„Radikalisierung ist eine spannende Reise“Im Interview: der schwedische Star-Autor Joakim Zander über seinen aktuellen Thriller „Der Bruder“

joakim zander

Foto: Emil Malmborg

Der schwedische Autor Joakim Zander schreibt Thriller. Sehr erfolgreich. Vielleicht, weil seine Themen so aktuell sind. In seinem Debüt von 2013 „Der Schwimmer“ widmete sich der 41-Jährige dem Brüsseler Politikzirkus und der Macht der Lobbyisten, verwoben mit internationalen Verstrickungen und der allgegenwärtigen Terrorgefahr. Die ist auch präsent in „Der Bruder“, dem aktuellen zweiten Teil der Romanreihe und deren Heldin Klara Walldéen, Referentin bei der EU. Es geht um die islamistische Radikalisierung junger Männer in Schweden. Im Interview mit Das Filter spricht Zander über männerdominierte Literatur, Lobbyismus und den Terror als Nicht-Risiko für die Gesellschaft.

Herr Zander, Sie haben selbst jahrelang für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission gearbeitet. War das so langweilig, dass Sie irgendwann angefangen haben, Bücher zu schreiben?

Nein (lacht), ich fand den Job sogar sehr spannend. Zumindest am Anfang. Lesen und Schreiben waren schon immer mein Hobby, aber für ein Buch fehlte einfach die Geschichte. Ich habe meine Doktorarbeit in Maastricht abgelegt und sie wurde anschließend von der Cambridge University Press veröffentlicht: Das gab mir Selbstvertrauen. Nach zehn Jahren Arbeit für die EU musste ich einfach mal etwas anderes machen. Bis dahin hatte niemand die Geschichte der jungen Leute in Brüssel richtig erzählt. Man liest zwar Schlagzeilen und sieht Berichte im Fernsehen über Politik. Aber die Menschen leben und lieben dort auch ihr ganz normales Leben. Darüber und über den Nahen Osten wollte ich schreiben, weil ich dort als junger Mensch lebte. Außerdem bin ich in dieser Zeit Vater geworden und war überwältigt von diesen Gefühlen. All diese Ideen ergaben den Mix für die Geschichte in „Der Schwimmer“. Ich habe angefangen, sehr diszipliniert zu arbeiten und schrieb mindestens 1.000 Wörter pro Tag, egal was war.

Wieso haben Sie sich für den Thriller als Genre entschieden?

Ich hatte Angst, dass sich das Buch sonst in keine Richtung bewegen würde. Charakterentwicklungen und schöne Sprache sind nicht genug. Ich hatte bereits zuvor versucht, ein Buch zu schreiben, aber es fehlte einfach diese Richtung in der Geschichte. Bei einem Thriller hat man eine Art Motor, der arbeitet: Wenn man Leute in Gefahr bringst, muss man sie dort auch wieder herausholen. Außerdem liebe ich Spionage-Storys. Egal ob als Buch oder als Film.

Sie berichten in ihren Büchern von Intrigen und Skandalen in Brüssel. Nicht ganz ohne, wenn man selbst dort gearbeitet hat. Haben sich Leute bei Ihnen gemeldet, denen das überhaupt nicht gefällt?

Nein, gar nicht, im Gegenteil: Viele meiner Freunde dort fanden es spannend und amüsierend, über ihr Leben in Brüssel zu lesen. Die Leute aus meinem Umfeld, die ihre Karrieren in Brüssel begannen und sich dort entwickelten, hatten eine Menge Spaß mit den Büchern. Zumindest haben sie mir das so gesagt (lacht).

Wie realistisch sind denn die beschriebenen Szenarien in Brüssel?

Man beginnt immer mit der Wahrheit. Aber wenn man einen Thriller schreibt, muss man alle Regler hochschieben. „Der Schwimmer“ spielt mehr in Brüssel als „Der Bruder“, aber in beiden Romanen taucht der Lobbyismus auf. Mich hat dieses Metier immer interessiert, auch weil ich mit vielen Lobbyisten gearbeitet habe. Bei manchen politischen Entscheidungen wusste man am Ende nicht mehr, wer die wirklich befördert hatte. Dann wird Lobbyismus gefährlich. In „Der Bruder“ geht es ja unter anderem um eine solche Kampagne. Die ist schon sehr realistisch beschrieben. Oft werden Leute angeheuert, die wissenschaftliche Gutachten verfassen, die mit den gewünschten Inhalten der Lobbyisten korrespondieren. Danach wird versucht, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das die gewünschte Entscheidung quasi erzwingt. So funktioniert Lobbyismus.

Fadi, die männliche Hauptfigur aus „Der Bruder“, wird vom schwedischen Geheimdienst in den Jihad geschickt. Hier soll ein Mensch bereitwillig vom Staat geopfert werden, um ein politisches Ziel zu erreichen. Ist das realistisch?

