Buchrezension: Robin Sloan – SourdoughEin Techno-Roman, den die Food-Szene verdient

sourdough

Über das Essen wurden schon viele Bücher geschrieben. Über Startup-Kultur und Technologie genauso. Aber was ist mit einem Roman, in dem es sowohl ums Essen als auch um Technologie geht und der doch eine vollkommen andere Geschichte erzählt? Genau das ist der grobe Rahmen von „Sourdough“, dem zweiten Roman von Robin Sloan.

Die Geschichte beginnt unauffällig. Lois Clary zieht nach San Francisco, weil sie von einem Startup als Programmiererin angeheuert wurde. Hier, bei General Dexterity werden Roboter entwickelt, genauer gesagt Roboter-Arme, die in den unterschiedlichsten Einsatzgebieten das zukünftige Leben erleichtern sollen. Sollen. Denn das Betriebssystem, das ArmOS, ist noch lange nicht fertig und Lois soll daran mitarbeiten. Lange Schichten, viele Überstunden, kaum Zeit zum Essen – die typische Startup-Ausbeuterei eben. In der Firma schließt sich Lois einer Gruppe an, die ausschließlich Slurry zu sich nehmen, Flüssignahrung ganz im Stil von „Soylent“. Und abends zu Hause wird nicht gekocht, sondern bestellt. Als sie genau dies zum ersten Mal bei „Clement Street Soup And Sourdough“ tut, gibt es kein Zurück mehr. Beides, Suppe und Brot, sind einfach zu gut. Es schmeckt nicht nur hervorragend, sondern stellt etwas mit Lois an, mit ihrem Körper und ihrer Seele. Es geht ihr besser, sie kann die Belastung im Job besser aushalten. Sie wird zur besten Kunden des Lieferservices, der – so stellt sich schnell heraus – illegal aus einer Wohnung heraus von den zwei Brüdern Beoreg und Chaiman betrieben wird. Als deren Touristenvisum ausläuft, schenkt Beoreg ihr zum Abschied die Starterkultur des Sauerteigs, mit dem er das köstliche Brot backt. Chaiman steuert eine CD mit trauriger Musik aus der Heimat der beiden zu: „Halte die Starterkultur am Leben, fange an zu backen. Und höre dabei die Musik“. Dann steigen beide ins Taxi und sind weg. Und Lois fängt an zu backen. Ja, das hier ist ein Roman über Sauerteig: unter anderem.

Robin Sloan Porträt

Robin Sloan. Quelle: sein Newsletter

Man kann sich ungefähr ausmalen, was für eine Geschichte sich hier im Folgenden entspinnt, und im Großen und Ganzen stimmt das auch. Ein Nerd – Job-bedingt realitätsfremd und technik-affin – entdeckt das „echte“ Leben. Aber so einfach macht es sich Sloan dann doch nicht. Immerhin ist es bereits der zweite Roman des US-Amerikaners, der um den Konflikt von Tradition und medialer/technologischer Gegenwart bzw. Zukunft kreist. Mit seinem Debüt „Mr. Penumbra’s 24-hour Bookstore“ war ihm 2012 bereits genau der Google-Roman brillant geglückt, an dem Dave Eggers mit „The Circle“ so gnadenlos gescheitert ist.

Das (Sauerteig-)Brot ist also ein weiterer Platzhalter für einen Plot, den man auf viele, wenn nicht alle Lebenssituationen anno 2017 anwenden kann, vielleicht sogar muss. Sloan geht es auch in „Sourdough“ nicht um ein kategorisches Entweder-Oder, sondern vielmehr darum aufzuzeigen, wie das Alte und das Neue, die Tradition und die Zukunft sinnig zusammengeführt werden können, um sich fortan zu ergänzen.

Der Smoothie kann noch so home-made sein: Um langfristig Erfolg zu haben, muss auch der Grünkohl skalieren.

Die Food-Szene ist als Szenario natürlich clever und berechnend gewählt: Trend-Thema! So beackert Sloan so ziemlich jeden Aspekt des Futterns, das ja längst das neue Feiern ist. Von den Slurry-Verweigerern über die versnobbte Mafia, die die Streetfood-Märkte kontrolliert, über traditionelle und vollkommen technikfreie Restaurants bis hin zur Insektenzüchtung für den besonders knusprigen Biss. Und mittendrin der Sauerteig von Lois, der ein eher unberechenbarer Zeitgenosse ist, ohne den Lois jedoch nie den Bug im ArmOS hätte lösen können. Damit widmet sich Sloan einem Problem, mit dem sich die Gastronomie – ob groß oder klein, etabliert oder neu – aktuell vermehrt beschäftigt und beschäftigen muss. Der Smoothie kann noch so home-made sein: Um langfristig Erfolg zu haben, muss auch der Grünkohl skalieren. Und dafür braucht es Technik.

Der Hauptschauplatz von „Sourdough“ ist schließlich eine kuschelig anmutende Dystopie des Kalten Krieges. Eine ehemalige Militärbasis in Alameda, in deren Bunkern früher Atomraketen gelagert wurden, die nun zu einem „experimentellen Street-Street-Food-Markt“ umgewandelt wird. Genau hier clasht die Tradition mit der Technik, genau hier skaliert der Grünkohl. Und oben grasen die Schafe.

Das könnte alles wahnsinnig langweilig und berechenbar sein. Sloan gelingt es jedoch erneut, nicht die Moralpeitsche zu erheben, sondern schreibt die Geschichte, die sich ständig überall (fast) genauso auf der Welt abspielt, in leichtfüßiger Sprache einfach auf. Er karikiert sie mit genau der richtigen und angemessenen Portion Hysterie, Übertreibung, realer Science Fiction und märchenhafter Parabel so, dass man für einen kurzen Moment glaubt, so etwas könne nie passieren. Kann es eben doch.

Robin Sloan, Sourdough, ist bei MCD Books – Farrar, Straus and Giroux erschienen und liegt zur Zeit nur auf Englisch vor. Eine Leseprobe gibt es hier.

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