Fragmente einer GroßstadtEin alter Hut mit Kampfgeist
6.7.2016 • Leben & Stil – Illustration & Text: Kristina WedelFeminismus stirbt erst mit dem Untergang der Chauvinisten.
Es mag ein alter Hut sein. Ein sehr alter. Aber er ist noch lange nicht bereit für die Tonne. Leider.
Gelegentlich fühle ich mich von ihm förmlich dazu genötigt, ihn mal wieder aufzusetzen. Und wenn ich ihn dann trage, fühle ich mich plötzlich so klar, so laut, so richtig, so stark und kämpferisch wie lange nicht mehr. Die Rede ist nicht von Harry Potters Hut der Wahrheit – und doch haben sie was gemeinsam. Ich spreche hier vom wahren Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Art, das jede Frau fühlt oder besser: fühlen sollte. Feminismus. Ich sag ja, ein alter Hut.
Ich wünschte mir, die Absprungrate der männlichen Leser nach dem ersten Absatz an dieser Stelle erfassen zu können (@Redaktion: Können wir das machen?). Das sind dann entweder jene, die in Diskussionen mit ihren Freundinnen gelangweilt die Meinung vertreten, die Diskussion sei es gar nicht mehr würdig zu führen und Frauen, die sich Feministinnen nennen, degradieren sich selbst, indem sie sich den Begriff aufmerksamkeitshungrig weiterhin auf die Stirn schreiben. Oder jene, die sich schuldig fühlen. Oder aber jene, die offen mit ihrem Chauvinismus hausieren gehen. Womöglich ist die Schnittmenge dieser drei Gruppierungen größer als ich wahrhaben will. Nun ja, manchmal macht weibliches Empowerment wirklich Spaß, das gebe ich zu. Aber hätte ich die Wahl, würde ich mich lieber von meinem Kampfhut trennen weil ich keinen Anlass mehr habe, ihn zu tragen – in einer Welt, in der Frauen Menschen sind und Männer Menschen sind.
Das letzte Mal als ich meinen Hut hätte tragen wollen, saß ich in der Mitfahrgelegenheit von Würzburg nach Berlin. Hellblauer BMW, geräumig. Sebastian hatte schon in sein Inserat geschrieben: „Ich fahre zusammen mit meiner Frau nach Berlin.“ Da dachte ich erst: Ach Mensch, schön. Das wird angenehm. Der Sebastian und seine Frau, die sind sicher nett. Förmlich und stellvertretend stellte der gestriegelte und Ray-Ban tragende Sebastian dann sich und seine Frau vor. Beide so Anfang, Mitte dreißig. Sie setzte sich ans Steuer, die Fahrt ging los. Nach ein paar Minuten war mir klar, warum der gnädige gestriegelte Sebastian sie ans Steuer gelassen hatte: Er hatte ein anstrengendes Wochenende mit seiner Frau und seiner Mutter hinter sich und kein Ventil für sein überschüssiges Testosteron gefunden. Nun saß er da mit einer Portion überschüssiger Haar-Pomade und machte seine Frau zum Sündenbock. Für seine Unzufriedenheit.
Sie wurde von rechts mit unzähligen Seitenhieben, Aufforderungen und Vorwürfen beworfen: „Tanja, dreh bitte die Klimaanlage kühler. Mir ist warm. Was kann ich dafür, wenn dir immer kalt ist. Wechsle bitte auf die rechte Spur!, fahr’ bitte etwas schneller!" Es kamen auch hämische Lacher in Kombination mit einem Blick von der Seite und ganz oben, zum Beispiel als Tanja schon zwei Meter vor dem Wechsel der durchgezogenen auf die gestrichelte Linie schon die Spur wechselte. Und überhaupt, Sebastian widersprach seiner Frau in einer Tour. „Der Kuchen schmeckt doch nicht nach Banane, was ist denn mit deinen Geschmacksnerven los?! Ich will aber nicht wissen, was du darüber denkst. Es interessiert mich nicht!“ Er piesackte sie richtig hart. Als hätte er die Situation von A-Z genauso erschaffen, mit voller Absicht. Alles war haarklein geplant, seine Frau am Steuer, die MitfahrerInnen hinten im Auto. Alles, um sein Ego zurückzugewinnen.
Hatte er sich schon ganz gut überlegt. Alle steckten in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis in der Situation fest und sein Chauvi-Marsch hatte freie Bahn, keine Gegner. Ich war kurz davor, mir voller Kampfgeist den Hut aufzusetzen. Ich wollte sie da rausholen. Dann dachte ich aber daran, welche Synapsen bei Sebastian stimuliert würden, wenn man ihm auf seinem heroischen Galopp ein Bein stellte. Mehr Ego-Feuer wollte ich nicht entfachen. Und vor allem wollte ich schnell heil zu Hause ankommen. Aber ich schickte all meine Energie in Tanjas Selbstbewusstsein, bewunderte sie dafür, dass sie ruhig blieb, nicht längst in Tränen der Wut ausgebrochen war, und hoffte, dass sie ihren eigenen Hut spätestens daheim rauskramen würde. Später stellte sich übrigens heraus, dass Sebastian gerade arbeitssuchend ist und ihm beim Bewerbungen schreiben die Decke auf den Kopf fällt, während er wartet, bis seine Frau von der Arbeit kommt. Zusammenhang, hallo!?
Falls Sebastian oder einer der Männer, die nach dem ersten Absatz hätten abspringen wollen, aus irgendeinem Grund immer noch mitlesen, scheint es Hoffnung zu geben. Hoffnung, dass auch sie bald mal einsehen, dass es keinen Sinn macht, gegen etwas zu kämpfen, was ebenso Mensch ist, wie sie selbst und auf dem Weg der Erhaltung der Menschheit einen nicht ganz unerheblichen Beitrag leistet. Wieso die Energie darauf verschwenden, das andere Geschlecht emotional niederzumachen anstatt der eigenen Unzufriedenheit konstruktiv entgegenzuwirken? Wieso nach der äußerst unlogischen Philosophie „Dir darf es nicht besser gehen als mir“ leben, wenn man mit nach der viel angenehmeren Hand-in-Hand-Methode viel schneller zum Ziel kommt? Damit könnten wir gesellschaftlich schon ganz woanders sein. Mit jedem Versuch, einen Beweis für die Schwäche der Frau zu finden, stirbt ein bisschen Menschsein im Mann. Das ist kein Fluch, sondern die Wahrheit. Solange die Wahrheit so aussieht, lebt auch der Wille in uns Frauen fort, sich den alten Hut aufzusetzen.