Ich glaube schon. Die Idee dazu bekam ich sogar durch eine wahre Begebenheit. Ein Schwede zog in den Jihad und klagte später, dass er von der CIA rekrutiert wurde, die durch ihn an bekannte IS-Führer herankommen wollte. Die CIA hat das natürlich verneint, aber vieles spricht dafür, dass es wirklich so gewesen ist. Ich glaube, dass Geheimdienste genauso arbeiten. Man versucht Leute zu rekrutieren und sie dazu zu bringen, das zu tun, was man von ihnen will. Auch weil der IS die elektronische Kommunikation mittlerweile so perfekt beherrscht. Es ist für Geheimdienste enorm wichtig, Leute auf dem Boden zu haben, die den direkten Kontakt suchen.

Auf Twitter haben Sie darauf hingewiesen, dass das Risiko, dass heimkehrende Djihadisten ein Attentat verüben, statistisch kaum zu belegen ist. Außerdem seien Terroristen nicht die größte Gefahr für die Bevölkerung. Steht das nicht in gewisser Weise im Widerspruch zu ihrem Buch?

Ich wollte dieses Buch schreiben, weil ich die Radikalisierung für eine extrem spannende Form einer Reise halte.

In der Realität ist die Anzahl der Menschen, die sich radikalisieren, winzig klein. Die Gefahr, die der Terrorismus für die Bevölkerung ausstrahlt, ist kaum zu messen. Wir haben Dinge wie Verkehr und Umweltverschmutzung, das sind ernsthafte Gefahren. Als mein zweiter Roman „Der Bruder“ im vergangenen Herbst in Schweden erschien, wurde heftig über eine neue Gesetzgebung für Menschen, die sich dem IS anschließen, diskutiert. Man wollte im Grunde genommen harte Maßnahmen gegen alle Muslime ergreifen. Zusammen mit einem Autorenfreund habe ich einen kritischen Artikel für eine der größten schwedischen Tageszeitungen geschrieben, in dem wir aus einer wissenschaftlichen Perspektive heraus erläutert haben, warum diese Strategie keinen Erfolg haben würde. Natürlich hat sich niemand darum gekümmert, die Maßnahmen wurden übernommen. Als ich das Buch geschrieben habe, gab es auch tatsächlich viele Menschen, die sich dem IS angeschlossen haben, laut Schätzungen etwa 300. Seitdem hat der IS jedoch immer mehr an Boden verloren. Die schwedischen Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass im letzten Jahr nicht eine Person Schweden verlassen hat, um sich dem IS anzuschließen. Trotzdem diskutieren wir darüber, als ob es ein Riesenproblem wäre. Wir reden über ein Risiko, das nicht mehr existiert.

„Der Bruder“ liefert detaillierte Beschreibungen von Fadis Jugendzeit, seinen Freunden und den gemeinsamen Straftaten. Wie sah ihre Recherche aus?

Sie hatten doch im Alter von 14 oder 15 doch bestimmt ähnliche Kinder in ihrer Klasse. Kinder, die nicht nur Gutes im Sinn hatten. Bei mir war das jedenfalls so. Ich fing damit an, mich an sie zu erinnern. Ich weiß noch genau, wie sie waren, wie ihre Augen aussahen. Ich erinnere mich an den Stress, der von ihnen ausging. Im weiteren Verlauf habe ich dann einen Schreib-Workshop in einer Schule in einem Vorort von Malmö ins Leben gerufen, ein sozialer Brennpunkt. Da waren Jugendliche dabei, die genauso sind wie Fadi. Ich schrieb also zeitgleich am Roman und bat die Jugendlichen, das erste Kapitel zu lesen. Ich war sehr nervös. Es hat ihnen jedoch sehr gut gefallen und sie gaben mir das beste Feedback, das ich je bekommen habe. Denn die Kids konnten sich in der Geschichte wiedererkennen. Beim Schreiben geht es mir immer darum, etwas zu finden, das mich interessiert und dabei weit weg von meiner Realität ist. Dann versuche ich etwas in mir selbst zu finden, das ich in dieser fernen Realität wiederfinden kann.

Was haben die Jugendlichen zu ihrem Buch beigesteuert, was Sie selbst nicht hätten leisten können?

Wenn man anfängt zu schreiben, passiert das manchmal nur auf der Basis einer Ahnung. Man weiß nicht, ob das alles so stimmt. Und oft genug stimmt es eben doch. Du weißt nicht wieso, aber es ist passiert. Für mich war der Schreibprozess bei „Der Bruder“ so ähnlich. Ich hatte die Idee von Fadi und habe einfach angefangen, zu schreiben. Obwohl ich nicht aus dem gleichen Umfeld komme, wusste ich, dass das Geschriebene stimmt. Ich bat die Jugendlichen, mir das zu bestätigen. Vor allem beim Slang hatten sie einiges einzuwenden. Da waren sie sehr streng mit mir. Ich habe sofort gemerkt, dass ihnen das wichtig war. Meine Verwendung von Schimpfwörtern und arabischen Ausdrücken hat ihnen ein Gefühl von Freiheit vermittelt. Sie wussten nicht, dass man so eine Sprache in Texten verwenden darf. Das war meine Botschaft für sie: Schreiben bedeutet Freiheit.

der bruder

Joakim Zander, Der Bruder, ist im Rowohlt-Verlag erschienen

Der Leser lernt Fadis Schwester Yassmine in New York kennen. Sie geht jedoch schnell zurück in die Stockholmer Trabantenstadt Bergort, wo der Hauptteil der Geschichte spielt. Wieso?

