„Beethoven hat in meinen elektronischen Produktionen nichts zu suchen“Pianist und Produzent Francesco Tristano im Interview
4.5.2015 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerSeit heute steht die neue Platte des Pianisten und Techno-Produzenten in den Regalen. Und zum ersten Mal handelt es sich dabei nicht um eine zu 100 Prozent selbstproduzierte Platte, sondern um einen Mix, eine Compilation. Natürlich ist es nicht nur ein DJ-Mix geworden. Das luxemburgische Multitalent kann die Finger eben doch nicht von den Tasten lassen, hat die Tracks ganz neu interpretiert, mit neuen Spuren unterlegt und auch eigene Stücke und Zusammenarbeiten aufgenommen. Er bezeichnet „Body Language“ gern als „Hybrid“ – DJ-Mix/Produktion. Dass das Klavier omnipräsent ist? Geschenkt. Tristano kann eben doch nicht aus seiner Pianisten-Haut, würde sich aber niemals als Grenzgänger zwischen den Welten Techno und Klassik beschreiben. Das tun nur die Anderen.
Wenn du in Berlin bist, sitzt du in der Regel dort, auf der anderen Seite der Spree, bei der Deutschen Grammophon. Wie bist du denn jetzt hier bei Get Physical gelandet?
Ich weiß es auch nicht so richtig (lacht). Manchmal ist es eben eine Frage des Timings. Eigentlich alles, wenn man mal überlegt, wie das Leben so spielt, welche Leute man trifft – oder? Vor zwei Jahren gab es eine Dokumentation über mich auf irgendeinem komischen Sender, RTL glaube ich. „Pianist im Club“ oder so ähnlich hieß die. Das hat der Labelmanager hier im Hause mitbekommen. Wir haben angefangen zu kommunizieren und schließlich überlegt, was wir zusammen machen könnten. Ich hatte dann ein paar Tracks auf Lager, von denen ich meinte, die könnte man bei Get Physical rausbringen. Jetzt bin ich hier seit ein paar Releases am Start.
Und nun mit deiner ersten Compilation. Wie hat man sich das vorzustellen? Du hast ja nicht einfach nur einen Mix gemacht, sondern auch eigene Klavierelemente über die Tracks gelegt und auch eine ganze Reihe eigener Produktionen auf der Platte untergebracht.
Die größte Herausforderung war für mich die Auswahl der Tracks. Ich habe mich monatelang damit beschäftigt. Die meisten Titel sind ja von Freunden. Ich habe nach unveröffentlichten Tracks gefragt und teilweise zwanzig bekommen! Ich saß dann vor 200 Stücken und musste 15 bis 20 auswählen. Der Mix an sich war innerhalb von ein paar Tagen fertig. Im Prinzip ist es ja schon eine Produktion. Eine Art Augenzwinkern in Richtung DJ-Welt, weil ich mich zum ersten Mal mit elektronischer Musik anderer Künstler auseinandersetze. Normalerweise spiele ich nur meine Musik, egal ob im Club oder auf den Konzerten. Um dem Ganzen eine persönliche Richtung zu geben, bin ich sehr tief in die Stücke eingestiegen, habe neue Edits gemacht, Synths und Klavier darüber gespielt. Es ist quasi ein Hybrid aus Produktion und DJ-Mix. Wobei ich kein DJ bin und höchstens mal zu Hause ein bisschen auflege.
Bist du denn auch technisch up to date, wenn es um die Umsetzung solcher Sachen geht? Wenn man sich anguckt, was in Sachen Controller derzeit so neu rauskommt, geht es ja genau um die Umsetzung hybrider Dinge. Darum, die Grenzen zwischen Live-Set und DJ-Set weiter zu verwischen.
Ja, es wird eigentlich immer einfacher. Aber ich habe da meine perfekte Lösung, indem ich das in verschiedene Spuren aufsplitte: Bass, Melodie und Rhythmik und so weiter. Live dann mit Keyboards, MIDI-Controller und Moog. Nur so wird ja auch was Originelles draus.
Native Instruments hat kürzlich ein neues Musikformat vorgestellt, bei dem man die einzelnen Spuren innerhalb der Datei ansteuern kann. Das würde dieser Form ja total entgegenkommen.
Habe ich gar nicht mitgekriegt! Klingt ziemlich interessant.
Wie ist Joe Zawinul auf der Platte gelandet?
Er ist für mich einer der großen Visionäre der Musikgeschichte. Ich kenne seine Musik, seit ich zwölf bin, und habe ihn auch oft live gesehen. Ich habe mal meine Weihnachtsferien hier in Europa abgebrochen, weil Joe Zawinul im Blue Note in New York gespielt hat. Ich glaube, das legendärstes Konzert, das ich von ihm gesehen habe, war das in Barcelona 2006. Der musste einfach auf die Platte, das war einfach klar (schnippt mit den Fingern). Als klassisch gebildeter Pianist, der dann via Bebop und Jazz ganz krass auf Synthesizer umsteigt und den Fusion Jazz mit Weather Report und Miles Davis begründet hat. Mit „The Harvest“ hat er 1986 eine Art Proto-Techno geschaffen. Ich kenne den Track schon ewig.
Noch eine Frage zu einem bestimmten Track: Wieso „Gaza World Cup“?
