Proper bangin' Techno!Platten kaufen mit „The 2 Bears“
21.10.2014 • Sounds – Interview & Fotos: Benedikt BentlerKlischee: DJs aus London legen in Berlin auf und gehen danach Schallplatten kaufen. Keine 24 Stunden nach ihrem DJ-Set in der Panoramabar in Berlin traf sich unser Redakteur Benedikt Bentler mit den britischen House-Elektronikern Joe Goddard und Raf Rundell aka The 2 Bears zur Vinyl-Shoppingtour im Hardwax. Ersterer ist nicht nur als einer der zwei Bären bekannt, sondern auch als der Mann am Synthesizer bei der Elektronik-Indie-Superband Hot Chip. Die Musik der The 2 Bears auf ihrem aktuellen Album „The Night is Young“ lässt sich in kein Schema pressen, Elemente von House und Dub finden sich ebenso wie HipHop und - ganz die Briten - 2-Step. Zwei ziemlich abgebrühte Musik-Nerds über Londoner Fahrradwege, coolen Dub, geile Cover und natürlich ... das Berghain.
Wie war es gestern in der Panoramabar?
Raf Rundell: Es war unglaublich. Der Laden ist echt etwas Besonderes. Wir haben auch drei Stunden gespielt.
Im Berghain gibt es an guten Tagen keine Peaktime. Das ist einer der Hauptunterschiede zu anderen Clubs. Normalerweise weißt du irgendwann: Ich muss nach Hause. Die Leute, die da jetzt noch abhängen, sind nicht die Leute, mit denen ich mich umgeben möchte.
Raf Rundell: Der Laden ist ja auch drei Tage am Stück geöffnet. In London gibt es das gar nicht. Es gab mal was in den 90ern, aber das ist vorbei. Vielleicht hat die Fabric am Geburtstagswochenende durchgehend geöffnet. Ich war noch nie in einem Club, in dem du dich so sehr von der Außenwelt verabschiedest. Wir waren später auch noch unten im Berghain und in kürzester Zeit war eine Stunde rum. Es ist auch was anderes, ein Set über drei Stunden zu spielen. Auf einem Festival hast du eine Stunde oder eineinhalb Stunden. Das ist so wenig. Bei drei Stunden kannst du dir deine Zeit nehmen, langsam aufbauen. Du musst es sogar, um die Leute nicht zu verlieren.
Joe Goddard: Du musst auch mehr dieses Hypnotische und Repetitive in deine Sets aufnehmen.
Raf Rundell: Wir hatten gestern einen verrückten Sauf- und Schreiwettbewerb im Club. Unserem Freund wurde daraufhin gesagt, er soll mal die Schnauze halten. Ich dachte nur: Hey, du bist im lautesten Techno-Club in Europa und jemand kommt und sagt, du sollst mal leiser sein (lacht) - nicht schlecht.
Gefühlt ist es dort aber nicht so laut. Du kannst relativ entspannt mit der Person neben dir sprechen, weil es kein Rauschen gibt - nur sauberen Sound.
Joe Goddard: Ja, das ist beeindruckend. Das ist auch für DJs toll. Wenn es keine Distortion (Verzerrung) gibt, kannst du viel besser mixen. Es muss genau aufeinanderpassen, weil jeder alles hörst. Ich schreib denen morgen eine E-Mail: Können wir bitte wiederkommen (lacht)?
Ist das Umschauen nach neuer Musik, das Abklappern von Plattenläden fester Bestandteil eurer Tourstopps?
Raf Rundell: Unbedingt. Es ist eine tolle Möglichkeit neue Musik zu entdecken, aber auch die Stadt kennenzulernen und ein paar Stunden zu verlieren.
Sagt ihr euch beim Plattenkauf, jetzt schaue ich nach Platten für mein Wohnzimmer oder jetzt schaue ich nach Platten für den nächsten DJ-Gig. Gibt es da einen Unterschied?
Raf Rundell: Ja schon. Insbesondere in den letzten Wochen hatte ich schon oft das Set im Kopf, wenn ich nach Platten gesucht habe. Das ist auch ein Grund, warum ich das Hardwax mag: Du bekommst ein bisschen was von allem. In London ist das nicht möglich. Ich mag aber auch die Sachen von den Labels, die direkt mit dem Hardwax verknüpft sind. Und es gibt einen Haufen großartiger Wackies-Reissues. Es ist natürlich total das Klischee: DJs kommen aus London, legen in der Panoramabar auf und gehen am nächsten Tag zu Hardwax (lacht). Weißt du, seit wann es das Hardwax gibt?
Ende der 80er. Anfang der 90er war der Laden ja maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass Techno in Berlin groß werden konnte. Die Jungs haben die Platten aus Übersee und von woanders nach Berlin gebracht.
Raf Rundell: Wow, hier gibt es Eis. Wollt ihr Eis?
(Zwei Mal Kopfschütteln, Raf verschwindet in der Eisdiele.)
Und was hast du nun gekauft, Joe?
Joe Goddard: Einiges. Vieles kenne ich gar nicht. Das hier ist eine Platte mit sehr melodischer Gitarrenmusik, ein bisschen wie Morrissey. Pavement - auf Domino. Dann „Endless Summer“ von Christian Fennesz, eine sehr klassische Fennesz-Platte. Die ist vom gleichnamigen Beach-Boys-Album inspiriert, ambientlastig aber mit teils schrillen und hart geschnittenen Samples und Sounds. Dann haben wir hier noch eine Platte von Maurice Fulton: Das ist so eine afrikanisch inspirierte Discoplatte. Nochmal Maurice Fulton, nochmal eine House-Platte von Maurice Fulton. Hier habe ich noch eine Platte von Patrick Adams. Ich bin wirklich ein großer Patrick-Adams-Fan. Er ist schon seit den 70ern dabei und klingt einfach wunderbar.
