Eine Schote, die was zu erzählen hatVanille aus Mexiko ist besser und fairer zum gleichen Preis

vanille aus mexiko

Hand aufs Herz: Wer hat sich schon mal so richtig Gedanken über Vanille gemacht? Wir schlecken sie, trinken sie in Milchprodukten und ohne sie wären die meisten Kuchen doof. Wo sie herkommt, wissen wir vielleicht noch: Madagaskar. Wo sie aber wirklich und ursprünglich herkommt, nicht. Das will Sebastian Berlein ändern: Bessere, fairere und dabei nicht teurere Vanille will er aus Mexiko nach Europa bringen. Jan-Peter Wulf hat sich auf ein Eis mit ihm getroffen.

Saukalt ist es im Kühlraum von „Vanille und Marille“. Muss sein, weil es ist der Kühlraum einer Eisdiele. Minus 16 Grad hat es hier, in den Regalen lagert das Gefrorene. Unter anderem die Kernkompetenz des beliebten Berliner Eisdielers, der schon sechs Filialen hat: Vanilleeis. Eigentlich ist es ja so ein bisschen die Sorte, die immer geht, bei der man nichts groß falsch machen kann. Und dabei doch so viel: In vielen Eisläden (von Kiosk- und Supermarkteis ganz zu schweigen) schmeckt Vanille billig, weil billiges Vanillin drin ist. Das Eis sieht knallgelb aus, weil mit Eigelb hantiert wird. Bei „Vanille und Marille“ nicht, hier kommt echte Vanille zum Einsatz: Die Schoten werden aufgeschlitzt, das Mark wird rausgekratzt, mit Milch, Sahne, Guakernmehl und Traubenzucker aufgekocht und geht direkt in die Eismasse über. Schmeckt echt gut. Und jetzt noch besser. Denn vor einiger Zeit hat man von der Premium-Variante, der Bourbon-Vanille, auf die Super-Premium-Variante umgestellt: Vanille aus Mexiko. Von dort nämlich kommt sie ursprünglich. Weiß nur keiner.

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Das Eis von „Vanille & Marille“ wird mit Schoten aus Mexiko hergestellt

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Bis zu 20 Zentimeter lang werden mexikanische Vanilleschoten, und je länger, desto mehr Aroma

##Enges Zeitfenster für Vanille-Bienen
Wusste auch Sebastian Berlein nicht, obwohl er schon vier Jahre in Mexiko lebt. In einem Surferparadies an der Pazifikküste Oaxacas arbeitete er nach einiger Zeit im stressigen Berliner Agenturbusiness als Kunstlehrer, engagiert sich parallel in Startups und berät unter anderem die Macher eines Smartphones für Blinde, eine Reiseagentur und einen Künstler. Mit Vanille hatte er genauso wenig zu tun wie die meisten von uns. Bis ihm ein guter Freund – Chefkoch – von der Original-Vanille aus dem Ursprungs-Anbaugebiet im Nationalpark Xanath im Bundesstaat Veracruz erzählte. Gemeinsam sind sie hin, blieben eine Weile, übernachteten im Reservat, lernten die Erzeuger und verarbeitenden Betriebe kennen und die Art und Weise, wie das kostbare, nach Safran zweitteuerste Gewürz der Welt traditionell hergestellt wird. Mit Hilfe von Bienen nämlich. Genauer: Euglossa-Bienen, auch Pracht- oder Orchideenbienen genannt. Es sind die einzigen ihrer Art, die in die Vanilleblüten reinschlüpfen können. Wofür ihnen nur ein sehr enges Zeitfenster zur Verfügung steht, denn die Blüte öffnet sich nur einmal im Jahr für wenige Stunden. Auf Madagaskar, dem Welthauptanbaugebiet für Vanille, bestäuben Plantagenarbeiter die Pflanzen händisch mit Stäbchen. Das geht natürlich länger als nur für eine Stunde pro Jahr. Die Orchideenbienen überleben dort nicht – Versuche, sie ebenso zu importieren wie die Pflanze selbst, scheiterten stets.

