Das BusinessNeon: Auf den Spuren einer Retro-Revolution
14.5.2015 • Leben & Stil – Interview: Jasmin Tomschi, Fotos: Benedikt BentlerEs knistert sanft, Strom schlängelt sich durch schlanke Lichtröhren und lässt ihr Glas in knalligen Farben erleuchten. Die Rede ist von Installationen aus Neon – ein kulturelles Phänomen, das seinen Boom einst in Form von kommerziellen Leuchtreklamen an großstädtischen Umschlagplätzen feierte, sich dann in elitäre Künstlerkreise zurückzog und uns heute so nah ist wie nie zuvor. Vor einem Jahr haben zwei Münchner in Berlin das Unternehmen sygns gegründet und sich damit voll und ganz dem ikonischen Medium verschrieben.
Wir schreiben die 1940er. Tom and Jerry erblicken das Licht der Welt, in Kalifornien eröffnet die erste McDonald's-Bude und die heiß begehrten Nylonstrümpfe kommen in den Verkauf. Die amerikanische Gesellschaft verlangt nach mehr und das bekommt sie auch. Begleiterscheinung jeglicher Konsummaximierung: Neonreklame. Grelle Schriftzüge und Installationen in imposanten Dimensionen werden zu Schmuckstücken des öffentlichen Raumes. Während ihr Zweck variiert, bleibt die Mission ein und dieselbe: AUFMERKSAMKEIT.
Sei es das Logo einer kultigen Getränkemarke, das die Fassade eines New Yorker Hochhauses einnimmt, ein 23 Meter großer Cowboy, der mitten in der Wüste in den Klub lädt oder die essentielle Information, dass die Kneipe der Wahl „open“ oder doch schon „closed“ ist — Neon wirkte. Und so weitete sich der Trend in den folgenden Jahren von der Ginza in Tokio bis zum Piccadilly Circus in London aus. Als Künstler wie der Minimalist Dan Flavin den Mehrwert dieser aufdringlichen Ausdrucksform für sich entdeckten, fand Neon eine neue Bestimmung als personalisiertes Lichtobjekt. Heute erlebt das Medium in Boutiquen, Restaurants und sogar in den eigenen vier Wänden eine Renaissance. Die notwendige Unterstützung kommt aus Berlin von der Neon Design & Produktionsfirma sygns.
Das Büro des jungen Unternehmens befindet sich in einem Hinterhof an der Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain zwischen Musik-Talentschmiede und anderen Multimedia-Unternehmen. In einem der oberen Stockwerke befindet sich die unerwartet schmucklose Tür zum Sygns-Office. Kein Logo, kein Neon, kein Sign. Nichts deutet darauf hin, dass sich Anthony Genillard und Nils Lehnert hinter dieser Tür um die Produktion und den Vertrieb von Hand gefertigter Lichtkunst kümmern. Sind wir überhaupt richtig? Die Bestätigung kommt, als sich die Tür öffnet und Genillard mit einem einladenden Lächeln im Rahmen steht. Er bittet in ein helles Büro, das wie so viele andere Büros in Berlin aussieht: Ganz schick, aber eine Spur zu groß für so wenig minimalistisches Interieur. Stattdessen ein paar Kartons hier und ein bisschen Equipment da.
Neon Workers Don’t Cry
Genillard spaziert in den Meetingraum, schon aus der Ferne sind drei Logos an der Wand zu erkennen. Als personalisierte Neon-Installationen versteht sich. „Wir sind drei befreundete Teams im Büro,“ der 26-jährige Münchner nimmt sich die Zeit, von den Projekten derer zu erzählen, mit denen sich sygns seit Dezember letzten Jahres einen Arbeitsplatz teilt. Unterdessen telefoniert sein Partner, wie sich wenig später herausstellen wird, mit einem Anwalt. Denn in München hat ein Neon-Glasbläser den Namen der jungen Berliner Firma unangekündigt für seine Zwecke schützen lassen.
„Sorry, wir haben gerade ein bisschen Stress. Ein Wettbewerber hat sich unseren Markennamen unter den Nagel gerissen,“ verrät Nils Lehnert, als er den Raum betritt. Grund für diesen Schachzug könnte der Wechsel eines Kunden zu sygns gewesen sein. Den Rechtsstreit finden Genillard und Lehnert zwar „super nervig“, aber auch belohnend. „Wir werden ernst genommen. Es ist eine Bestätigung, dass wir gefährlich genug sind, wenn man mit so harten Bandagen kämpfen muss!“ Aber haben die beiden denn keine Notwendigkeit gesehen, den Namen selbst schützen zu lassen? „Wir dachten, das hier ist ein sehr, sehr kleines Thema und die Arbeit mit Neon ein nischiger Markt. Außerdem fanden wir den Namen exotisch. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer“, gesteht sich Lehnert ein.
