„Parasite“ von Bong Joon-ho ist vielleicht schon jetzt der Filmhype und Kritikerliebling des Jahres. Unser Autor Sulgi Lie hat nicht nur ihn auf dem Filmfestival Cologne, das in diesem Jahr einen Korea-Schwerpunkt hatte, gesehen, sondern auch den Klassiker „The Housemaid“ aus dem Jahre 1960. Dabei entdeckte er einige Parallelen zwischen den beiden Filmen.
Wenn dieser Tage das koreanische Kino seinen 100. Geburtstag feiert (1919 kam mit The Righteous Revenge die erste lokale Filmproduktion in die Kinos), wird in den weltweit stattfinden Jubiläums-Retrospektiven mit großer Sicherheit ein Film auf dem Programm stehen, der zu den großen Klassikern der koreanischen Filmgeschichte zählt – Kim Ki-youngs The Housemaid aus dem Jahr 1960. In diesem engagiert eine aufstiegsorientierte Mittelklasse-Familie das titelgebende Hausmädchen, um das frisch erworbene Eigenheim in Schuss zu halten. Welches der kulturbeflissene Hausherr Kim wohl auch aus Prestigegründen erworben hat, obwohl sein Klavierunterricht für junge Fabrikarbeiterinnen fürs ganz große Einkommen eigentlich nicht reicht. Der Genuss an der verausgabten Arbeitskraft der Subordinierten gehört zum bürgerlichen Habitus so zwingend dazu wie die Freude an westlicher Klaviermusik.
Mit Myung-sook hat sich Herr Kim allerdings eine Frau ins Haus geholt, die sich leider der domestischen Domestizierung so gar nicht fügen will, sondern die erotische Ökonomie des Haushalts durcheinander bringt, indem sie den Familienvater erst verführt und dann erpresst. Der Trieb der proletarischen Frau wird metonymisch und metaphorisch mit Ratten und Schlangen assoziiert, die sich im trauten Heim als Fremdkörper eingenistet haben, um Schmutz zu hinterlassen und Gift zu versprühen. Mittels gleitender Kamerabewegungen misst Kim Ki-young immer wieder die Nähe und Distanz zwischen den Körpern aus, die sich zwischen Türen, Treppen und Balkonen an- und abstoßen und so den Klassen- und Geschlechterkampf auch räumlich-architektonisch austragen.
Gehörte Südkorea in den frühen 1960ern noch zu den ärmsten Ländern der Welt, so projiziert The Housemaid die Gegenwart der Unterentwicklung auf den sexuellen Körper der niederen Klassen: Der Parasit ist hier – so will es zumindest die manifeste Ebene des Films – das verkommene Hausmädchen, deren Libido die mühsame Sublimierungsleistung des bürgerlichen Nachkriegsubjekts zernagt. Im Film ist aber die Subversion seiner eigenen antifeministische Ideologie schon angelegt: Sind nicht die wirklichen Parasiten Herr Kim und seine nicht minder klassenbewusste Ehefrau, die sich die Vital- und Arbeitskraft des Hausmädchens einverleiben? Dieser Umschlag wird in Im Sang-soos gleichnamigen Remake aus dem Jahr 2010 explizit ausgestaltet: Dort ist von Beginn an klar, dass es das Hausmädchen ist, das nun von einer Familie ausgesaugt wird, die den Sprung vom zaghaften Wohlstand der 1960er Jahre zum grenzenlosen Reichtum der heutigen „Chaebol“-Dynastien geschafft hat. Im Interieur einer Luxusvilla wird das Hausmädchen zum Spielball einer dekadenten Sippschaft, die sich von der traditionell konfuzianischen Prüderie als auch von jeder bürgerlicher Sexualmoral schon längst nihilistisch verabschiedet hat.
Parasiten fremder Habitusformen
Obwohl sich Bong Joon-ho nicht direkt auf The Housemaid bezieht, sind Kim Ki-youngs „Urtext“ und Im Sang-soos Version als postmoderne Umschrift auch in Parasite als filmhistorische Matrix präsent – auch weil es Bong vor allem um die Ambivalenz der Parasiten-Metapher geht. Die Parasiten, das scheint zu Beginn des Films unmissverständlich, sind die Mitglieder der Familie Kim, bestehend aus Vater Gi-taek (Song Kang-ho), Mutter Yeon-kyo (Jang Hye-jin) und den Kindern Ki-jung (Park So-dam) und Ki-woo (Choi Woo-shik). Sie hausen wie Ratten in einer heruntergekommenen Kellerwohnung, in die regelmäßig der giftige Qualm von Insektenpestiziden hereinzieht.
