Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Gestern Rap-Fan, heute Gangmitglied
Seit über 30 Jahren machen Insane Clown Posse HipHop, genauer gesagt: Horrorcore. Gewalt und Aggression ziehen sich durch Lyrics, Flaschen und Fäuste fliegen auf Konzerten, so gehört sich das für eine ordentliche ICP-Party. Juggalos heißen jene Fans, die ihre Gefolgschaft besonders ernst nehmen und in dem Ruf stehen, vor Kriminalität eher weniger zurückzuschrecken. Die Folge: Das FBI hat die ICP zugehörigen Juggalos kurzerhand als Gangmitglieder klassifiziert – offiziell und auf Papier. Für Betroffene bedeutet das unter Umständen den gesellschaftlichen Abstieg, völlig unabhängig von der Frage, ob bloß HipHop-Fan oder tatsächlich kriminell. Interessantes Lesestück über eine HipHop-Crew, die auf HipHops sicheren Beinen in der Nische steht und seine treue Anhängerschaft:
„Juggalos not associated with gangs have reported being repeatedly stopped by police, added to gang databases, blocked from the military, placed on stricter forms of probation, suspended from school and fired from jobs.“
Ein Gespenst namens Keith
Penelope Gazin und Kate Dwyer betreiben seit einiger Zeit den Online-Store Witchsy. Eine spannende Plattform für Accessoires, Mode und Kunst, abseits des Mainstreams. Die Gründerinnen aus Los Angeles haben dabei schnell gemerkt, dass es als Frau gar nicht so einfach ist, in der Tech-Branche zu bestehen. Subtiler Sexismus wohin man schaut. Also kamen Gazin und Dwyer auf die Idee, einen fiktiven dritten Co-Gründer zu schaffen. Sein Name: Keith Mann. Kaum war Keith im Team, schien sich die Lage zu ändern.
„Dwyer and Gazin continued to deploy Keith regularly when interacting with outsiders and found that the change in tone wasn’t just an anomaly. In exchange after exchange, the perceived involvement of a man seemed to have an effect on people’s assumptions about Witchsy and colored how they interacted with the budding business. One developer in particular seemed to show more deference to Keith than he did to Dwyer or Gazin, right down to the basics of human interaction. “Whenever he spoke to Keith, he always addressed Keith by name,” says Gazin. “Whenever he spoke to us, he never used our names.“
These Women Entrepreneurs Created A Fake Male Cofounder To Dodge Startup Sexism
NS-Verbrechern auf der Spur
Am 1. Dezember wird die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ 59 Jahre alt. Bis zum heutigen Tage wird hier, in Ludwigsburg, an der Aufklärung von Verbrechen gearbeitet, die in der NS-Zeit begangen wurden. Oberstaatsanwalt Jens Rommel leitet die Stelle, die in einem ehemaligen Gefängnis untergebracht ist. Das ist vor allem Recherche, die immer kleinteiliger und komplexer wird. Denn natürlich sind immer mehr Täterinnen und Täter von damals mittlerweile tot und die Lebenden nach wie vor auf der ganzen Welt verteilt. Fündig wird man hingegen immer noch. Wie lange die Arbeit hier noch fortgesetzt wird, ist nicht bekannt – die von den Justizministerien der Bundesländer finanzierte Einrichtung (Jahresetat: 1,2 Millionen Euro) soll geschlossen werden. Von 2025 ist die Rede, Mitarbeiter rechnen mit einem deutlich früheren Ende. Immer noch reisen die Bediensteten in Archive, um zu forschen und zu recherchieren, immer in der Hoffnung auf neue Erkenntnisse und sachdienliche Hinweise. Linda Kinstler hat die „Stelle“ für den Guardian besucht, ihre Geschichte aufgearbeitet und Mitarbeiter auf Reisen begleitet.
„Auf 1,7 Millionen Karteikarten werden Massaker, Schlachten, Konzentrationslager, Opfer, Zeugen und Täter dokumentiert. Es ist das umfangreichste Archiv seiner Art weltweit. Und es gibt nur eine Kopie des Ludwigsburger Archivs. Auf Mikrofilm. Wo die aufbewahrt wird, unterliegt der Geheimhaltung.“
##Bye bye, Bildschirmschoner
Weil Monitore heute flunderplatt und nicht mehr tief in den Raum hineinragende Kisten sind, weil es keinen Kathodenstrahlbeschuss des Bildschirms mitsamt dem befürchteten Einbrennen eines feststehenden Bildes mehr gibt (außer in ein paar Arztpraxen vielleicht, die auch den Nadeldrucker weiterleben lassen), ist der Bildschirmschoner obsolet geworden. Dieser Text blickt zurück auf die soziale Funktion von After Dark, Starfield Simulation, Maze und Co.: Dem PC-Benutzer eine mentale Auszeit gönnen, ihm sagen: Hey, du. Die Arbeitsmaschine, an der du deinen Tag verbringst, kann auch kleine Kunstwerke zeigen. Meditationen fürs Büro, die von uns gegangen sind und doch immer schon flüchtig waren: Eine Mausbewegung und da war sie wieder, die Excel-Tabelle.
„Though their animations were often hallucinatory, it was that insubstantial quality that made them truly phantasmagoric. They operated at the outer limits of attention, engagement, and interaction. Screen savers belonged to a world we could only ever observe, a world of dreaming machines.“