Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Wenn Rechts und Links sich wieder treffen
Der stark seitliche Ausschlag politischer Meinungen liegt wieder voll im Trend. Nicht nur in Deutschland, auch Frankreich, den Niederlanden, in Österreich, Polen und UK – ja eigentlich überall – haben rechte Populisten erschreckenden Zulauf. Und die Linke? Hat versagt. Sie bedient vielleicht noch Intellektuelle, hat aber den Begriff der nur scheinbar überwundenen (Arbeiter-)Klasse hinter sich gelassen. Das Problem: Die Arbeiterklasse gibt es nach wie vor, gerade sie verschafft sich ja massiv Gehör auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Dort wo die Linke noch funktioniert – Spanien, Podemos – bedient sie sich der gleichen Rhetorik wie die Rechte und preist den Nationalstaat im Irrglauben Internationalismus sei gleich Globalisierung und damit per sé neoliberal. Und somit schlecht. Die Zeit geht dem Phänomen in einem langen und sehr interessanten Gespräch mit dem Soziologen und Autor Didier Eribon auf den Grund.
„Wir müssen auf jeden Fall dieses reaktionäre Denken bekämpfen, das behauptet, Selbstverwirklichung sei zwangsläufig neoliberal.“
##Der Anti-Snowden
Warum nicht für statt gegen den Geheimdienst hacken? Es gibt Geld, Altlasten/Jugendsünden werden vom Tisch gefegt, man hat Zugriff auf ein Netzwerk von Likeminds und kann seine Performance stetig verbessern. Am Ende ist Hacken doch auch eine Karriere nicht? Liest man diesen Text, könnte man das glatt glauben. Denn der Hacker, mit dem sich „The Intercept“ unterhalten hat, anonym freilich, hat kein Problem damit, für die NSA zu arbeiten. Die wie alle Staatsdienste Hacker auf der Payroll hat – ohne sie kann man die Welt nicht hacken und nicht überwachen.
„If you are willing to become a patriot hacker, Uncle Sam wants you.“
##Das Gegenteil von Entspannung
Easy-Chill-Dudelmusik dröhnt uns von überall entgegen. Scheinbare Unaufdringlichkeit und vermeintliche allgemeine Akzeptanz sind ihre schärfsten Waffen, Panflöten und gregorianische Gesänge bieten kein Entkommen. Schon gar nicht auf der Liege beim Krankengymnasten. Dort liegt der Berliner „Kiezneurotiker“ (er mag, Leser seines Blogs wissen es, härteres Zeug, fährt dafür sogar nach Magdeburg) und dreht durch. Macht Laune.
„Die 90er - ein Jahrzehnt voller Müll. Wir hatten ja nix. Sade, dis moi. Hosannaaa. Du-dudeldu. Was habe ich es gehasst. Später verschwanden die gregorianischen Gesänge zu Recht aus der Öffentlichkeit und fristen seitdem ihr Dasein in den zwölf Millionen Yogastudios von Prenzlauer Berg. Und hier. Bei meiner Physiotherapie.“
##Ein letzter Gruß aus der Küche
Wolfram Siebeck ist tot, die Stimme von Deutschlands größtem Gastro-Kritiker ist verstummt. Einer, dessen Kritiken zu lesen immer Spaß gemacht hat, falls man nicht gerade der Koch ist, den er in die Pfanne gehauen hat. Schon in den 1970er-Jahren hat er sich für mehr Qualität und Genuss stark gemacht, als der Toast Hawaii noch salonfähig war (was er jetzt, aufgetunt freilich, wieder wird). So dandyhaft wie seine letzten Jahre, pendelnd zwischen Südfrankreich und der eigenen Burg im Südwesten Deutschlands, war sein frühes Leben nicht: Flakhelferkind aus dem Pott, der Vater ein Faschist. Siebeck: Alt-Linker, Kunst-Kenner, Gastro-Branchen-Outsider. 87 wurde er, zum 80. wurde dieses Interview mit ihm geführt.
„Snob, das ist ja die Abkürzung für sine nobilitate, gemeint sind Leute ohne Adelstitel, die aber dazugehören wollen und sich dafür unglaublich anstrengen. Aufsteiger. Ich war ja mittellos, als ich anfing. So gesehen bin ich ein Snob, ja.“