Und wenn sie nicht gestorben sind …Filmkritik: „Once Upon a Time… in Hollywood” von Quentin Tarantino
14.8.2019 • Film – Text: Alexander BuchholzQuentin Tarantinos neunte – und somit vielleicht vorletzte? – Regiearbeit „Once Upon a Time… in Hollywood“ wirft einen Blick auf den Amerikanischen Traum im Schatten der Tate-LaBianca-Morde, die vor ziemlich genau 50 Jahren die „Love & Peace“-Generation erschütterten und ein für alle Mal den „Summer of Love“ beendeten. Es ist nicht Tarantinos bester – das wäre „Jackie Brown“ – oder gar zweitbester Film, „Inglourious Basterds“. Aber immerhin sein Drittbester, findet zumindest Alexander Buchholz.
Seine goldenen Zeiten als Schauspieler kann Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) nur noch im Rückspiegel betrachten: Einst war er der Titelheld seiner eigenen Western-Fernsehserie, nun verdingt er sich mehr schlecht als recht als Nebendarsteller in Produktionen des Hollywood-Studiosystems alter Schule, das sich, ebenso wie seine Stars, auf dem absteigenden Ast befindet. Dennis Hopper hat mit Easy Rider gerade den endgültigen Untergang der alten Filmemacher-Granden eingeläutet, und Rick ist entsprechend schlecht auf den verdammten Hippie zu sprechen. Sein Karrieretief trifft indirekt auch seinen Stamm-Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), der sich mangels Jobangeboten als Ricks Chauffeur, Handwerker und Mädchen für alles rumschlägt. Dass das Gerücht umgeht, Cliff habe seine Frau ermordet, ist natürlich auch nicht direkt karriereförderlich.
Warum also nicht Spaghettiwestern drüben in Europa drehen, schlägt Produzent Marvin Schwarz (Al Pacino) Rick vor. Wenn dieser weiter nur den Bösewicht in drittklassigen Produktionen gäbe, würden irgendwann die Hauptrollen völlig außer Reichweite geraten. Oder können vielleicht Ricks Nachbarn im Cielo Drive helfen? Nebenan wohnen Sharon Tate (Margot Robbie) und Roman Polanski (Rafal Zawierucha), die beide im Begriff sind, mächtig durchzustarten. Sich mit denen gut zu stellen könnte doch seiner Laufbahn dienlich sein, oder?
Requiem for a Dream
So wie er sich in Inglourious Basterds einen anderen, besseren Verlauf des Zweiten Weltkriegs herbeiwünschte und in Django Unchained Amerikas Erbsünde der Sklaverei einfach mit einem großen Knall aus den Geschichtsbüchern löschte, so halluziniert sich Tarantino in Once Upon a Time… in Hollywood eine alternative Filmhistorie herbei, in der die Herrschaft eines Dinosauriers vom Schlage eines Rick Dalton nicht zwingend ein Ende finden muss.
In lose zusammenhängenden Episoden über den Zeitraum weniger Tage erzählt uns Once Upon a Time… in Hollywood ein Märchen von dieser Epoche. Und Rick, Cliff und Sharon Tate fungieren als unsere Reiseführer durch dieses von Robert Richardsons Kamera üppig bebilderte Wunderland. Alle drei haben ihren jeweils ganz eigenen Blick auf Tinseltown und ihren konkreten Platz, den die Filmindustrie für sie bereit hält.
DiCaprio legt seinen Rick Dalton als Archetyp des narzisstischen Möchtegernfilmstars an, der, ausschließlich auf sich fixiert und schwer selbstmitleidig, den Rest der Welt kaum wahrnimmt und lediglich seine stagnierende Schauspielerlaufbahn zu manövrieren versucht. Pitts Cliff Booth hingegen, bereits von der Bürde einer Karriere befreit und weit selbstgenügsamer, sieht, was in L.A. unter der Oberfläche brodelt. Über das Hippiemädchen Pussycat (Margaret Qualley) kommt er in Kontakt mit der Kommune von Charles Manson (Damon Herriman), die sich auf der heruntergekommenen Ranch und Westernkulisse seines alten Kollegen George Spahn (Bruce Dern) eingenistet hat.
