken Marken wie Hamburger Schule oder Hamburger HipHop mehr gibt?
Berlin ist nicht schuld. Berlin ist das vermeintliche Licht in der Nacht der deutschen Kulturlandschaft gewesen, auf das man zufliegen konnte, weil man das Gefühl hatte, dass es hier noch Freiräume gibt. Das etwas, wohlgemerkt etwas, schlauere Berliner Kulturmanagement spielte dabei auch eine Rolle. Hamburg hat viele Möglichkeiten verspielt. In der Stadt wurde zum Beispiel nie eine Radiokultur etabliert. Das ist aber etwas, das für Künstler und Kreative aus der Region wichtig ist. In Hamburg ist durch die jahrelange Nichtarbeit an einer Radiolandschaft und im Bereich medialer Verbreitungskultur von Pop alles versaut worden, was es nur gab. Vor 20, 25 Jahren war Hamburg neben Köln die Popstadt in Deutschland. Daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen, eine gewachsene regionale Medienkultur zu etablieren, die Künstler aus der Region repräsentiert – das hat nie statt gefunden. Der NDR und die privaten Radiostationen haben das komplett übersehen.
Lass uns kurz zum Pudel zurück kommen. Du erwähntest vorhin, dass du nicht weißt, wie die Zukunft des Clubs aussehen wird. Was wünschst du dir?
Wir befinden uns in einer Versteigerungssituation, da bringen auch Wünsche relativ wenig. Es kann sein, dass nicht genug Geld zusammen kommt, um das Haus zu ersteigern. Vielleicht findet man einen Mäzen oder Wege wie Crowdfunding, um das zu schaffen. Das sind letztendlich die Optionen. Wir werden nicht am Gesetz vorbei das Haus besetzen können, damit es zu einer Räumung kommt. Es gibt da durchaus andere Meinungen, aber ich glaube, wir müssen über die Versteigerung zu einer Lösung kommen.
Ich fühlte mich bei dieser Diskussion an das Berliner Tacheles erinnert, wo am Ende die Erhaltungskämpfe zum Selbstzweck wurden und das eigentliche kreative Potential komplett zur Nebensache wurde. Will man manchmal nicht einfach nur hinwerfen?
Meine Kräfte sind nahezu verzehrt. Lust ist da kaum noch vorhanden. Aber zum Glück geht es nicht um meine Kräfte, sondern um die Kräfte aller, die in der Sache involviert sind. Wenn ich gehen will, gehe ich halt weg. Dann übernimmt das jemand anders.
Lass uns über deutschen Humor sprechen. Es hieß mal im Zusammenhang mit Studio Braun, dass ihr zwar von den großen Monty Python inspiriert seid, aber eigentlich viel verkrampfter an die Sache herangeht. Wie hat man das zu verstehen?
Naja. Ich stehe halt auf Verkrampfung (lacht). Ich stehe auch auf verkrampften Humor. Deswegen finde ich auch den schlechten deutschen Humor interessant. Ich meine diesen Fernsehhumor aus den 1970er-, 1980er-Jahren, wo man merkte, das ist maximal verkrampft.
Fips Asmussen?
Das finde ich unglaublich verkrampft oder auch Leute wie Günter Willumeit. Aber auch diese Verkrampftheit des Publikums. Was darf man alles nicht erwähnen, was verstehen die Leute nicht? Aber wo Krampf, Sperren und Grenzen sind, da ist auch was zu holen. England hat damit weniger Probleme, weil es eine viel größere Affinität zu Humor hat. Da geht alles. Hier geht sehr wenig. Das ist ein Nachteil, weil recht wenig verstanden wird. Aber auch ein Vorteil, weil man in dem Bereich noch Dinge ausloten kann. Hier heißt es nicht sofort: Och, das kennen wir schon. Es gibt ja diesen einen deutschen Humorstandard, der in den gängigen Fernsehsendern durchgearbeitet wird. Dann gibt es kleinere, speziellere Sachen, die meiner Ansicht nach eine längere Halbwertszeit haben. Helge Schneider natürlich, aber auch Fil aus Berlin oder Josef Hader aus Österreich. Die fungieren in einer eigenen Welt, aber auch die haben vielleicht Freude an dieser Verkrampftheit.
„Das Meditieren über die eigene Jämmerlichkeit führt meiner Ansicht nach häufig zu guten Ergebnissen im Bereich Humor.“
Welche Rolle spielt Jammern dabei?