Sebastian Berlein nimmt Vanilleschoten aus dem Reagenzglas, das er mitgebracht hat in den klimatisch wesentlich angenehmeren und durchaus schmucken Aufenthaltsraum neben dem Kühllager der Eisdiele. Sie sehen anders aus als jene aus dem Indischen Ozean, sind länger, bis zu 20 Zentimeter kann die Mexikoschote erreichen, was ungefähr das anderthalbfache einer madagassischen Vanille ist. Anders als bei vielen Früchten oder Gewürzen gilt hier: Je länger, desto mehr Aroma. Man kann es schon tastend ersinnen: Ledrig fühlt sich so eine Schote an, recht feucht, klebriger als herkömmliche Vertreter. Sie riecht sehr würzig, tiefaromatisch und überhaupt nicht so gellend-süß wie Industrievanille (Anmerkung: Der Autor dieser Zeilen ist quasi direkt neben einer Fabrik groß geworden, die Vanillepulver für Backzutaten und Desserts verarbeitet und dafür in großen Silos lagert. Kam eine Lieferung an, roch der ganze Ort wie Pudding). Sogar etwas holzig riecht es. Es ist eher das Vanille-Aroma, das sich aus einem guten Whisky herausriechen und -schmecken lässt. „Vanille ist bei der Ernte völlig geruch- und geschmacksfrei, erst durch die Fermentation und Reifung entsteht das Aroma“, erklärt Berlein.

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Sebastian Berlein und José Luis Hernández Decuir, Chef des Ökoparks Xanath. Auch er baut Vanille an, die er jedoch nur an Besucher des Parks verkauft.

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Bienenstöcke im Ökopark

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Nach der Fermentation entfaltet die nun braune Schote ihre Aromatik

##Ein Koffer voll Vanille
Fast hätte Berlein das Unterfangen, die Original-Vanille nach Europa zu bringen, wo sie bislang kaum zu kriegen ist, an den Nagel gehängt, bevor es überhaupt losging. „Ich hatte kein gutes Gefühl. Ist überhaupt ein Interesse dafür da?“, erklärt der 35-Jährige. Versucht hat er es dann trotzdem, mit fünf Kilo Vanille im Koffer ging es nach Deutschland. „Da war kein Platz mehr für Klamotten“, erzählt er lachend. Er setzte einen Onlineshop auf und verkaufte alles binnen eines Monats. Proof of concept. Aber – Stichwort Social Business – ein Mehrwert sollte her. Für den Ort, aus dem die Vanille kommt, für die Erzeuger, sprich: kein schnödes, konventionelles Exportgeschäft.
So entstand die Idee zur nun gelaunchten „Vanilla Campaign“: Ein Teil des Verkaufserlöses wird in den Schutz des Lebensraums der Vanille-Bienen in Xanath investiert, die Erzeuger werden einen faire Bezahlung für ihre aufwändige Arbeit erhalten. Auf seiner Webseite hat Berlein in einer Kalkulation aufgelistet, wie sich die Kosten aufteilen. „Dank Direktvertrieb kann ich die Schoten zu einem Preis anbieten, der auf gleichem Niveau wie der von herkömmlicher Vanille ist. Teilweise sogar günstiger“, erklärt der Gründer, der sowohl Endkunden als auch Restaurants oder Bäckereien ansprechen will.

##Isch des Bio?
Berlein hat eigentlich alles zusammen, was es braucht: eine gute Geschichte, eine außerordentliche Qualität, unkomplizierten Export (keine Kühlung, keine Zölle), einen sozialen Mehrwert und sogar einen attraktiven Preis. Fehlen noch zwei Sachen für den deutschen Markt. Zum einen Geld für die Biozertifizierung. Die Vanille hat zwar schon jetzt Bioqualität, das hat er analytisch nachweisen lassen, aber die Regeln schreiben einen separaten Produktions- und Abfertigungsstrang vor, Bio-Vanille darf mit konventionellen Artgenossen nicht in Berührung kommen. Zum anderen fehlt noch Aufmerksamkeit. Keiner kennt mexikanische Vanille, also wartet auch keiner darauf. Beides soll der Launch der Crowdfunding-Kampagne „Vanille tut Gutes“ im September einbringen. 10.000 Euro einsammeln, das wäre gut für die Baupläne. Und etwas mehr Presse bekommen für die Vanille. Goodies für die Spender hat er schon vorbereitet – sie werden alle, keine große Überraschung, mit echter mexikanischer Vanille verfeinert sein: Zucker, Öl, Tee, Marmelade, Wodka, Rum, sogar Salz. Und wie klasse seine Vanille schmeckt, davon kann man sich bis dahin in einer der Filialen von „Vanille & Marille“ überzeugen.

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