Der Techno-GroschenProduzentin und DJ Magit Cacoon im Interview
19.5.2015 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerGerade hat Magit Cacoon ihr Debütalbum „Other Dimension“ via Upon.You Records stilsicher in Berliner Techhouse-Sphären platziert. Eine Platte, die beweist, dass es nicht immer die ganz große Geschichte braucht, die hinter allem steht. Tracks dürfen auch mal für sich stehen, dürfen auch einfach mal knallen. Das tut „Other Dimension“ nämlich auf der gesamten Länge zwischen Intro und Outro: zunächst noch sanft, wie in „Freedom Is Timeless“ dann immer deeper und schließlich mit zerreißender Ketamin-Soundkulisse in „Summertime Space.“ DAS FILTER hat die junge, israelische Produzentin zum Interview getroffen und mit ihr über Tel Aviv und Berlin, das Dasein als Künstlerin und Party-Arroganz gequatscht.
Gerade mal 15 Jahre alt war Magit Cacoon, als sie die ersten Raves in Tel Avivs wüstenartigem Umland besuchte. Kurze Zeit später fiel der Techno-Groschen: Es kamen die ersten eigenen Platten mit zugehörigem Spieler, noch mehr Platten und ein Mixer. Und nach einigen Gigs in der Heimatstadt der Anruf aus Deutschland: „Hey Magit, hast du nicht Lust mit Ida Engberg in Dortmund zu spielen?“ Gesagt, getan. Mehr als zehn Jahre später ist Berlin längst zu Magit Cacoons Zuhause geworden. Auf „Other Dimension“ widmet sie der Hauptstadt gleich mehrere Tracks. Einer davon: „Ghetto X-Berg.“
Kreuzberg ist kein Ghetto mehr – oder?
Nein, aber wenn du mein Haus siehst (lacht)… Nein Quatsch, es ist großartig. Im achten Stock wohnt mein bester Freund, auf meiner Etage zwei wirklich coole Mädels, im dritten und vierten Stock wohnen auch Freunde. Es ist wie ein Campus. Und fast schon Mitte, die letzte Straße in Kreuzberg. Der Name des Tracks ist eher so ein Insider-Witz meiner Kreuzberger Gang. Und dieser Song ist gleichzeitig meinen Freunden gewidmet, die für mich da waren und mich unterstützt haben.
Wie bist du überhaupt in deinem „Ghetto X-Berg“ bzw. in Berlin gelandet?
Ich bin damals für einen Gig nach Dortmund gekommen und musste natürlich Berlin im gleichen Zuge auschecken. Es gab damals schon so viele Künstler hier, deren Sachen ich mochte – ich war unglaublich gespannt. Nachdem ich also mit Ida Engberg in Dortmund gespielt und dort zwei Tage verbracht hatte, bin ich nach Berlin. Das war auch mein erster Gig außerhalb von Israel. Und es lief gut. Hier war ich dann für einen Monat und habe mich gleich in die Stadt verliebt. Am Anfang war es ein ständiges Hin und Her: Tel Aviv, Berlin, Tel Aviv, Berlin und so weiter. Dann habe ich meine Aufenthaltserlaubnis bekommen und jetzt bin ich seit gut sieben Jahren hier.
Es kommen viele junge Menschen von Israel nach Berlin in den letzten Jahren.
Das stimmt. Und ich freue mich darüber. Tel Aviv und Berlin sind sich ja durchaus ähnlich. Auch dort gibt es viele Künstler, es ist alles sehr offen. Sogar in Sachen Mode gibt es Parallelen. Tel Aviv schaut auf zu Berlin.
Ach komm.
Es ist wirklich so. Viele Menschen in Tel Aviv lieben Berlin. Die Stadt ist ein großes Ding dort: „Yeah cool, sie lebt in Berlin (lacht).“ Das ist schon lustig.
Wie bist du zu deinem Co-Produzenten Oliver Deutschmann gekommen?
Ich habe ihn übers Radio kennen gelernt. Ich habe für drei Jahre die SweatLodge Radio Session gemacht, so ein Internetradio. Gute Gäste! Tom Clark, Mano Le Tough, Red Robin. Wir hatten jeden Freitag einen Riesenspaß, waren betrunken, es ging nur um Musik und nette Leute. So habe ich auch Oliver Deutschmann getroffen. Wir haben dann auch ein paar Partys zusammen gespielt und sind uns näher gekommen. Ich hatte schon ein paar Releases, als ich ihn traf, wollte aber noch mehr produzieren. Wir wurden Freunde, ich habe viel von ihm gelernt und ich habe ihm dann angeboten, mein Co-Produzent zu werden. Das ist bis heute so geblieben. Offiziell haben wir schon eine EP für whatpeopleplay und einige Tracks für Upon.You Records zusammen gemacht. Und nun eben dieses Album. Er ist echt eine Maschine (lacht). Der Vibe stimmt, es ist perfekt und geht weit über ein typisches Produzenten-Künstler-Verhältnis hinaus.