Organisch zur Unternehmensgründung
Nils Lehnert ist 24 Jahre alt, auch er kommt ursprünglich aus München. Vor drei Jahren hat es ihn nach Berlin verschlagen, wo er dann vor rund einem Jahr auch sygns gründete: „Ich habe Tony relativ schnell dazugeholt, um das Ganze als Geschäft unter Freunden aufzuziehen.“ Sie kennen sich vom Studium, wo sie auch Max Elverfors kennengelernt haben, der heute in Göteborg eine Tochtergesellschaft von sygns führt.
„Die Idee ist letztendlich durch Eigenbedarf entstanden“, erinnert sich Genillard auf die Frage nach dem Hintergrund der Unternehmensgründung. „Nils und ich wollten unsere Wohnungen einrichten und Neon wurde dabei immer wieder zum Thema.“ Sie kamen in Kontakt mit Galerien, Glasbläsern – und horrenden Preisen. „Wir dachten uns: Das kann man doch besser machen. Der ursprüngliche Gedanke war, den Leuten Neon näherzubringen und ihnen zu ermöglichen, sich selbst mit dem Medium zu verwirklichen“, setzt Genillard fort und sein Partner ergänzt: „Als ich einen der letzten deutschen Glasbläser besucht habe, habe ich erst gemerkt, wie haptisch diese Arbeit ist und dass das Handwerk praktisch vom Aussterben bedroht ist.“ Zur gleichen Zeit hat er begonnen, Lichtinstallationen für Freunde zu designen. „Das kam super an. Wir haben auch die Preisklasse ganz gut getroffen und uns dann entschieden, eine kleine Firma daraus zu machen!“
Making of: Das personalisierte Kunstobjekt
Heute arbeitet sygns eng mit Glasbläsern im Umland, mit Designern und Künstlern aus Architektur, Mode, Grafik und Interior-Design zusammen. Wer ein Neonschild will, kann sich auf der Website des Unternehmens kreativ ausleben. Dort verändert ein benutzerfreundlicher Konfigurator in Echtzeit vom Kunden eingegebene Spezifikationen — Text, Schriftart, Farbe und dazu auch gleich den genauen Preis. Transparenz in einem sehr undurchsichtigen Markt erscheint Lehnert als besonderes Anliegen. „Wir sind die einzige Firma weltweit im Neon-Bereich, die ihre Preise offenlegt”, stellt er selbstbewusst fest und setzt fort: „Sich online einen Schriftzug für 200 bis 500 Euro zu konfigurieren, ist außerdem absolut einmalig.“ Vergleichsweise niedrige Preise kann sygns halten, weil es sich um eine kleine Firma handelt, die extrem schlank aufgestellt ist. „Wir trennen unser Warenlager von der Produktion, wir haben unser Office in Friedrichshain und auch sonst alles ganz gut koordiniert.“
Mit jeder Bestellung treffen eine Montageskizze, Sicherheitshinweise, eine handgeschriebene Grußkarte und auf Wunsch auch gern ein Handwerker beim Kunden ein. „Wir gehen sehr tief im Beratungsprozess, was der Glasbläser in der Werkstatt direkt nicht kann. Der hat dafür keine Zeit – und auch keinen Bock“, erklärt Lehnert.
Von Tür zu Tür erfolgreicher
Trotz einleuchtendem Konzept und erster Erfolge ist Neon nach wie vor Nische. Für die Vermarktung ihres Angebots hat sich sygns aufgrund vorerst noch sehr limitierter Ressourcen dem Direktvertrieb verschrieben. „Anfangs sind wir viele Stores zu Fuß abgelaufen. Es baut sich langsam eine kritische Masse auf und dann wird man ernst genommen am Markt.“ Bis dato zieren die Installationen der beiden nicht nur Büros und Wohnungen von Privatpersonen, sondern auch Institutionen wie den Friseursalon von Shan Rahimkhan, den In-Vietnamesen Monsieur Vuong und den neuen Concept Store Oukan – schöne Beispiele dafür, dass man nicht immer Venture Capital oder einen Business Angel braucht, der 100.000 Euro ins Unternehmen steckt. „Man kommt auch durch das Setzen von Incentives [bei der Branding-Agentur, der Druckerei und Freunden, die einen Image-Spot drehen] ziemlich weit.“
Nostalgiefaktor: Gekommen, um zu bleiben
Im Rahmen dieser ersten Bilanz zeigt sich das Münchner Duo soweit zufrieden. Und nach einem Jahr scheint für Genillard auch ein guter Zeitpunkt, um zu philosophieren: „Wenn man sich all diese Installationen heute ansieht, haben sie immer noch eine unvergleichliche Leuchtkraft.“ Investitionen für die Ewigkeit eben, oder zumindest für die nächsten fünf bis zehn Jahre. „Das Gas wirkt gleichmäßig durch die gesamte Installation, man bekommt ein ganz nostalgisches Produkt, das auf eine ganz andere Art berührt als eine gewöhnliche Glühbirne.“
Neon ist ein Thema zwischen Nische und Hype. Ob nun als ikonisches Aushängeschild der Außenwerbung oder als mit Emotionen behaftetes Designerstück im privaten Umfeld — das Licht von Neon leuchtet immer noch hell und in zahlreichen Facetten. Shine on, baby!