Raf Rundell (mit Eis zurück): Dieses Eis - der Wahnsinn.
Was ist denn in deiner Tüte, Raf?
Raf Rundell: Richtig viel, ein bunter Mix. Es ist ein großartiges Gefühl, wenn du eine Platte findest, bei der du das Gefühl hast: Die brauchst du unbedingt, diese eine.
Joe Goddard: Und ein paar Jahre später verkaufst du sie. Für viel weniger Geld (lacht).
Raf Rundell: Das ist eine Wackies-Reissue, die ziemlich gut klingt. Das hier ist Dub-House, von Peverelists Label. Hier haben wir Sleeparchive. Sieht schon nach Hardwax aus die Platte, oder? Hier ist noch so eine UK-Garage-Sache, die ich vorher noch nie gesehen habe. Joe, hast du schon mal von Josh Brent gehört. Das Album hier ist auf „The Nothing Special“ erschienen.
Joe Goddard: Kenne ich nicht.
Wenn du gar keine Ahnung hast, nach was für einer Platte du suchst, wie gehst du vor?
Raf Rundell: Das ist oft willkürlich. Ich schaue auf das Cover, auf die Beschreibung über dem Fach. Da steht dann sowas wie „proper bangin' techno“ oder so (lacht). Ich höre mir an, was cool aussieht. Diese Platte hier, schwarz und mit einem Sticker, hat mich zum Beispiel an alte amerikanische House-Platten erinnert. Oder diese: Das Label heißt Sex Tags und die Platte ist von DJ Fett Burger und Luca Lusano - ziemlich ravig. Sieht auch cool aus, oder? Wie ein Oldschool-Flyer. Hier ist noch die Neue von Shackleton. Seine Musik ist im Club wirklich schwierig zu spielen, aber es klingt verdammt gut. Hier ist eine Scientist-Platte, die dich noch nicht habe, und eine auf Basic Channel. Ich war wirklich in der richtigen Stimmung, um Platten zu kaufen.
Joe Goddard: Ich auch. Wenn ich nicht in der richtigen Stimmung bin, ist alles Müll.
Warum Scientist?
Raf Rundell: Ich liebe diesen Raum, den die Sounds bei Scientist bekommen. Es fing aber mit den Covern an. „Scientist wins the Worldcup“ oder „Scientist Rids the World of the Evil Curse of the Vampires“. Das Cover ist unglaublich und dann hast du diese Horror-Stimme am Anfang der Tracks: "I waaaaant blooooood" (lacht). Das ist genial. Oder „Scientist and Jammy strike back“: Auf der Platte treffen sich Luke Skywalker und Flash Gordon und ein Track nennt sich "C-3PO + R2-D2=The Force" - was nur ein weiterer Dub-Track ist. Aber trotzdem cool.
Joe Goddard: Die Drums und Synthies sind bei Scientist einfach besonders. Hier ein Laser, da ein anderes Geräusch.
Raf Rundell: Das Arrangement ist einfach ziemlich brilliant. Man hört sofort, dass da jemand am Mixer sitzt, der es richtig drauf hat. Was da raus kommt, ist verdammt kreativ und irgendwie trippy. Es tauchen Elemente aus allen Richtungen der Tanzmusik auf: Du kannst in den Platten sowohl Wurzeln von Jungle, als auch von Techno finden.
Ihr hängt sehr am Dub, das merkt man nicht nur an der Plattenauswahl, sondern auch an eurem aktuellen Album. Ist Dub nicht mittlerweile durch, sowohl bei Produzenten, als auch bei Hörern?
Joe Goddard: Das mag für Einige gelten, aber ich habe da meine Zweifel.
Raf Rundell: Dub ist einfach zu wichtig. Die ganze Remix-Praxis kommt ja aus dem Dub. Diese Art das Studio zu nutzen und Platten zu machen: Reverb, Echo, Delay. Die Möglichkeit diese Effekte zu nutzen, um Musik tanzbar zu machen und dafür zu sorgen, dass sie auf einem großen Soundsystem gut klingt, das kommt ja aus dem Dub. Ich wünschte, wir hätten solche Fahrradwege in London. In London sterben ständig Radfahrer.
Ihr legt digital auf, aber kauft Vinyl ein. Praktische Gründe?
Raf Rundell: Wir sind auch schon mit riesigen Taschen voll Vinyl auf Tour gegangen. Es war der Horror. Jetzt trag ich meine Tracks um den Hals und fertig. Aber Vinyl ist eben doch was Anderes, der ganze Mixing-Prozess ist anders. Der Grund für den Umstieg auf digitales Auflegen lag aber nicht nur im Aufwand: In vielen Clubs hast du einfach gar keine vernünftigen Plattenspieler mehr. Oder der Spieler steht nicht vernünftig und es wackelt - plötzlich hast du einen Sprung und alle denken, du versaust den Mix. Teilweise mussten auch schon Plattenspieler organisiert werden, weil der Club keine mehr hatte. Und dann weißt du nicht, ob die Nadeln nicht schon längst im Arsch sind. Aber langsam hat man auch das Gefühl, dass wieder mehr mit Platten aufgelegt wird. Vielleicht kommt das zurück - zumindest ein bisschen. Unter den entsprechenden Voraussetzungen würde ich Vinyl immer vorziehen.