Podcast-Kritik: Death In Ice ValleyBBC und NRK produzieren epischen Mehrteiler über einen unaufgeklärten Todesfall
4.7.2018 • Kultur – Text: Thaddeus HerrmannWhen people go missing, they are usually missed.
An die Präsenz und Tragweite von Podcasts als zusätzlichen medialen Kanal hat man sich mittlerweile ja gewöhnt. Talk-Runden, Interviews, Kommentar, Dokumentation, Feature, Comedy, Nische, Mainstream, kurz und knapp oder mit bewusster Überlänge: Mit einem Podcast muss man sich nicht an Sende-Schemata der Radiosender halten und kann im Zweifel schnell reagieren.
Die vielleicht spannendste Ausgestaltung des Genres geschieht aktuell jedoch an der Schnittstelle zwischen Hörspiel und Hörbuch. Und genau dort ist auch „Death In Ice Valley“ angesiedelt.
Im November 1970 wird im Isdalen, einem schwer zugänglichen Tal unweit der norwegischen Stadt Bergen, eine tote Frau gefunden. Die Polizei ermittelt, die Mordkommission aus Oslo kommt dazu, auch der Staatsschutz ist involviert. Niemand kennt die Frau, die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Wenige Monate später wird sie schließlich beigesetzt, der Fall zu den Akten gelegt. Doch zu viele der wenigen Puzzle-Teile passen nicht zusammen. Der Inhalt zweier Koffer, die in einem Schließfach gefunden werden, geben Rätsel auf. Als die Zeitungen eine Zeichnung der Frau veröffentlichen, melden sich Bürgerinnen und Bürger, die die Frau gesehen haben wollen. Die so zusammengefügten Informationen geben noch mehr Rätsel auf. Und doch wird der Fall von der Polizei schließlich nicht weiter verfolgt.
Es ist ein klassischer cold case, eine True-Crime-Story, die dort in Bergen in den Archiven lagert und doch weit über die Landesgrenzen Norwegens hinausreicht. Das hat Marit Higraff, investigative Journalistin beim norwegischen öffentlich-rechtlichen Sender NRK, gemeinsam mit einem Team jahrelang recherchiert. Zusammen mit dem BBC World Service ist nun ein zehnteiliger Podcast daraus entstanden, in dem Higraff und ihr britischer Kollege Neil McCarthy die Geschichte gemeinsam neu aufrollen und in ein dicht arrangiertes und packendes Format überführen. Über den Zeitraum von zweieinhalb Monaten wurde jede Woche eine neue Folge veröffentlicht – produziert wurde on the job, also während die Recherchen noch liefen. Die aktuell knapp 15.000 Mitglieder zählende Facebook-Gruppe half mit. Jetzt ist die komplette Serie online: „Death In Ice Valley“ sollte man unbedingt am Stück hören, bingelistening bitte.
Es geht um Verstrickungen im Kalten Krieg, um Raketentests und Spionage. Higraff und McCarthy sind dabei semi-dokumentarisch unterwegs, reisen durch die Welt, führen Interviews, schaffen es, dass immer noch geheime Akten geöffnet werden, spannen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für mittlerweile entwickelte Analyse-Methoden ein und arbeiten so das Leben der „Isdal Woman“ Stück für Stück auf. Sie kommen dabei erstaunlich weit. „Death In Ice Valley“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie die beim Radio gelernten Regeln, Standards und Produktionsmethoden auf das vergleichsweise neue Medium des Podcast angewendet werden und gleichzeitig nicht mehr gelten. Hier verschwimmen unterschiedliche Ansätze und Handwerkszeuge, für die sich beim Radio mindestens drei Redaktionen zuständig fühlen würden und das Projekt so bereits im Ansatz erstickt hätten. Mal ist „Death In Ice Valley“ klassische Reportage, dann wieder Studio-Gespräch und Hintergrundstück. Die Geschichte selbst bestimmt den Takt und die benötigten journalistischen Mittel. So ist etwas entstanden, was man in der frühen Phase des Fernsehens einen Straßenfeger genannt hätte. Das ist in der Podcast-Welt immer noch ein seltenes Phänomen – trotz „Serial“ und „The Assassination“. Und hoffentlich Motivation genug für Sender und Produktionsfirmen, diesen Ansatz weiter zu verfolgen. Und wenn es nur für eine Fortsetzung von „Death In Ice Valley“ ist.
Die Redaktion wird die Ohren buchstäblich offen halten und euch immer dann, wenn wir ein solches Produkt – für das es eigentlich einen eigenen neuen Namen braucht – gefunden haben, eine Empfehlung schreiben.