Filmreihen gibt es viele, doch „Mein Film“ ist eine ganz besondere: Denn hier schauen sich Personen des öffentlichen Lebens – Politiker, Künstler, Journalisten – zusammen mit dem Publikum einen Film an, der sie persönlich in hohem Maße berührt und bewegt. Nach dem Screening wird dann darüber gesprochen, warum es gerade dieser Film ist, was ihn für die Personen so einzigartig macht. Am 7. März waren wir zu Gast in der Astor Film Lounge in Berlin, als die Autorin und Publizistin Carolin Emcke „ihren“ Film vorstellte: den Klassiker „Fahrraddiebe“ von Vittorio de Sica.
„Einfach einen Film, den ich wirklich liebe“ habe sie genannt, als sie von Seiten der Deutschen Filmakademie für die Reihe Mein Film um ihre Auswahl gebeten wurde, erklärt Carolin Emcke dem anwesenden Publikum. Man könnte auch dem anwesenden Fachpublikum sagen, denn im Saal der Astor Film Lounge auf dem Berliner Kurfürstendamm haben viele bekannte Schauspieler und andere Protagonisten aus der Filmbranche sowie Filmfans Platz auf den hier besonders bequemen Kinosesseln genommen. „Ich hatte allerdings keinen blassen Schimmer, dass dies einer der größten Klassiker der Filmgeschichte ist. Nahezu jede Filmregisseurin, jeder Filmregisseur, jede Drehbuchautorin, jede Kamerafrau, die ich kenne hat mich in der Zwischenzeit angesprochen und mir erzählt: Ach, in der Filmhochschule haben wir den Bild für Bild durchgenommen“, offenbart sich die mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Autorin und Publizistin („Gegen den Hass“, „Wie wir begehren“, „Stumme Gewalt“ uvm.) den anwesenden Experten schmunzelnd.
Das ist aber vielleicht auch der beste Zugang zu Filmen, fast immer: auf dem emotionalen Wege, was der Film mit einem persönlich macht. Freilich ist „Fahrraddiebe“ von Vittorio de Sica aus dem Jahr 1948, im Original „Ladri di biciclette“, ein Masterpiece, einer der ganz großen Filme des italienischen Neorealismus. Ein Film, den man in vielerlei Hinsicht wertschätzen kann: Wegen seiner eindrucksvollen, manchmal fast malerischen Bildkompositionen und Bewegungen von Menschen, Fahrrädern, Autos, wegen seines Spiels mit Licht und Schatten in der Ewigen Stadt Rom, wegen seiner wunderbaren Musik, wegen der schauspielerischen Leistung seiner Protagonisten, die allesamt Laien sind, doch vor allem wegen seines Sujets – der Not – und wie er es erzählt.
Der Plot: Antonio Ricci, ein armer Tagelöhner im Rom nach dem Zweiten Weltkrieg, braucht ein Fahrrad. Um arbeiten und seine Familie ernähren zu können. Das Geld für das Rad erlöst die Familie durch Verkauf der Bettlaken, nun scheint es bergauf zu gehen, doch schon bald wird das Rad gestohlen. Es beginnt eine Suche von Vater und Sohn nach dem Rad, nach dem Dieb, die in der Verzweiflungstat eines eigenen Fahrraddiebstahls endet.
Bei sich zu bleiben, nicht über sich hinausragen zu wollen, genau das empfinde sie als die große Stärke des Films, so Carolin Emcke:
„Es ist ein Film, der eine vermeintlich ganz, ganz kleine Geschichte, nämlich die eines Diebstahls, in einer sehr sehr konkreten, spezifischen historischen Situation erzählt. Trotz dieser Konkretion und vermeintlich minimalistischen Thematik schafft er es, eine wirklich existentielle Geschichte zu erzählen, die meiner Ansicht nach universal ist und diese besondere Zeit übersteigt.“
Es sei ein großes Glück, erklärt Emcke weiter, eine Geschichte erzählt zu sehen, die nicht versuche, etwas eskalieren zu lassen, etwas dramatischer zu machen, um daran vermeintlicher Weise besonders intensiv Elend aufzuzeigen, sondern dass er eine nur ganz niedrige Schwelle von Verletzung, Versehrung oder Ausgrenzung zeige und trotzdem eine solche große Wirkung – zumindest bei ihr – hinterlasse.
Nicht nur bei ihr. Das spürt man um sich herum, während man im dunklen Saal sitzt und gebannt auf die Leinwand blickt. Auch Schauspiel-Legende Ulrich Matthes, mit dem Emcke im Anschluss ein sehr aufschlussreiches – und unterhaltsames – Gespräch führt, zeigt sich berührt, weil der Film, mit der Genauigkeit der Milieubeschreibungen, mit kleinsten wunderbare Details, mit kraft- und würdevollen Gesichtern „etwas total Humanes“ habe. Menschlich auch: Am Ende verrät Emcke dem Publikum, dass sie keineswegs nur Kulturell Hochwertiges anschaue, sondern zu Hause, vor dem Fernseher, gerne auch mal bei Vox – und sogar Fox – hängen bleibe. Und nicht ausschaltet, auch wenn das Niveau ins Bodenlose geht ...
En passant auch solche Einblicke zu bekommen, ist das Charmante an dieser Reihe. „Ein wunderbarer Bogen von unterschiedlichen Menschen, die uns ihre Geheimnisse verraten“, sei „Mein Film“, sagt Schauspielerin Iris Berben, in den Begrüßungsworten am Anfang dieser 13. Ausgabe des Events. Zuvor zu Gast waren unter anderem Peer Steinbrück mit „seinem“ Film „The Deer Hunter“ von Michael Cimino aus dem Jahr 1978, Jean Paul Gaultier (er entschied sich für „The Fifth Element“ von Luc Besson 1997), Judith Holofernes („Tote tragen keine Karos“ von Carl Reiner, 1982) und sogar die Kanzlerin: Angela Merkel wählte die „Die Legende von Paul und Paula“ von Heiner Carow aus dem Jahr 1973 aus.
Wer auch mal zu Gast bei „Mein Film“ sein, besondere Persönlichkeiten kennen lernen und ihre Lieblingsfilme sehen möchte: Zugang zu den Veranstaltungen der Reihe gibt es nicht nur für Mitglieder und Förderer der Deutschen Filmakademie, sondern auch auf Priceless Cities, dem Mehrwert-Programm für Mastercard-Karteninhaber. Neben diesem Angebot gibt es auf der Seite viele weitere exklusive Erlebnisse aus den Bereichen Kunst und Kultur, Sport, Reisen, Entertainment und Essen.