Sharon Tate hingehen verbringt weitgehend sorgenlos ihre Tage mit Partys und Kinobesuchen. In einer der schönsten Momente von OUATIH ergaunert sie sich im Bruin Theatre in Westwood eine Kinokarte für die Nachmittagsvorstellung von The Wrecking Crew – in welchem sie selbst mitspielt. Auf der Leinwand sehen wir die echte Sharon Tate, in ihrer Rolle als tollpatschige Mrs. Carlson, über Reisekoffer stolpernd und in einen romantischen Plot verheddert, während Robbies Sharon Tate sich am Kinoerlebnis und an den Publikumsreaktionen erfreut. Mit unserem Wissen über Tates Schicksal ist diese vordergründig so heitere und luftige Szene vermutlich das Traurigste, was Tarantino je gedreht hat. Da wird OUATIH zu einem Requiem, zu einer Grabrede, die Erinnerungen an die schönen Zeiten heraufbeschwören will. Hm, vielleicht ist dies doch Tarantinos bester Film.
OUATIH ist ein Film über Kleine-Jungs-Fantasien – hier bekommt niemand Lungenkrebs.
Ja, OUATIH ist hemmungslos nostalgisch. Aber worauf genau bezieht sich seine Nostalgie? „Tarantino’s love letter to a lost cinematic age is one that, seemingly without awareness, celebrates white-male stardom (and behind-the-scenes command) at the expense of everyone else“, schreibt Richard Brody und behauptet, OUATIH sei getrieben von „cultural nostalgia“.
Aber ist diese Nostalgie nicht weniger auf ideologische Aspekte gerichtet und bezieht sich vielmehr auf das Stoffliche der durch den Regisseur wieder heraufbeschworenen Spätsechziger? Wie bei Tarantino üblich, fetischisiert auch OUATIH – neben Frauenfüßen – vor allem Dekor und Ornament: Zelluloid, wie es durch den Filmprojektor läuft; chromblitzende Autos und makellose Filmstarkörper – ganz besonders auch den von Brad Pitt – nackt oder gehüllt in der Mode der Zeit; kühle Drinks in ihren umständlichen Behältern. Aber OUATIH ist auch bewusst, dass, wer Kette raucht, ständig husten muss. Und die Gewissheit, dass der lasterhafte Lebensstil der Zeit seinen Preis einfordern wird, steht immer im Raum. Da aber OUATIH ein Film über Kleine-Jungs-Fantasien ist, bekommt eben niemand Lungenkrebs. In Tarantinos Händen ist das Kino immer ein Vehikel einzig und allein zur Fantasieerfüllung. Das Cowboy-und-Indianer-spielen muss hier niemals aufhören, im kindischen Kintopp findet die Apparatur ihre Erfüllung.
So ist OUATIH ein Film über und mit Filmgeschichte, der ein Register benötigt, um ihn angemessen würdigen zu können – ein Hypertext vollgestopft mit Verweisen auf reale Filme und fiktive Filme, die es aber geben sollte und die ja vielleicht noch gedreht werden. Wie alle guten Filme macht auch Tarantinos neues Werk in erster Linie Lust darauf, einfach noch mehr Filme zu schauen. Eventuell wäre es nun zum Beispiel endlich einmal an der Zeit, sich Polanskis Tess anzusehen, den er seiner verstorbenen Frau gewidmet hat.
Once Upon a Time… in Hollywood
USA/GB 2019
Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch: Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Al Pacino, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant, Dakota Fanning, Damian Lewis, Bruce Dern
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Fred Raskin
Laufzeit: 159 min
ab dem 15.08.2019 im Kino