Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich vier Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.
Waschbären essen
Nicht nur die Veränderungen des Klimas machen der heutigen Flora und Fauna das (Über)leben schwer. Auch invasive Arten sind ein Problem. Die vor gut 100 Jahren per Schiff von China nach Hamburg überführte Wollhandkrabbe macht sich in Flüssen breit, in Ostdeutschland und Hessen sind Waschbären ein Problem. Auch sie – die Allesfresser ohne natürliche Feinde – gelten als invasive Art. Deshalb kommen sie jetzt auf den Teller, die Krabbe gekocht, der Waschbär als Gulasch. Holycrab nennt sich ein Berliner Startup für „Invasive Delikatessen.“ Warum sollte man Tiere, die eh gejagt oder gefangen werden, nicht auch essen? Zumal ein Teil gefangener Wollhandkrabben schon lange auf den Tellern Chinesischer Restaurants landet? Fürs ZEIT-Magazin hat Ferdinand Dyc eine Reportage über den neuen Umgang mit Problem-Tieren geschrieben.
„Für uns geht es daher neben dem positiven Beitrag zum Naturschutz auch eher darum“, sagt der 30-Jährige, „wie wir uns in Zukunft möglichst ökologisch und nachhaltig ernähren können.“
Conceptronica
Tolle Replik von Daniel Gerhardt in Richtung Simon Reynolds und dessen streitbaren Text „Conceptronica“. Der Pop-Theoretiker wirft der elektronischen Musik die zunehmende Musealisierung vor. Womit er natürlich nicht ganz unrecht hat. Doch mit seinen eigenen Texten und Büchern hat der Brite in der Vergangenheit immer wieder selbst dazu beigetragen, dass Rave einen Theorie-Überbau bekam, den die Musik nicht brauchte oder suchte. Heute, 30 Jahre später, ist der Festival-Zirkus eine derart gut geölte Maschinerie, dass sie außer Facebook-Ads einfach keine Aufmerksamkeit mehr benötigt – und sich der Fokus der begleitenden Presse zwangsläufig auf die Randgebiete der Szene verlagert. Ja, hier wird viel konzeptualisiert, geschwurbelt und der Musik viel zu oft etwas angedichtet, was sie inhaltlich schlicht nicht hergibt. Aber so einfach lässt sich der Spieß dann eben doch nicht umdrehen. Der große Theoretiker ist theoriemüde geworden. Und seine Schlussfolgerungen findet Gerhardt unfair. Zu Recht.
Woher diese Häme gegenüber Kunstschaffenden kommt, die sich lieber mit großen Ideen beschäftigen als mit ebensolchen DJ-Gagen, bleibt unklar.
Billie Eilish
Im Dezember wird Billie Eilish 18 Jahre alt und hat wahrscheinlich in den vergangenen anderthalb Jahren das Leben von zehn geführt. Die Künstlerin aus Kalifornien ist ohne Zweifel der Popstar der Stunde und die mediale Aufmerksamkeit und alle Nachteile, die mit Fame einhergehen, hinterlassen auch Spuren bei Billie Eilish. In diesem Interview mit Bento spricht Eilish offen über hohe Erwartungen, Druck und wie sie mit dem Superstarsein umgeht. Man kann ahnen, das ist alles andere als eine Runde Gesellschaftsspiel.
„Doch nun saß ich auf dem Fußboden und fragte mich: Worauf freue ich mich? Worüber bin ich glücklich? Ich saß dort sehr lange und mir fiel absolut nichts ein.“
Billie Eilish erzählt von ihren dunkelsten Zeiten und dem besten Mittel gegen Stress
Causa Charles
Er ist die leibhaftige graue Eminenz der deutschen Barszene, hat mit seinem Cocktailbuch ganze Generationen von Profi- und Hobbymixern geschult und schält und brät mit bald 80 Jahren immer noch Kartoffeln für seine Gäste: Charles Schumann. Doch zuletzt bekam das Image des Baldessarini-Beaus einige Kratzer: Nachdem ihm ein internationaler Branchenpreis für sein Lebenswerk verliehen worden war, kam es aus den USA zu einer Kontroverse: Wie kann man jemandem, der nachts keine Frauen hinter der Bar beschäftigt, einen solchen Preis vergeben? Im Film „Schumanns Bargespräche“ von 2017 sagte Schumann seiner US-Kollegin Julie Reiner, nach 22 Uhr würden bei ihm keine Frauen arbeiten. Die Szene – siehe oben – wirkt eher harmlos, doch notmyicon, shamefulschumann oder womenbehindthebarafter3 sind Hashtags, mit denen wütende Posts u.a. von Reiner gegen das Event und den Preisträger etikettiert wurden. Eine große Aufregung entstand in der Barszene, am Ende gab Schumann den Preis zurück. Das Barmagazin Mixology hat die Causa aufgearbeitet und dokumentiert.
Die wie auch immer verkürzten oder missverstandenen Aussagen zu Frauen in der Bar – Charles Schumann hat sie getätigt und es führt kein Weg daran vorbei, dass er sie explizit widerruft.