Letzten Sommer gab es zwei Medienereignisse, die die Welt vor allen anderen bewegten. Einerseits der Krieg in Gaza. Wobei, was heißt Krieg? Die israelische Offensive in Gaza. Und die Weltmeisterschaft. Ich habe mit Fußball ehrlich gesagt wenig am Hut, aber ich kann nicht sagen, dass Weltmeisterschaften an mir vorbei gehen. Italien ist mein Team (lacht). Aber letzten Sommer habe ich mir kein einziges Spiel angesehen, weil mich diese Geschichte in Gaza zu sehr beschäftigt hat.
„Und dann werde ich gefragt: Wie bist du überhaupt darauf gekommen, klassische Musik mit Techno zu verbinden? Da habe ich gesagt: Darauf bin ich nicht gekommen und das hab ich auch nie gemacht!“
Das Stück habe ich mit P41 produziert und es ging sehr periodisch zu: nach vorn und wieder zurück. Und das hat mich an dieses Media-Zapping erinnert, dieses Ping-Pong-Spielen. Man ist heutzutage ja einer permanenten Überstimulation ausgesetzt: alle zwei Sekunden ein neues Bild. Dieser Kontrast zwischen Gaza und dem World Cup hat das sehr treffend und gleichzeitig furchtbar abgebildet. Tatsächlich wurde in Gaza dann ein Café bombardiert, in dem Leute Kaffee tranken, Shisha rauchten und sich die WM angesehen haben. Ich wollte das festhalten.
Es gibt bzw. gab tatsächlich auch einen Gaza World Cup. Weil Palästina nicht an der WM 2010 in Südafrika teilnehmen konnte, hat die Palestian Football Association eine eigene WM in Gaza ausgerichtet. Mit Mannschaften, die stellvertretend für unterschiedliche Länder standen.
Wirklich? Das ist doch geil.
Du wirst ja immer gern als der Grenzgänger zwischen den Welten Klassik und Techno beschrieben – ob in Medien oder Promotexten zu deinen Alben. Selbst sagst du aber, dass diese Grenzen für dich nicht existieren. Bist du diese Rolle nicht langsam leid und genervt davon?
Ja, bin ich. Man kann eigentlich kein Grenzgänger sein, wenn man die Grenzen nicht wahrnimmt. Vorhin, in einem anderen Interview, haben wir über eine Disco-Version von Beethovens 5. Symphonie gesprochen. Und dann werde ich gefragt: Wie bist du überhaupt darauf gekommen, klassische Musik mit Techno zu verbinden? Da habe ich gesagt: Darauf bin ich nicht gekommen und das hab ich auch nie gemacht! Ich bin mit klassischer akustischer Musik groß geworden, ich spiele immer noch Klavier. Aber in meinen elektronischen Produktionen hat Beethoven nichts zu suchen. Es ist unvermeidlich, dass mein Hintergrund immer wieder da reinspielt. Man ist ja wer man ist. Aber ich habe nie den Versuch unternommen, ein klassisches Stück mit Techno-Beats zu vermischen. Das interessiert mich nicht. Ich rede lieber von einer hybriden Musik. In unserem Zeitalter der Globalisierung gibt es doch viel mehr Welten als Klassik und Techno, alles ist nur einen Klick entfernt. Du gehst ins Internet und willst einen gregorianischen Gesang oder afrikanische Percussions? Kannst du haben. Dadurch ist es doch normal, dass sich alles neu vermischt und kombiniert wird. Und dann ist das ganze Gerede über Klassik versus Techno doch überflüssig. Die elektronische Seite ist jetzt seit circa zehn Jahren ein Teil von mir, und das ist erst der Anfang. Ich bin neugierig, zu was ich noch fähig bin. Es ist auch schade, dass die Medien eine Platte oder ein Konzert als ein finales Produkt betrachten. Die Platte ist jetzt so und so: sechs von zehn Punkten. Eigentlich ist sie aber nur ein Zwischenergebnis zwischen der letzten und der nächsten Platte. Für mich geht das immer weiter.
Auch mit deiner Band „Aufgang“?
Nein. Nicht für mich.
Für die anderen beiden schon?
Das musst du sie fragen.
Das klingt, als seid ihr nicht im Guten auseinandergegangen.
Ich weiß nicht, wie es sich anhören soll. Aber wenn du was über „Aufgang“ wissen willst, ist es wohl besser mit denen zu reden. Ich habe dazu nichts mehr zu sagen.
Interessierst du dich für Pop? Oder HipHop?
Als ich jünger war, habe ich eine Zeit lang viel HipHop gehört. Ich kann mir schon vorstellen, dass da irgendwann wieder was kommt, was mich packt. Was Pop angeht: Pop hat Stimme. Und die Stimme ist auf jeden Fall etwas, mit dem ich mich noch beschäftigen muss. Sie hat noch keinen Weg in meine Produktionen gefunden, ich bin einfach sehr von meinen Instrumenten geprägt. Das fällt mir noch schwer, obwohl das Intro der „Body Language“ den ersten Track mit Stimme darstellt. Ich habe den Text geschrieben und übersetzen lassen. Er ist nicht gesungen, nur gesprochen, von einer Frau in Japan. Es ist auch nicht besonders gut aufgenommen. Die Postproduktion hat Spaß gemacht: Zu sehen, wie man eine Stimme richtig zum Klingen bringt. Sie bringt eine völlig neue Problematik mit rein und ist gleichzeitig eine Chance. Es ist das genialste Instrument überhaupt. Während du das Instrument spielst, kannst du auch noch Geschichten erzählen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Stimme auch Bestandteil meiner Produktionen ist.