Leseliste 01. Oktober 2017 – andere Medien, andere ThemenEpidemie der Einsamkeit, Klimawandel in Berlin, Christian Lindner und Geheimnachrichten in der Auslaufrille
1.10.2017 • InternetMan kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Epidemie der Einsamkeit
Die Gesellschaft vereinsamt immer mehr. 40 Prozent aller amerikanischen Erwachsenen fühlen sich laut Studien einsam. Die Dunkelziffer könnte noch viel höher sein. Für die Harvard Business Review hat Vivek H. Murthy aus medizinischer und wirtschaftlicher Sicht analysiert, was für Auswirkungen die stetige Vereinsamung der Menschen für Folgen hat. Murthy erklärt, dass Einsamkeit das Leben in etwa genauso verkürzt wie das tägliche Rauchen von 15 Zigaretten. Die Hälfte aller CEOs fühlen sich einsam in ihrer verantwortungsvollen Rolle. Einsamkeit könne und müsse wie eine Krankheit betrachtet werden.
„The world is suffering from an epidemic of loneliness. If we cannot rebuild strong, authentic social connections, we will continue to splinter apart — in the workplace and in society.“
Klimawandel in Berlin
Der Klimawandel ist nicht mehr aus der Welt zu diskutieren, über Auswirkungen spricht man aber zumeist auf globaler Ebene – Erderwärmung! – oder wenn eine neue Naturkatastrophe – Hurrikan! – eine Region dieser Erde heimsucht, die dann aber doch recht weit entfernt liegt. Dabei spielt das Thema auch lokal eine Rolle, insbesondere in Städten. Die sind hitzeanfälliger, weil dicht bebaut, im Fachjargon sagt man: versiegelt. Auch wenn es in diesem Jahr anders schien: Keine Stadt in Deutschland hat mehr Tropennächte mit Temperaturen über 20C° als Berlin. In der großen Geschichte beim Tagesspiegel kann man nicht nur sehen, wie es um die Versiegelung im eigenen Block bestellt ist, sondern auch nachlesen, was die Daten der letzten Jahrzehnte bedeuten, und welche Pläne es gibt, um der Problematik entgegenzuwirken. Großartig aufbereitete Geschichte.
„Der Senatsplan empfiehlt unter anderem den Ausbau von Frühwarnsystemen, ein Trinkbrunnennetz für die gesamte Stadt sowie ein Krankenhausprogramm. Welch gute Ergebnisse man mit Letzterem erzielen kann, hat die Charité in einem Versuch mit zwei Kühlzimmern herausgefunden.“
##Das Comeback der FDP (bzw. ihres Vorsitzenden)
Der zweite große Gewinner der Bundestagswahlen neben den Faschisten sind die Freien Demokraten. 2013 mit 4,8 Prozenten abgestraft und rausgeflogen, 2017 zweistellig wieder da. Auch wenn so ein Erfolg immer das Ergebnis vieler fleißiger blablabla, es ist der Erfolg von Christian Lindner. Der stand unter der Dusche, als die Liberalen vor vier Jahren abkackten, und anscheinend hatte er eine shower idea: die Partei neu erfinden. Weg vom Aktentaschen-Polohemden- und Guidomobil-Image, hin zu ... ja was denn? Was die FDP anno 2017 ist, also jenseits von Lindner, das wird sich noch zeigen. Bis dahin bringt der Beitrag, der das Comeback nachzeichnet, es glänzend auf den Punkt:
„Die Fotos in Schwarz-Weiß, noch viel größer als die Sprüche, nachdenkliche Bilder von Christian Lindner, geschossen von einem Fotografen, der sonst Coldplay, Sting und die Toten Hosen ablichtet. Eigenartige Plakate, mit viel Text, ungewöhnlichen, übergroßen Fotos, kaum Schnickschnack, absolut auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten. Modern, interessant, für eine Partei überraschend selbstkritisch und humorvoll. Nur ein Element wirkt auf den Lindner-Plakaten eigentlich verzichtbar: das Logo der FDP.“
Eine Nachricht von Porky
Die Digitalität – erst die CD, dann das MP3 und heute das Streaming – macht Musik unpersönlich(er). Aus „weniger zum Anfassen“ (CD) wurde schließlich „Nichts mehr zum Anfassen“. Dass die Musik wortwörtlich nur nur in der Luft liegt, ist ein Grund dafür, warum das Vinyl in den vergangenen Jahren wieder so populär wurde. Anfassen, riechen, lieb haben, entdecken – Medienkompetenz rückwärts, sozusagen. Erst dann kommt der vermeintlich warme Klang. Auf der CD gibt es vielleicht noch einen „hidden track“, auf der Schallplatte die mitunter obskuren Claims, Slogans und Nachrichten, die in die Auslaufrille eingeritzt wurden. Manchmal Zeilen der Lyrics, deutlich öfter vollkommen aus dem Zusammenhang gerissene Sager, die im besten Fall genauso hängen bleiben wie die Musik. Das schafft Identifikation, das befeuert die Sammelleidenschaft, das führt zu skurrilen Entscheidungen. Der Tontechniker mit der schönsten Handschrift – und nur der – darf den Umschnitt machen. Damit der analoge Tweet auch gut lesbar ist und in das ästhetische Konzept des ohnehin überästhetisierten Formats Vinyl passt. George Peckham hat diese Kunstform zwar nicht erfunden, aber doch geprägt. Als „Porky Prime Cut“ schnitt er jahrzehntelang Platten, er hatte die schöne Handschrift und nahm sich as Recht heraus, Produktionen so zu personalisieren. Andere Legenden dieses Geschäfts übernahmen das Konzept und so wurde das Vinyl immer mehr zur verfledderten Sammlung von Kurzgeschichten. Darüber sollte man ein Buch schreiben. Denn der Text von Anton Spice kratzt leider nur an der Oberfläche dieses kulturellen Phänomens. Versammelt dafür aber ein paar der besten Kritzeleien.
„Why Don’t You Trade Those Guitars For Shovels?“