Rewind: Klassiker, neu gehörtPublic Enemy – It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back (1988)

Public Enemy Review lede 02

Chuck D, Flavor Flav, Professor Griff, Khari Wynn und DJ Lord zählten mit ihrem zweiten Album die US-amerikanische Gesellschaft und die HipHop-Welt gleichermaßen an. Bessere Raps, bessere Produktion, bessere Samples: Die Angst vor dem schwarzen Planeten zog bereits am Horizont herauf. Die dringliche Melange, die gemeinsam mit Rick Rubin für dessen Label Def Jam entstand, hallte lange nach und wurde zur Blaupause einer musikalischen Protestkultur, die einen noch heute die Faust recken lässt. Die Themen und deren musikalische Umsetzung von Public Enemy sind heute aktuelle denn je. Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann überprüfen das Album 30 Jahre später auf die vermaledeite Authentizität, jetten zwischen der Ost- und Westküste hin und her und stellen schließlich die Fragen aller Fragen: Was denkt wohl Kendrick Lamar über „Bring The Noise“?

Martin Raabenstein: Besser kann es ja gar nicht passen. Nach Talk Talk erneut derselbe Begriff – Authentizität. Andere Lesart, komplett gegenteilige Baustelle, Blackness als politischer „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back“ ist nicht die erste klar gerichtete Botschaft – auch Gil Scott-Heron, Grandmaster Flash and the Furious Five hatten alle schon den Zeigefinger oben. Mit diesem Album aber kommt die dicke Welle, das Statement wird laut und rauher. Schon allein der Bandname ist Programm: „The Black man is definitely the public enemy“. Das ist keine Beastie-Boys-Partymucke, hier kochen die Kessel.

Thaddeus Herrmann: Wir wollten Authentizität doch als Unwort im Schrank lassen! Ich kann das auch schlecht bis gar nicht einschätzen, weil mir die Historie des HipHop einfach abgeht – ich kenne mich nicht aus. Das Album ist jedoch mit seiner In-Your-Face-Attitüde ein großer Wurf. Was ziemlich bemerkenswert ist, weil der Vorgänger – nur ein Jahr zuvor erschienen – längst nicht so weit ist. Da klingt Chuck D eher wie ein nölender Beastie Boy, der noch nicht so recht weiß, wie das alles werden wird. Auch die Produktion ist vergleichsweise lahm. Rick Rubin scheint sich hier einen neuen Kompressor zugelegt zu haben. Gute Entscheidung.

Martin: Du meinst, die politische Message glättet das Kinderreimaufsagen raus?

Thaddeus: Eine große inhaltliche Neuausrichtung gab es doch auf dieser Platte nicht, oder? Die Themen sind die gleichen, werden nur noch lauter arrangiert. Das gilt für die Raps genauso wie für die Beats und Samples.

Martin: Die musikalische Gemengelage ist gleichzeitig breiter und dennoch tighter. Das fordert einen anderen vokalen Move. Rubin hatte 1986 die Meisteridee, Run DMC und Aerosmith mit „Walk This Way“ zusammenzubringen, statt einfach nur ein Sample zu clearen. Warum dieser Material-Clash nicht schon auf der '87er „Yo! Bum Rush The Show“ zu hören war, sondern erst ein Jahr später – hols der Henker. Manche Sachen brauchen eben länger. Sagt uns dieses Album heute noch was?

„Dieses Album hier wurde zigfach kopiert. Sei es der Style von Chuck D oder auch die Sounds, Samples und Arrangements.“

Thaddeus: Mir schon. Als ich in den vergangenen Tagen „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back“ noch ein paar Mal hörte, ertappte ich mich immer wieder dabei, wie die innere Referenzmaschine mit mir durchging und mir all die Alben einfielen, die sich auf das zweite PE-Album beziehen. Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich durch die Zeitmauer gehüpft war. Dieses Album hier wurde zigfach kopiert. Sei es der Style von Chuck D oder auch die Sounds, Samples und Arrangements. Das sind für mich eindeutige Verweise auf Rezeption und Bedeutung. Eine Blaupause auf ganz unterschiedlichen Ebenen also. Nervt zwar manchmal ein klitzekleines Bisschen, aber generell: voll gut.

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„Möglicherweise war das ein Programm mit Ansage: Weißbrotlauscher – jetzt schön in Deckung gehn.“

Martin: NWA haben auf der anderen Seite Amerikas den Ball aufgenommen, hier war allerdings die Politik der Attitude gewichen, der Gangster macht das Spiel. Musikalisch nicht ganz so sehr auf die Glocken, aber ähnliche Schussrichtung und mächtig den Dicken raushängen lassend. Mit Dr. Dres 92er-Album „The Chronic“ war das dann Geschichte, G-Funk lässt in den 90ern die Hüften wackeln. Ein großartiger Schwenk für mich, diese Power-Public-Enemy-Hysterie in Sound und Rap ließ meine Ohren ganz weit hinten anliegen. Möglicherweise war das ein Programm mit Ansage: Weißbrotlauscher – jetzt schön in Deckung gehn.

