Alles original, aber unverpacktEinkaufen ohne Plastikmüll
9.12.2014 • Leben & Stil – Text: Monika HerrmannEinkaufen im Supermarkt hinterlässt jede Menge Müll. Meistens jedenfalls. Vor allem Plastikmüll. Alles ist eingeschweißt, in Folien verpackt, oft doppelt und dreifach. Selbst Bio-Läden machen da keine Ausnahme. Muss nicht sein, dachten sich Sara Wolf und Milena Glimbowski. Jetzt sind sie die Gründerinnen und Chefinnen von „Original Unverpackt“, einem besonderen Supermarkt in Berlin-Kreuzberg.
Mittags ist es noch ruhig im Laden. „Der Ansturm beginnt, wenn die Leute von der Arbeit kommen und sich was fürs Abendessen kaufen“, erzählt Ivan Carcano. Er ist einer der Angestellten im ersten Berliner Supermarkt, in dem die Kunden alles unverpackt kaufen müssen. „Wir hatten uns immer über den Plastikmüll beim Einkaufen geärgert und wollten etwas anderes probieren“, sagt Sara Wolf. Zusammen mit Milena Glimbowski hat sie die Idee entwickelt, die nun in ganz Europa für Schlagzeilen sorgt. Jetzt sitzt sie auf einem Papp-Hocker und erzählt, wie die beiden sie umgesetzt haben. Der Laden musste umgebaut werden, das Geld war knapp. Aber: Es gibt ja Crowdfunding. „Menschen in ganz Europa haben uns geholfen, indem sie uns Geld geschenkt haben, weil sie die Idee super fanden“, sagt Sara Wolf. Keine Bettelaktion, sondern Begeisterung und Solidarität sei da rübergekommen. „Innerhalb von 24 Stunden kamen 100.000 Euro zusammen“. Klingt so, als könnte es Sara Wolf immer noch nicht fassen. Genug Geld, um den Laden zu eröffnen, Ware zu ordern und langfristig planen zu können.
Wenn die Gründerin jetzt durch den Laden führt, dann erstmal zu den großen Glasgefäßen, die an den Wänden hängen: Nudeln, Reis, Mehl, Zucker, Hülsenfrüchte – eben alles, was es sonst in Plastik verpackt im Supermarkt gibt. Auf der anderen Seite: Tee, Kräuter, Gewürze. Aber auch Öle gibt es unverpackt. Aus großen Metallfässern kann man zapfen, alles in kleine Flaschen oder Gläser füllen. Genauso kann der Kunde Wein oder Saft in kleinen, ganz kleinen oder auch in großen Mengen mit nach Hause nehmen. Wer kein Gefäß dabei hat, kann eins im Laden kaufen, zu Hause dann leeren und zum nächsten Einkauf wieder mitbringen. Die Gefäße sind natürlich aus Glas oder einem Material, das wiederverwertbar ist.
Ein anderes Einkaufen
Damit das mit dem Unverpackten auch wirklich klappt, müssen die Kunden schon ein bisschen umdenken. Es ist ein anderes Einkaufen. Wenn der Tee zum Beispiel nicht in der Packung im Regal liegt, sondern der Kunde ein kleines Leinensäckchen nimmt, mit der Schaufel selbst ins Teeglas langt und so viel einfüllt, wie er eben will. Shampoo in Plastikflaschen? Gibt’s hier gar nicht. Stattdessen kann man Shampoo in mitgebrachte oder gemietete Flaschen oder Gläser füllen. Genauso wie Wasch- oder Spülmittel. „Natürlich haben wir nicht tausend Sorten wie im Drogeriemarkt, aber braucht man diese Auswahl eigentlich“?, gibt Sara zu bedenken. Und dann diese kleinen weißen Tabletten. Was ist das denn?, fragen die Kunden, die neu sind im Laden. Sara lacht. „Das ist eigentlich Zahnpasta, aber nicht in der Tube, sondern im Glas. Die kleinen Tabletten werden im Mund zerkaut und mit der Creme, der dann entsteht, putzt man sich ganz normal die Zähne.“ Hört sich gut an, man kann erst mal zehn oder 20 Tabletten zum Ausprobieren nehmen oder gleich eine ganz Schaufel ins Leinenbeutelchen füllen.
„Die Tüte brauche ich doch gar nicht.“
Wer wenig braucht oder erst mal skeptisch ist, kauft sparsam. Familien dagegen, die inzwischen auch aus dem Berliner Umland hier ihren Wochenendeinkauf erledigen, kalkulieren ganz anders. Dadurch wird vermieden, dass der Überfluss zu Hause vergammelt und letztlich viel weggeworfen wird. Was von den Kunden noch vermisst wird, sind die vielen frischen Sachen, die man in „verpackten Supermärkten“ so kaufen kann. Käse zum Beispiel gibt’s nur samstags. Dann kommt der Käsewagen aus dem Umland. „Wir sind da noch am überlegen, wie wir das mit den frischen Sachen hinkriegen können“, sagt Sara Wolf. Aber immerhin: In einem großen Kühlschrank stehen Milchflaschen und Gläser mit verschiedenen Tofusorten. Eine junge Frau greift zu. Dieser Tofu hier sei sehr lecker, sagt sie. Dann geht sie noch zum Gemüseregal, legt ein paar Mandarinen in eine Papiertüte. Doch die nimmt sie gleich wieder raus. „Die Tüte brauch ich doch gar nicht“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Sie arbeite hier in der Nähe, erzählt sie und komme regelmäßig in den Laden, um ein paar Sachen zu kaufen. „Aber man muss schon umdenken beim Einkaufen, denn nicht alles gibt es hier und man braucht für die meisten Sachen eben ein Gefäß.“ Ivan Carcano grinst. „So muss es eigentlich sein“, sagt er und erzählt, dass er Mexikaner sei und hier im Laden einen festen Job habe. Carcano berät die Kunden, erklärt, wie das geht mit den unverpackten Lebensmitteln und manchmal auch, wie man Reis oder Nudeln überhaupt kocht. „Vor allem junge Leute“, sagt er „haben vom Kochen oft null Ahnung, sie kaufen wahrscheinlich alles fix und fertig, natürlich auch schön verpackt.“
Im Kreuzberger Laden liegen deshalb neben der Kasse auch einige Bücher: Kochbücher für Anfänger, aber auch solche, in denen es um gesunde Ernährung geht. Neben den Büchern stehen zwei große Gläser mit Schokolade: Zartbitter und Vollmilch. Nur die beiden Sorten. Keine Tafeln oder Riegel, sondern — natürlich unverpackte — kleine Schoko-Pastillen aus fairem Handel. Ivan Carcano grinst schon wieder. Er weiß, dass sich die Kunden erst mal wundern und dann nach einer Tüte fragen. Die bekommen sie auch. Oder einen kleinen Leinenbeutel, den man waschen und wieder verwenden kann. Sara Wolf wird oft gefragt, ob es einen zweiten Laden geben wird für Menschen, die nicht so nahe dran sind an Kreuzberg. „Wir überlegen das“, sagt sie vorsichtig. Aber erst mal ist noch viel zu tun. Was ist zum Beispiel mit der Marmelade? Die steht als Fertigprodukt verpackt in Gläsern auf einem der Tische. Aber Marmelade unverpackt anbieten, das geht auch nicht so einfach.