Jammern spielt bei Studio Braun eine große Rolle. Jammern ist das Schlüsselloch, durch das man kriechen muss, um in einen anderen Raum zu kommen, in dem man Luft holen oder auch wieder lachen kann. Wenn wir über Humor reden, dann fangen wir meistens an zu erzählen, wie schlecht es uns allen geht. Nachdem man dann eine halbe Stunde darüber gejammert hat, was für ein schreckliches Dasein man zu fristen hat – im Vergleich zu vielen anderen Menschen auf dieser Welt (pausiert und lacht), dann kann man relativ befreit aufspielen und die Jämmerlichkeit, die man hatte, lässt sich schön umwandeln. Das Meditieren über die eigene Jämmerlichkeit führt meiner Ansicht nach häufig zu guten Ergebnissen im Bereich Humor.
Auf deinem neuen Album gibt es einen Song über Angela Merkel. Wie politisch bist du eigentlich noch als Musiker/Künstler?
Das ist ein schwieriges Feld. Eigentlich empfinde ich wenig Respekt denen gegenüber, die sich vorne auf die Barrikade stellen, um sich als politischer Künstler zu installieren. Ich denke politisch und ich möchte gerne politisch handeln. Aber eigentlich habe ich das Gefühl, dass ich auf der Bühne dafür da bin, die Leute zu unterhalten. Ich bin halt ein klassischer Entertainer. Ich kann aber durch die Position, die ich habe, die Möglichkeit nutzen, mich politisch zu artikulieren. Das ist mir lieber, als wenn ich mit erhobener Faust auf der Bühne stehe. Es gibt aber Leute, die können das.
Zum Beispiel?
Ich finde, dass René Pollesch es im Theater zumindest schafft, mit politischen Inhalten zu jonglieren, anzusagen, in welche politische Richtung man denken soll, aber auch zugleich zu verwirren und irritieren, jemanden aufzuwecken – das finde ich spannend. Das könnte ich nie so wie er. Er macht das sehr virtuos und haut einem Versatzstücke um die Ohren, dass einem schwindelig wird. Ich versuche mich eher abseits der Kunst, wo es mir einfacher fällt, eine klare politische Aussage zu treffen.
Überhaupt eine klare Position zu beziehen, ist im 21. Jahrhundert recht schwer geworden.
Es ist in allen Bereichen, auch durch die Vernetzung, sehr komplex geworden. Wahrheiten sind schwer zu durchschauen. Welcher Teil einer Wahrheit trifft jetzt auf einen zu, welcher nicht? Welche Facette muss man bejahen, welche verneinen? Dass muss man heutzutage peu à peu, Millimeter für Millimeter abarbeiten. Allgemeinstatements, Ideologisierung und Vereinfachung sind heute einfach nicht mehr möglich.
Um kurz zum Song Angela zurückzukommen. Dort heißt es: „Angela, was hat die Macht aus dir gemacht? Dass dich die Macht so leblos macht.“ Inwiefern hat Angela Merkel einen Popsong verdient? Was hat dich an dem Thema interessiert?
Mich hat daran dieses Versteinern von Leuten interessiert. Der Verlust ihrer Menschlichkeit und Persönlichkeit, wenn sie an gewisse Machtpositionen gelangen. Das konnte man damals schon in linken und alternativen Szenen erkennen. Man hat es an Joschka Fischer gesehen. Sein Beginn als Turnschuhpolitiker und wie er von Jahr zu Jahr versteifter wurde. Wie er zu so einer Puppe, zu einem Denkmal seiner selbst wurde. Er erzählte immer weniger von sich als Mensch, weil das Staatstragende ihn zu sehr durchdrang. Da fragt man sich, ob diese Entwicklung jobbedingt ist oder nicht. Klar, wird man ein anderer Mensch, wenn man Müllmann oder Vertreter ist. Es passieren Dinge mit dir, die sind systemimmanent, sie sind einer konkreten Arbeit zugehörig. Angela Merkel ist hier natürlich nur Stellvertreterin für alle, die in solche Positionen eintreten. Gibt es die privaten Menschen noch oder bleibt am Ende nur noch eine Funktion übrig? Es gibt ja immer diese Diskussionen über Politikverdrossenheit. Die Antwort hat für mich ein Stück weit damit zu tun, dass es heute kaum noch Politiker wie Brandt oder Wehner gibt, wo man damals zumindest glaubte, dass die politische Person mit auch den Menschen dahinter repräsentierte. Heutzutage sind die Optimierungsmethoden bei Politikern so durchstrukturiert und ausgerechnet, dass am Ende nicht viel übrig bleibt. Es geht um berechnete Bilder, die man als Bürger sehen soll und mehr nicht. Deshalb glauben viele Menschen nicht mehr an Politik.
Václav Havel meinte nach seiner politischen Karriere, er habe deshalb mit der Politik gebrochen, weil ihn die Diplomatie zu sehr eingeengt hat. Er konnte Dinge nicht mehr so sagen und äußern, wie er sie gedacht oder gefühlt hat.