Thaddeus: Der Funk mag gewonnen haben, die Produktion dieses Albums hallte aber nach. Was wir hier hören, ist ja nicht nur ein Meisterwerk des Samplings, sondern auch ein Statement in Sachen Crossover. Ein Begriff, bei dem sich mir normalerweise die Nackenhaare senkrecht stellen. In diesem Falle jedoch funktioniert es nicht nur – genau diese Mischung wurde übernommen – oft schamlos, wo man merkt, dass diese Rapper einfach nur Chuck D sein wollten und die DJs und Sampler nur das gleiche Futter gezogen haben. Bleiben wir einen Moment bei Chuck D. Sein Style ist schon sehr besonders. Da musste offenbar was raus.

Public Enemy - Roundtable - 03

Martin: Ich mochte Flavor Flav lieber – der Joker im Spiel. Großes Entertainment hier mit im Boot, das geht weit über das reine Runterbeten inhaltlicher Postulate hinaus. Darüberhinaus sträuben sich mir auch heute noch beim Hören die Haare, der Mund wird trocken und meine Fluchtreflexe aktivieren sich. Das fängt schon beim Cover an: Die Protagonisten sind hinter Gittern, um mich zu schützen. Die Posen in ihren Camouflage-Anzügen sind für mich bedrohlich. Nur der Flavor, der hat lieber den roten Strampler an. Da ist es wieder, diese Doppel aus Angriff und Ulk. „Pass auf, hier kommt die Wumme“ hat eigenartigerweise oder gerade deshalb den Markt zum weißen College-Studenten geöffnet. Geniestreich der Marketingabteilung oder nicht, der Schuss saß.

„Die haben Wut, ich habe Wut. Die Gründe mögen andere sein, aber den Schwung nehme ich mal mit.“

Thaddeus: Genau mein Punkt. Man kann immer darüber streiten, wie sich die Vermarktung von Platte und Band die eigentliche oder zumindest offensichtliche Message mit der Zeit verwässerte. Besonders interessant dabei ist natürlich, welche Rolle dabei die Protagonisten selber spielten. Will sagen: Wie viel haben sie zugelassen, wie viel noch akzeptiert oder vielleicht sogar aktiv befördert. Aber das finde ich ein bisschen müßig, weil sich die HipHop-Maschinerie zu dieser Zeit ohnehin begann, mit Lichtgeschwindigkeit zu drehen und zu verändern. Letztendlich – alle politischen Debatten außen vor – ist es ja eine Parabel über das Wirken des Kapitalismus. Platte machen, Geld verdienen – und plötzlich werden die ganz alten Klischees attraktiv, die diese Gesellschafts- und Wirtschaftsform immer geprägt haben: Übertreiben und Prassen. Das kann man als Rückeroberung begreifen. Natürlich gehen dabei aber auch Dinge verloren. Und werden erst so – also mehrmals durch den gesamtgesellschaftlichen Filter mit all seinen Konnotationen gezogen – dann plötzlich anschlussfähig für den jungen WASP am College. Der denkt sich dann. Die haben Wut, ich habe Wut. Die Gründe mögen andere sein, aber den Schwung nehme ich mal mit.

Martin: Ne du, müßig finde ich diese Auseinandersetzung nicht. Das sind die Achtziger. Platte kaufen und in der U-Bahn auspacken, Cover, Innenhülle: Das ist ein Gesamtpaket, das eine runtergezogene MP3 mit dem dazugehörigen Videoclip so nicht leisten kann. Das hältst du in der Hand, nimmst es mit nach Hause, legst es auf den Plattenteller. Aber mal andersrum: Triggert dich diese Wut und was hat das mit der deinen zu tun?

Thaddeus: Das Auspacken von MP3s in der U-Bahn lasse ich mal außen vor. Und auch meine Wut tut hier ja eigentlich nichts zur Sache. Du ziehst meine Analyse jetzt erneut durch die Zeitmaschine. Wir haben heute 30 Jahre später. Und HipHop hat sich – wie du ja schon selber angedeutet hast – radikal verändert. Viele der Debatten mögen noch ähnlich sein oder zumindest ähnliche Stichworte aufweisen, werden aber vollkommen anders verpackt. Diese offensichtliche Wut und die angeschlossenen Themen wurden in anderen Genres weiter verfolgt.