Damit der Bruch so hart wie möglich wirkt. Ich wollte, dass sie eine Reise zurück zu ihren Wurzeln hinter sich bringen musste. Außerdem sollte sie finanziell abgesichert sein. Wenn man Thriller schreibt, die auf der ganzen Welt spielen, muss der Autor seine Figuren so ausstatten, dass sie sich problemlos zwischen Ländern hin und her bewegen können, sonst wäre es unrealistisch. Ich wollte, dass es einen Klassenunterschied zwischen ihr und dem prekären Bergort gibt. Sie hat diesen Ort verlassen, kommt zurück und wohnt im Ludman Hotel, eines der besten Hotels in Schweden. Die Orte trennen vielleicht nur zehn Haltestellen mit der Metro. Der soziale Unterschied ist jedoch riesig.

Die Hauptfigur ihrer beiden Thriller, Klara Waldéen, ist ein Abbild ihrer Person. Sie hat in ihrem Beruf und sogar in ihrem Büro gearbeitet. Gibt es noch mehr Parallelen zwischen Ihnen und ihr? Charakterlich?

Ich habe sie in mein altes Büro gesetzt, weil ich es einfach sehr gut kenne. Ich konnte also leicht darüber schreiben. Außerdem habe ich sie in einer Gegend aufwachsen lassen, in der ich auch groß geworden bin. Sie ist mir insofern ähnlich, als dass sie sehr ambitioniert ist und immer die richtigen Dinge tun will. In „Der Bruder“ kommt sie etwas böser und düsterer rüber als im ersten Buch. Diese Entwicklung wird sich im dritten Teil fortsetzen, ihre Person wird komplexer. Es gibt natürlich auch Elemente von anderen Figuren in mir, aber zu Klara gibt es die offensichtlichsten Verbindungen.

Wieso haben Sie sich eigentlich als Frau dargestellt?

Ich wusste von Anfang an, dass die Hauptfigur von „Der Schwimmer“ eine Frau werden würde. Hauptsächlich, weil ich es leid bin, über Männer zu lesen. Es gibt so viele Männer mittleren Alters, die über eine leicht verbesserte Version von sich selbst schreiben. Es fühlt sich so an, als hätte ich mein ganzes Leben lang nur über Männer gelesen. Außerdem habe ich damals gerade meine Tochter bekommen und wollte eine starke Frau für sie schreiben. Dabei war es mir sehr wichtig, diese Frau nicht perfekt zu machen. Wenn Männer über Frauen schreiben, sind sie oft entweder perfekte Superheldinnen oder wunderschön, dabei aber leicht geschädigt im Kopf. Ich wollte einfach, dass sie ein normaler Mensch ist, der Fehler hat. In meinen Büchern spielen eine Menge Frauen mit, genau aus diesen Gründen.

Sie haben sinngemäß getwittert: „Wenn man einen Teil eines neuen Romans an den Verlag und Agenten schickt, will man am liebsten alles löschen.“ Woher kommen diese Selbstzweifel?

Es gibt keinen Autoren, der keine Selbstzweifel hat. Beim Schreiben wandelt man oft zwischen zwei Gefühlswelten: Entweder fühlt man sich wie der beste Schreiber der Welt, oder man will einfach alles löschen, was man gestern geschrieben hat. Als ich „Der Schwimmer“ geschrieben habe, war es nicht auszuhalten. Manchmal dachte ich, ich wäre schizophren. Wann immer ich den Senden-Knopf bei wichtigen Dingen drücke, fährt ein kalter Schauer durch meinen Körper.

Das ist doch wichtig, um sich immer wieder selbst zu testen.

Genau. Man lernt abzuschätzen, wann Zweifel berechtigt sind und wann nicht. Das ist schwierig und nur erlernbar, wenn man immer weiter schreibt und sich Kritik von Außenstehenden holt. Ein amerikanischer Autor sagte mal: „Höre Leuten zu, die dir sagen, dass das, was du machst, nicht gut genug ist. Aber höre nie auf jemanden, der dir sagt, was du stattdessen tun solltest“. Meine Lektorin sagt oft, dass sie eine Szene oder die Motivation hinter manchen Sätzen nicht versteht. Aber sie würde niemals sagen, dass ich stattdessen dies oder jenes tun sollte. Weil sie weiß, dass die Geschichte in meinem Kopf ist und ich sie zu schreiben habe. Es ist wichtig zu verstehen, wie sehr Kritik helfen kann. Schreiben ist, bis zu einem bestimmten Punkt, ein sehr einsamer Job. Aber dann musst du weitere Personen in den Prozess involvieren.

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