Bei Diplomatie ist das doch so. Da sagt jemand einen andeutungsvollen Satz und in der Kritik solch eines Satzes heißt es dann immer: Kann man das so überhaupt sagen? Darf man so weit gehen? Dabei ist dieser Satz nur eine äußerste Andeutung einer Andeutung. Die Sprache erstarrt. Es sind Register, die in der internationalen Klaviatur der politischen Sprache schon verabredet sind. Kann man aber diese Sprache neu aufzäumen? Kann man den Menschen verständlich machen, was da eigentlich gemeint ist? Weil eigentlich existieren nur noch Codes. Man kann diese Codes verstehen, weil die Presse das ein bisschen übersetzt. Aber im Großen und Ganzen ist das alles im Vorhinein strukturiert.
Ich würde gerne über dein neues Album „Die Vergessenen“ sprechen. Du hast dich die letzten Jahre aus dem Musikding herausgezogen, auch weil du Abstand zu den immer gleichen Routinen brauchtest – Album aufnehmen, Promo, Tournee und das Ganze wieder von vorne. Die Entstehungsgeschichte diesmal ist eine etwas andere. Zum einen ist es ein Cover-Album, du spielst mit einem großen Ensemble, außerdem wurde es durch Crowdfunding finanziert.
Vor einem Jahr wurde ich von einem Hamburger Theater-Festival gefragt, ob ich Lust hätte, dort einen Abend zu gestalten. Zuvor hatte ich am Deutschen Theater in Berlin mit Studio Braun ein Stück namens „Fahr zur Hölle, Ingo Sachs“ aufgeführt, wo wir mit einem Orchester arbeiteten. Ich schlug vor, mit diesem Orchester und dem Arrangeur Sebastian Hoffmann einen Abend mit vergessenen Pop-Perlen zu gestalten, dazu würde es filmische Versatzstücke geben – ein filmisch-musikalischer Abend also. Zeitgleich dachten wir, wenn wir schon die Arrangements, das Orchester und Konzept haben, sollten wir auch ein Album daraus machen. So haben wir durch Crowdfunding über 40.000 Euro an Spenden gesammelt. Allerdings sagte genau zu diesem Zeitpunkt das Theater-Festival die Show wieder ab. So standen wir plötzlich mit halbleeren Händen da. Wir haben eigentlich schon mit dem Produktionsetat des Festivals geplant, der die Kosten für die Proben und die Probebühne gedeckt hätte. Das fiel plötzlich alles weg und so hatten wir auf einmal nur noch das Geld für das Studio. Es blieben zwei Möglichkeiten: wir zahlen die Spenden alle wieder zurück oder machen die Platte trotzdem. Am Ende haben wir uns für das Album entschieden. Auch weil es uns unangenehm und peinlich gewesen wäre, so einen riesigen Vertrauensvorschuss einfach wieder zurückzuzahlen. Die Orchestermusiker verzichteten daraufhin auf die Vergütung der Probezeit und so ist nach gut einem Jahr das Album fertig gestellt worden.
„Wir können, anders als die Engländer, Amerikaner, Franzosen und Italiener, nicht auf eine sonderlich reiche Poptradition zurückblicken. Aber auch dort finden sich großartige Perlen. Dass diese aber nicht gehegt und gepflegt werden, das ist mir persönlich ein Rätsel. Das wollte ich anprangern.“
Hat sich diese Arbeit gut angefühlt?
Wenn man mit Musikern arbeitet, die so gut sind wie in dieser Band, die sich dann auch noch alle freundschaftlich zugetan sind, es sind keine Ego-Shooter dabei, alle sind zwar relativ schlecht bezahlt aber dennoch mit voller Leidenschaft dabei, dann ist man schon dankbar. Man schätzt sich glücklich, wenn man hört, wie sich die Stimmen aufbauen. Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboards, aber dann kommen Bläser dazu, Streicher und noch mehr Streicher, es wird immer größer und irrer und dann auch noch die Background-Vocals. Das ist wie ein Gebirge, das vor dir heranwächst. Es ist ein permanenter Moment des Herzklopfens, der über Wochen andauert. Das ist weihnachtlich.
Das Album macht die große Geste. Eine Galaveranstaltung. Rocko Schamoni, der letzte Crooner Deutschlands?
Mittlerweile habe ich mit dem Begriff keine Probleme mehr, seitdem ich begriffen habe, dass der Begriff Crooner daher kommt, dass Leute in den 1920er- und 1930er-Jahren gelernt haben, durch Mikrofontechnik nicht mehr mit voller Lautstärke gegen eine Band oder Orchester ansingen zu müssen. Mit dem Mikrofon konnte man auch mit ganz leisen Tunings ganz große Gefühle erzeugen. Insofern habe ich mit Croonertum etwas zu tun. Für diese spezielle Art der Musik – ich sehe mich da irgendwo zwischen Lucio Battisti, Hildegard Knef und Serge Gainsbourg – bin ich einer der wenigen.