„Freedom Is Timeless“ nennt sich einer deiner Tracks. Das klingt so bedeutungsvoll, und ich habe lange darüber nachgedacht. Aber ganz ehrlich: Ich versteh den Titel nicht.
Es ist bedeutungsvoll. Ein Teil des Albums ist zu einer Zeit entstanden, die nicht ganz leicht für mich war. Ich war melancholisch. Dieser Track ist ein Schrei nach Freiheit. Freiheit von Liebe, Freiheit von einem Kerl, der in meinem Leben war. Mein Herz war gebrochen und so ist dieser Song geboren. Und dann ist daraus der fröhlichste Song des Albums entstanden (lacht). Man merkt’s aber an den Lyrics: „Sag mir, dass ich aufgeben soll.“ Es ist kurz, ohne viele Worte, aber auf den Punkt.
Du betreibst ja auch noch ein Label namens Girl Scout. Legst du ein besonderes Augenmerk auf Künstlerinnen? Der Name legt es nahe.
Nein, in Israel gibt es einen Comic namens Girl Scout. Es hat nichts damit zu tun, dass ich eine Frau bin oder Mädchen besonders unterstützen will. Ich unterstütze jeden, den ich gut finde. Es geht nur um Musik. Es sind ja genug männliche Produzenten dabei, viel mehr auch als Frauen.
Glaubst du trotzdem, dass man es als Künstlerin schwerer hat?
Ich fühle eigentlich keinen Unterschied. Vielleicht war das aber auch noch ein bisschen anders, als ich angefangen habe. Wenn man dich noch nicht kennt, wirst du schon als erstes als eine Frau gesehen. Aber wenn sie deine Musik erstmal kennen, ist es egal. Ich hatte nie eine schlechte Erfahrung in dieser Hinsicht. Obwohl – eine Sache gab es. Ich hatte einen Gig in Brasilien. Es wurde viel gequatscht, es gab ein Abendessen und dann habe ich gespielt. Ungelogen: Ich habe den Laden zerlegt, es war eine verdammt gute Party. Auf dem Heimweg sagte einer der Promoter: „Du hast mich wirklich überrascht.“ Ich fragte, warum. Und er: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass du so gut bist – immerhin bist du eine Frau.“ Ich war baff: „Ernsthaft? Fick dich!“ (Lacht.)
„New York ist großartig: Die Leute machen Party, sind wild, nehmen Drogen. Aber es fehlt etwas.“
Jetzt gerade bist du ja auch wieder viel unterwegs gewesen.
Ich war gerade in der Schweiz, in New York, in Tel Aviv. Diesen Monat spiele ich viel in Deutschland, Hamburg, München, Berlin, Braunschweig, Kassel.
Auch in den kleinen Städten?
Ja auf jeden Fall. Es lohnt sich auch. Ein kleiner Gig in irgendeiner deutschen Stadt ist manchmal besser, als zum Beispiel ein Auftritt in der Schweizer Hauptstadt.
Worin genau liegt denn für dich der Unterschied zwischen einem Gig in Berlin und Braunschweig?
Berlin ist mein Zuhause, hier kenne ich mich aus. Woanders muss man sich noch mehr auf die Leute einstellen: ein bisschen deeper, ein bisschen mehr House, ein bisschen mehr Techno – auch wenn ich am liebsten nur Techno und ein bisschen Techhouse spielen würde. In New York mochten die Leute es zum Beispiel viel deeper als anderswo. In Berlin kann man im Moment richtig harten Techno spielen.
Kommt auch drauf an, wo du spielst.
Ja, aber selbst im Kater ist das kein Problem.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass Leute hier Clubs aufgrund der scheinbaren Coolness besuchen, die damit einhergeht. Diese Party-Arroganz fehlt in Kleinstädten völlig.
Am Anfang dachte ich das ehrlich gesagt auch manchmal. Aber jetzt habe ich den Vergleich zu anderen Clubs auf der ganzen Welt. Und ich kann dir sagen: Berlin ist definitiv am wenigsten arrogant, was die Partyszene angeht. Es ist der beste Ort für Partys – no fucking doubt. Ich hatte in New York eine Unterhaltung mit einem Freund über genau dieses Thema. New York ist großartig: Die Leute machen Party, sind wild, nehmen Drogen. Aber es fehlt etwas. New York ist unglaublich teuer, insbesondere Manhattan. Das führt dazu, dass jeder, der dort ist denkt, er sei jemand. In Berlin ist zwar auch jeder Künstler oder denkt es zu sein, aber Berlin ist nicht so eine Reichenstadt. Und auf den Partys spielt es keine Rolle, wer du bist und was du verdienst. Im Gegenteil, auch wenn es hart ist, das zu sagen: Hier gehen gerade auch die Leute aus, die es schwer haben. Um einfach mal abschalten zu können und völlig den Kopf zu verlieren. Und das macht die Partys noch verrückter. Und besser.