Aus einem der größten Technik-Hypes der letzten Jahre wird langsam Realität. Google hat die Android-Version für Wearables am Start. Und packt sie auf zwei Smart Watches. Das Filter hat sich die G Watch von LG angeschaut.
Seit mindestens 20 Jahren habe ich keine Armbanduhr mehr am Handgelenk. Ziemlich genau so lange nutze ich ein Handy, die kleine Swatch wurde zum ersten Opfer meines Nokia-Knochens in eplus-Blau. Seitdem hatte mein linker Arm sozusagen frei. Uhren gibt es überall, einen Chronographen mit Extrafunktionen wollte ich eh nie und die berühmten Taschenrechner-Uhren von Casio hatten den Mief der 80er. Die G Shock war noch nicht erfunden und wenn ich wirklich mal wissen musste, wie spät es war, dann angelte ich eben das Telefon aus der Tasche.
Aber das Handgelenk wird wieder attraktiv für Technik-Unternehmen. Fitnesstracker baumeln daran und weil man mit neuen vermeintlichen Quantensprüngen in der Smartphone-Technologie niemanden mehr hinter dem Ofen hervorholen kann, sind noch cleverere Wearables immer noch the hot shit of tomorrow, vor allem die Armbanduhr. Denn wie man die benutzt, weiß jeder. Und wenn die smarten Uhren mehr können, uns mit ihrem digitalen Mehrwert überzeugen, dann geht es zumindest gefühlt endlich wieder voran. Wie genau jedoch dieser Mehrwert wirklich aussehen könnte, weiß eigentlich niemand. Aktuell ist es eine Mischung aus Fitness-Funktionen und Interaktion mit dem Smartphone, also dem Anzeigen von allerhand Benachrichtigungen, die tagtäglich eben so reinkommen. SMS, E-Mail, Facebook. Nicht mehr und nicht weniger. Egal, ob man sich Pebble anschaut, eines der erfolgreichsten Kickstarter-Projekte aller Zeiten, oder die Uhren von Samsung, die es seit letztem Jahr gibt. Das funktioniert mal besser und mal schlechter, scheitert letztlich aber immer an ein und demselben Problem: Wie lassen sich die Informationen der immer größer werdenden Smartphone-Displays auf die Popel-Screens am Handgelenk sinnvoll darstellen? Die Antwort ist einfach: gar nicht. Das spielt Google in die Karten, die mit dem Furcht einflößenden Service Google Now (Furcht einflößend, weil so akkurat), ein Interface erschaffen hat, das sich problemlos skalieren lässt.
Zwei Armbanduhren, eine von LG, die andere von Samsung, lassen sich jetzt vorbestellen und sollen schon in der kommenden Woche tatsächlich in den Handel kommen. Beide kosten 199 Euro, beide können exakt das Gleiche, beide haben praktisch gleich große Displays, die gleiche Hardware und - logisch - die gleichen Features. Denn die kommen von Google. Überhaupt kommt alles auf der Uhr von Google. Na dann. OK, Google!
Google Now krabbelt aus der Hosentasche ans Handgelenk.
Die G Watch benötigt ein Android-Smartphone, um überhaupt zu funktionieren. Und auch nicht irgendein Telefon mit Googles Betriebssystem, sondern eines, auf dem mindestens Version 4.3 installiert ist. Das sind - leider - nicht sonderlich viele, aber so bleiben die Alpha Boys wenigstens bei den Alpha Girls. Um die G Watch vernünftig zu nutzen, muss man außerdem Fan von Google Now sein. Wer dem Assistenten nicht vertraut, nicht auf ihn achtet, der wird auch mit der Uhr wenig Freude haben. Google nutzt die Smart Watches als Vehikel, um all die Informationen, die Google Now ausspuckt, noch echtzeitiger für den User anzuzeigen. Ihr seid noch dabei? Sehr gut.