Die Platte heißt „Die Vergessenen“ und wenn man sich die Titel anschaut, tauchen Namen wie Guz von den Aeronauten, FSK, Manfred Krug aber auch Die Regierung auf. Geht es dabei auch um die Verkannten?
Der Begriff trifft es mindestens genau so gut. Das hängt eng miteinander zusammen. Die Vergessenen klingt aber auch runder. Ich will damit auch zeigen, dass man zu Unrecht nicht stolz auf diese Musiker ist. Wir können, anders als die Engländer, Amerikaner, Franzosen und Italiener, nicht auf eine sonderlich reiche Poptradition zurückblicken. Aber auch dort finden sich großartige Perlen. Dass diese aber nicht gehegt und gepflegt werden, das ist mir persönlich ein Rätsel. Das wollte ich anprangern (lacht).
Es handelt sich aber nicht um eine Aktion der Gattung „Ein Herz für Loser“.
Keineswegs. FSK sind Leute, die seit ihrer Gründung 1981 ständig unterwegs sind. Ob als Band, Solokünstler, im Literatur- wie im Kunstbetrieb. Mit Losertum hat das nichts zu tun. Ich finde aber, dass das Werk der Band viel mehr Anerkennung verdient hätte. In den Overground-Medien wird der Name nicht einmal erwähnt, das finde ich peinlich. Wieso können in England auch kleinste Indie-Bands zu Nummer-Eins-Acts werden und hier nicht? Selbst ein Klaus Walter hat es nicht geschafft, so etwas zu installieren.
Deine Interpretationen sind sehr behutsam und sensibel, lassen viel vom Original übrig. Da gibt es gar nicht den großen Schamoni-Stempel. War das so gewollt?
Man hätte viele Dinge nicht besser machen können. Sich überhaupt mit so einer Idee von Song-Versionen ins Feld zu stellen, ist schon ein maximales Wagnis. Aber gerade ein Song wie „Was kostet die Welt“ von FSK ist in der Art, wie er gemacht und produziert geworden ist, einfach perfekt.
Bist du noch Punk?
Nein. Ich war faktisch Punk von 15 bis 19. Von 20 bis 25 sah ich noch so aus. Dann hab ich das aufgegeben. Für mich ist das eine Arbeit für Jugendliche. Ich habe Aspekte davon behalten, die mich auch nicht mehr verlassen werden. Aber mit Mitte 40 kann man kein Punk mehr sein.
In deinen jungen Jahren hast du mal Töpfer gelernt. Stimmt es, dass du damit wieder angefangen hast?
Das stimmt. Ich habe mir einen Ofen gekauft und stelle die ganze Zeit Fliesen her. Irgendwann werde ich vielleicht den Absprung wagen. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten ist auf Dauer ermüdend. Ich kenne den Pop- und Rockbereich, den Theaterbereich und den Literaturbereich mittlerweile ganz gut. Ich habe erkannt, dass sie alle ähnlich sind, durchdrungen vom gleichen Geist der Eitelkeiten, die gleichen Bissigkeiten und Machtspiele. Deshalb ist das Eis in all den Bereichen auch relativ dünn. Ich bin ein bisschen gelangweilt. Manchmal muss man ausbrechen und neu Luft holen, um das weitermachen zu können. Irgendwann muss man auch einfach aufhören. Mit dem Gedanken spiele ich ständig.
Welche Hoffnung wird dabei ins Töpfern und die Fliesenproduktion projiziert?
Mich interessiert seit Jahren handwerkliche Arbeit, die zu Kontemplation führt. Die vergangenen 30 Jahre habe ich extrem viel mit dem Kopf gearbeitet. Das hat mir irgendwann gereicht. Ich könnte mir vorstellen, mit dem Herstellen von Fliesen meine Zeit zu verbringen. Da muss man zwar auch viel denken, aber anders.
Was sind das für Fliesen? Wie hat man sich das vorzustellen?
Zunächst habe ich mit alten Mustern gearbeitet. Später habe ich eigene neue Muster entwickelt. Jetzt arbeite ich mit Formen, die wie Pestbeulen aus den Wänden herauswachsen. Das geht schon fast wieder in Richtung Kunst – Wände werden dadurch unberechenbar. Wobei: Ich will keine Kunst machen. Ich will mich damit auch nicht für den Kunstbereich anmelden, der ist genauso beschissen wie all die anderen.