„Das ist logisch: Man kann nicht total durchkommerzialisiert sein und gleichzeitig den Turbokapitalismus dissen, ob mit Tarnjäckchen oder ohne.“

Martin: Als dieses Album heraus kam, war sowohl die große Zeit der gemäßigten als auch der gewaltbereiten afro-amerikanischen Bewegungen lange Geschichte. Martin Luther King, Malcolm X: alle tot. Black Panther: aus und vorbei, die Nation Of Islam ruhig gestellt. Ist es nur die Wut, die Public Enemy dazu bringt, den Faden wieder aufzunehmen? Und um den Bogen zur Jetztzeit zu ziehen – ist es nicht geradezu verwunderlich, dass es diese Bewegung so heute nicht zu geben scheint? Wut, Hass und Militarisierung als Haltung? Die Zahl der getöteten Afro-Amerikaner hat ja nicht gerade abgenommen, im Gegenteil. Während der Anteil der Amerikaner an der Weltbevölkerung nur 5 Prozent ausmacht, liegt der Anteil der amerikanischen Gefangenen bei 21 Prozent, davon 34 Prozent Afro-Amerikaner. Bricht sich das keine Bahnen, weil Chips, Megaglotze und Jay-Z genug Party sind? Andererseits ist das natürlich logisch, man kann nicht total durchkommerzialisiert sein und gleichzeitig den Turbokapitalismus dissen, ob mit Tarnjäckchen oder ohne.

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Thaddeus: Ich sag’ ja: Der Kapitalismus hat gewonnen! Zu attraktive Bitch. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass sich die Arten von Protest ändern. Ob es so furchtbar ist, dass es heute keine Public Enemy 2.0 gibt, die gegen Trump rappen und gegen die Erschießung von Afro-Amerikanern durch weiße Polizisten? Ich hatte ja schon eingangs erwähnt, dass sich diese Art des Potestsongs im HipHop noch eine paar Jahre durch die Gegend geschleppt hat nach „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back“. Mitunter mit anderen Themen, zum Teil aber auch den gleichen. Irgendwann hatte sich das meines Wissens nach erledigt. Vielleicht blüht diese Szene aber auch noch immer, und wir bekommen das einfach nicht mit. Auch wenn viele Probleme und Ungerechtigkeiten immer noch die gleichen sind – systemimmanent –, wird der Protest heute einfach anders umgesetzt. HipHop bietet sich dafür auf den ersten Blick zwar immer noch an – aber auch eben nur auf den ersten Blick. Was könnte so ein Projekt in der aktuellen Gemengelage denn bewirken? Ein Beispiel wäre da Acts wie clipping.: Die halten dieser Tradition im Ansatz noch die Stange. Werden aber auch in ganz anderen Szenen verhandelt, gehen das Ganze eher konzeptionell an und haben trotz Rap ganz andere musikalische Ausdrucksformen für sich entdeckt. Die laufen also am durchformatierten Mainstream vollkommen vorbei. Zum Glück, möchte man meinen. So verpufft es zumindest nicht vollkommen, sondern köchelt auf kleiner Flamme in den richtigen Ohren.

Martin: Okay, aber was ist dann der Pulitzerpreis für Kendrick Lamar – Ehrung oder Ruhigstellung? Inklusion ist eine sehr zweischneidige Sache, man kann es auch Vereinnahmung nennen.

Thaddeus: Preise kann man annehmen oder ablehnen. Gibt es dazu ein Statement von Lamar?

Martin: Annehmen oder Ablehnen ändert ja nichts an der von mir unterstellten, möglichen Intention. Lamar kommentiert das lapidar: „It's an honor ... I've been writing my whole life, so to get this type of recognition -- it's beautiful."

Thaddeus: Das Fass, das du da aufmachst, ist schwierig. Weil es von der Prämisse ausgeht, dass der gesamte Kulturbetrieb – und ich meine wirklich den gesamten – strukturell verkommen ist und mit der Vergabe von Preisen an Menschen wie Lamar ausschließlich kalkuliertes Whitewashing betreibt. Das ist mir zu dick.

Martin: Aber Vereinnahmung ist auch eine intelligent eingefädelte Form von Kapitalismus. Public Enemy stehen mit ihren Statements für das genaue Gegenteil: „Ich bin dein schlimmster Gegner“. Das kann man nicht mit Preisen überschütten und so auf die eigene Bank zerren. „Bring The Noise“, „Don't Believe The Hype“ und „Show Em Whatcha Got“ bleiben unangetastet – und große Musikgeschichte.

Thaddeus: Ich verstehe deine Argumentation, folge ihr aber nicht bis zum Schluss. Das letzte Kapitel meiner Verschwörungstheorie ist nämlich noch nicht geschrieben, und ich habe mich noch nicht entschieden, ob Chuck D am Ende Präsident wird, lebenslänglich bekommt, oder beides.

Public Enemy - Roundtable - 06

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