Dumm rebelliert und nichts dazugelerntFilmkritik: „303“ von Hans Weingartner
19.7.2018 • Film – Text: Alexander BuchholzDer neue Film „303“ von Hans Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“) wird von der Filmkritik als Entdeckung des Sommers gefeiert. Unser Autor Alexander Buchholz wundert sich: Haben die Kollegen bei der Vorführung alle gepennt?
Warum hasst die Filmredaktion mich? Was hab ich ihr denn getan?! Die hätte mich dieses Jahr schon zu „The Phantom Thread“ oder zu „Transit“ oder zu „In den Gängen“ oder zu Was-weiß-ich schicken können! Hat sie aber nicht! Nein, aber zu „303“. „Schaut mal, gefälliger Poesiealbumkitsch! Da muss der Alex hin: Der steht doch auf sowas!“, schallte es durch die Das-Filter-Flure, gefolgt von schallendem Gelächter. Und dann mailt mir der Jan-Peter und fragt, ganz die Unschuld, ob das was für mich wäre?
Wenn „303“ doch nur diese sonnendurchflutete Nichtigkeit wäre, die der Trailer vorgibt zu sein und die die Filmkritikerzunft durch die Bank zu sehen geglaubt hat. Einen „zarten Film“ hat Rudolf Worschech erblickt und der filmdienst hat „ungekünstelten, leichtfüßigen Dialogen“ gelauscht. Für programmkino.de ist Hans Weingartners neuer Film gar ein „kapitalismuskritischer Coup mit Kultfilm-Qualitäten“ und man freut sich über „wunderbares junges deutsches Kino“. Nun, wenn die Sozialdemokratie nicht liefert, muss man sich seine Kapitalismuskritik wohl oder übel da holen, wo man sie kriegen kann.
Geschwätzig, bleischwer und dissonant
Haben die alle gepennt? Sind die alle irgendwann eingeschlafen – bei einer Lauflänge von knapp zweieinhalb Stunden durchaus verständlich – und haben ihre Kritiken zu dem Film geschrieben, den sie geträumt haben? Ich glaube, die wurden allesamt einfach nur an die Filme Richard Linklaters erinnert und haben dann das zu Papier gebracht, was dieser Flashback aus ihnen herausgekitzelt hat, also Fragmente ihrer verblassenden Jugend. Von wegen leichtfüßig: Geschwätzig und bleischwer und dissonant ist „303“. Aber dazu später.
Weder für Jule (Mala Ende) noch für Jan (Anton Spieker) läuft es gerade rund: Sie ist ungewollt schwanger von ihrem Freund, der sich mittlerweile polyamourös in Portugal die Zeit vertreibt. Ihre Mutter drängt sie abzutreiben, und nachdem Jule auch noch ihre Uniprüfung versemmelt, beschließt sie, aus Berlin abzuhauen, um dem Vater die Neuigkeit persönlich zu unterbreiten. Jan hingegen muss die Nachricht verwinden, dass seinem Antrag auf Gewährung eines Stipendiums doch nicht stattgegeben wurde. Er habe sich in seinem Aufsatz einfach zu kritisch über die fliegenden Killer-Roboter aus Amerika geäußert! So was würde man nicht gerne sehen, sagt ihm sein Professor. Identitätskrisengeplagt hofft er, in Spanien seinem biologischen Vater zu begegnen, von dessen Existenz er erst vor kurzem erfahren hat. Die beiden junge Leute lernen sich kennen, als Jule Jan als Anhalter aufgabelt. Und so kommen sie ins Gespräch: Reden über Gott und die Welt, über die Liebe und über das Leben und über Beziehungen und und und. Und kommen sich näher. Alles hübsch unterlegt mit seifigem Gitarrengezupfe, ein Titel ununterscheidbarer als der nächste.
Ein Roadmovie also. Und weil es ein deutscher Film ist, muss das Zuhause natürlich mit, in Form des titelgebenden Wohnmobils – Model Mercedes Hymer 303. Fehlt nur noch der Gartenzaun drumrum, um glasklar zu machen, was den Film so öde macht. „303“ leistet sich vordergründig jugendliche Gesten und liefert Bilder des Aufbruchs, des Freiheitsdranges und der Rebellion, stellt im Kern aber nur konservative Fragen, um diese dann konservativ zu beantworten: Da fahren die beiden dem Horizont entgegen und erfreuen sich doch nur an dieser Blase, in der sie sich in ihrem Auto eingeschlossen haben. Und beide suchen sie natürlich ihre Papas. Gott bewahre, dass man mal einen Moment lang ohne väterliche Aufsicht klarkommen muss. „303“ träumt vom Eigenheim inklusive intakter Familienstruktur, und das muss verteidigt werden. Zum Beispiel vor dem Widerling (Arndt Schwering-Sohnrey), der zu Beginn des Films Jule zu vergewaltigen droht, was durch Jans Eingreifen jedoch verhindert wird. Ein befremdlicher Moment, der völlig instinktlos und weitgehend zweckfrei in das Drehbuch reingedroschen wurde. Und sowas steht dann neben Dialogzeilen wie: „Am liebsten träume ich vom Fliegen.“
20 Jahre Dialoge
Ach, die Dialoge! Jule und Jans Gespräche wirken improvisiert, sind es aber nicht, wie Weingartner im Pressemäppchen betont: „An diesen Dialogen schrieb ich seit 1997, fast wie eine Art Tagebuch. Ich habe eine etwa 300-seitige Dialogsammlung auf meinem Computer. Theorien, die ich über Jahrzehnte aufgeschnappt habe, in Dialogform. […] An den Dialogen ist rein gar nichts zufällig.“ Was für ein Schuldeingeständnis! Dieser ganze anmaßende, fade Mist, den er seine SchauspielerInnen ausspucken lässt, konnte also 20 Jahre lang im eigenen Saft marinieren?
Das erklärt, warum Jan und Jule aus „303“ als die Zombies von Jan und Jule aus „Die fetten Jahre sind vorbei“ daherkommen: Dumm rebelliert und nichts dazugelernt.
Ich hätte mir ja gerne was Romantisches über den Zauber einer beginnenden Liebe angeschaut. Aber das ist nicht dieser Film. Beiläufige Gesten der Zuneigung kann man filmisch einfangen, ohne sie dabei zu beschädigen. „303“ glotzt einfach stur und unverhohlen drauf, und wird dann wütend, dass sich keine Poesie freisetzt. Einfühlsam wie ein Straßenräuber macht Weingartners Blick alles geheimnislos, frei von jeder Magie. Das Glück des Regisseurs ist, dass das kaum jemand gemerkt hat. So bleibt ihm, sich herzlich larmoyant über die hiesige Filmförderung zu echauffieren. Wie können die es bloß wagen, seinen Hollywood-Träumereien im Wege zu stehen? Vielleicht geben sie ihm ja was dazu, wenn er die Fortsetzung dreht: 304, wo es dann darum gehen wird, wie Jule versucht, das klobige, hässliche Scheißding von Wohnmobil in eine viel zu kleine Lücke einzuparken. Und wer muss sich das dann wieder anschauen?
303
D 2018
Regie: Hans Weingartner
Drehbuch: Hans Weingartner, Silke Eggert
Darsteller: Mala Emde, Anton Spieker, Arndt Schwering-Sohnrey,
Kamera: Mario Krause, Sebastian Lempe
Schnitt: Benjamin Kaubisch, Karen Kramatschek, Sebastian Lempe
Musik: Michael Regner
Laufzeit: 145 min
ab dem 19.7.2018 im Kino