Um die Uhr zu nutzen, muss außerdem eine Menge Software auf dem Telefon installiert werden. Das ist im Moment noch sehr umständlich, da Google die App für die Uhren - „Android Wear“ -, sowie die sonst benötigten Updates im Moment noch nicht freigegeben hat. Die Vorab-Versionen, die uns LG zur Verfügung gestellt hat, laufen aber rund und verlässlich. Wenn die Uhren in der kommenden Woche in den Handel kommen, werden die entsprechenden Versionen hoffentlich allen Nutzern zur Verfügung stehen, sonst geht gar nichts.
Ist die Uhr mit dem Telefon verbunden (gekoppelt wird via Bluetooth), spuckt sie vieles von dem aus, was man normalerweise als Benachrichtigung auf dem Telefon sieht: Gmail, Facebook usw. Die Nachrichten lassen sich auf der Uhr lesen oder auch ins Nirvana schicken. Die Uhr ist auf die Bedienung mit Sprache ausgelegt. „OK, Google“ löst die Spracherkennung aus, die man auch von Telefonen kennt. So kann man Erinnerungen und Notizen diktieren, SMS einsprechen, E-Mail plappern oder Dinge im Netz suchen. All dies geschieht natürlich eigentlich auf dem Telefon, die Informationen werden nur gespiegelt. Das geht bis zu einem bestimmten Punkt gut, meistens muss man jedoch irgendwann doch das Handy aus der Tasche holen. Denn E-Mails zu lesen auf dem kleinen Display ist eine Herausforderung und Googles Suche zeigt auf der Uhr nur Stichworte an.
#Prototyp
Das ist, wie schon erwähnt, keine große Überraschung, denn Google hat andere Pläne. Google sucht händeringend nach Möglichkeiten, sich noch unabdingbarer im Alltag zu machen. Und Android Wear, das Betriebssystem für die Wearables, soll genau diese Brücke sein. Wen das nicht interessiert: Finger weg. Denn sowohl die Uhr von Samsung als auch die von LG machen dabei einen „Fehler“: Beide sind nicht besonders hübsch und als normale Uhr nicht sonderlich nützlich. Zwar sind die Displays immer an, die Zeit lässt sich also auch ohne zusätzlichen Knopfdruck ablesen, im prallen Sonnenlicht aber - Sommer, hallo! - kann man auf der G Watch so gut wie gar nichts erkennen. Schlecht. Und wenn man sich für 200 Euro eine Uhr kauft, dann darf die doch zumindestens irgendwie aussehen, am besten wie eine Uhr. Ob man sich dann dafür oder entgegen entscheidet, sei dahingestellt. Die beiden Teile sind also keine Uhren mit Mehrwert, sondern Google-Now-Displays, die u.a. auch die Uhrzeit anzeigen. Das ist irgendwie der falsche Ansatz. Soll Android Wear ein Erfolg werden, dann hätte man gleich zu Beginn, also jetzt, den genau anderen Weg wählen sollen, gerne auch mit schönem Design, also das, was Motorola für den Spätsommer verspricht. Die G Watch ist zwar nicht hässlich, fühlt sich aber dennoch an wie ein Entwickler-Gerät. Und letztendlich ist es das auch. Denn über den Erfolg von Android Wear entscheiden genau die. Ihre guten Ideen und die noch bessere Implementierung.
Ob das Konzept von Android Wear aufgehen wird? Wenn es nach mir geht, darf es bei einer Smart Watch nicht um die kontinuierliche Interaktion mit dem Telefon gehen. Erst recht nicht um die Nutzung von Diensten, die man proaktiv anstoßen und auslösen muss. Aber vielleicht ist das letztendlich die aktuell realistischste Herangehensweise. Vielleicht werden Microsoft und Apple auch nichts anderes in petto haben, wenn sie ihre Uhren der Öffentlichkeit präsentieren. Vielleicht kann man die Smart Watch auch generell von seiner Wunschliste streichen. Oder der Begriff muss kategorisch neu definiert werden. Im Moment ist das alles noch beta. Sowohl in der Konzeption als auch in der Umsetzung. Es ist ein ziemlich gewagter Schritt, diese Kombination jetzt also die Zukunft des Handgelenks auf die Endkunden loszulassen. Aber: Nichts anderes sind wir gewohnt von Google.
Wir haben das mal so notiert.