In der ersten Einstellung des Films sieht man ein paar schäbige Socken, die von der Wäscheleine hängen und um das WLAN des Nachbarn anzuzapfen, muss man sich in die Ecke der Toilette krümmen. Wer in einer Gesellschaft mit hyperschnellen mobilen Internetverbindungen nicht einmal WLAN hat, ist natürlich ganz tief unten auf der sozialen Stufenleiter. Auf mies bezahlte Lohnarbeit, wie das Falten von Pizzakartons für einen Food-Lieferservice, hat keiner in der Familie Kim Bock. Das heißt aber nicht, dass sie sich mit der Prekarität abgefunden hätten: Plötzlich bietet sich unverhofft eine etwas unkonventionelle Chance zur „upward mobility“ an. Ein Freund von Ki-woo, der für die Tochter einer reichen Familie als Englisch-Nachhilfelehrer arbeitet, vermittelt diesen als Ersatz während seines Auslandsaufenthaltes. Die notwendigen Zertifikate sind schnell gefälscht und prompt sieht sich Ki-woo im gigantischen Anwesen von Park Dong-ik (Lee Sun-kyun, der in einigen Filmen von Hong Sangsoo mitgewirkt hat) und seiner Frau Yeon-Kyo (Jo Yeo-jeong).
Wie es sich für die stilbewusste Upper Class gehört, hausen die Parks in einem verglasten Designertraum, in der eine Ratte wohl auf der blanken Parkettoberfläche ausrutschen würde. Mit Ki-woos erschmuggeltem Eintritt in diese Welt beginnt nun die sukzessive Substitution aller bisherigen Hausangestellten der Familie Park durch die Angehörigen der Familie Kim. Denn die Kims sind mit einem komischen Talent zur Mimikry verschiedener sozialer Verhaltensweisen begabt: Sie sind Parasiten fremder Habitusformen. Wie Bong Joon-ho im ersten Teil des Films die Infiltration der vierköpfigen Park-Familie durch die vier falschen Stellvertreter-Bediensteten vorführt, ist nicht nur von bestechender serieller Stringenz, sondern fädelt mit dem Prinzip des „Body Snatching“ auch ein Horrormotiv in den Film ein – die Ersetzung des Wirtskörpers durch den Parasiten. Bongs Körperfresser sind Klassenfresser, die nach vollständiger Ersetzung des Servicepersonals während eines Urlaubs der Park-Familie auch in deren Rolle schlüpfen.
Körperfresser und Klassenfresser
Mit der Komplettierung von Körper- und Klassentausch switcht nun auch das Genre des Films von der Komik zum Horror – eine Wendung, die Bong Filme seit Memories of Murder (2003) und The Host (2006) gerne vollziehen. Nicht nur freuen sich die Kims wohl zu früh über die Abwesenheit der Parks, sie haben vor allem auch nicht damit gerechnet, dass die altgediente, ehemalige Haushälterin Moon-gwang (Lee Jung-eun), die durch fiese Tricks entlassen und durch Mama Kim ersetzt worden ist, ihre Substitution nicht hinnehmen will und auf ihre Rückkehr ins Haus drängt. Mit der grotesken Wiederkehr der Haushälterin gibt sich nun The Housemaid dezidierter als ästhetische Referenz von Parasite zu erkennen. Die binäre Opposition von reich und arm, oben und unten, die der Film bislang als überzeichnete Klischees vorführte, wird von einer unerwarteten Wucherung der sozialen Räume durchkreuzt. Plötzlich wird ein neuer Raum im Untergrund des luxuriösen Heims enthüllt, der noch weiter unten zu rangieren scheint, als die pestizidverseuchte Kellerbaracke der Kims.
Mit der Vervielfältigung der Räume und dem Erscheinen eines dritten Familienverbunds wird auch die Konfrontationslinie zwischen Oberklasse und Unterklasse durch neue Fronten verkompliziert. Von nun an bekämpfen sich Oben und Unten, Oben und das untere Unten, aber auch Unten und das untere Unten gegenseitig. Solidarität gibt es zwischen den Unteren so wenig wie bei den Oberen, die angesichts des bedrohten Eigenheims sehr schnell ihre frühere Nettigkeit verlieren. Wie „nice“ Herr und Frau Park ja eigentlich trotz ihres Reichtums seien, heißt es einmal. Darauf entgegnet Moon-gwang gut materialistisch: Sie seien nicht „trotz“, sondern vielmehr „wegen“ ihres Reichtums so nett. Umgekehrt impliziert das natürlich auch, dass die Armen es sich gar nicht leisten können, nett zu sein.
Diese materialistische Anthropologie gilt auch dann noch, wenn Parasite im letzten Drittel einen erneuten generischen Turn vollzieht und nach der Komödie der Täuschungen und dem Horror der Gewalteskalation nun ins Register des Melodrams wechselt: War der Film zuvor bedacht, die Empathie des Zuschauers nicht allzu einseitig für die Underdogs zu mobilisieren, so scheint er nun doch noch die Kim-Familie als tränenreiches Opfer eines Klassenkampfs von oben zu stilisieren. Melodramatisch wird nun gelitten, geweint und von der süßen Rache der späten Gerechtigkeit fantasiert. So seltsam rührselig der Film nun anmutet, so konsequent ist er bis zuletzt in seinem Beharren auf die Gewalt der herrschenden Verhältnisse. Die Kims können sich ihren Triumph über die Parks nur innerhalb der Logik des Geldes vorstellen und nicht etwa als Aufhebung des Gegensatzes von oben und unten. Das Obere kann nur bekämpft werden, indem das Untere sich als Oberstes über das Obere erhebt. So ist Parasite eigentlich weniger ein Film über altmodisch marxistische Klassenkämpfe als vielmehr über „Klassensnatching“: Der Knecht bleibt auch als neuer Herr der alte Knecht des Herren.